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Blaubeuren: Mit diesem Meißel fertigten die Eiszeit-Menschen Kunst aus Elfenbein – Wissen | ABC-Z

Der Fund ist einzigartig – und zugleich eigentlich nur logisch. In den verschiedenen Eiszeithöhlen der Schwäbischen Alb ist bereits eine beeindruckend lange Reihe von mehr als 30 rund 40 000 Jahre alten Figuren und anderen Gegenständen aus Mammutelfenbein entdeckt worden. Berühmt sind etwa die Venus vom Hohle Fels bei Schelklingen, die kleine Mammutfigur aus der Vogelherdhöhle im Lonetal oder eine Flöte aus Elfenbein, gefunden in der Halbhöhle Geißenklösterle bei Blaubeuren. Im dortigen Urgeschichtlichen Museum ist ein ganzer Elfenbeintierpark aus der Eiszeit ausgestellt. Nun erhält diese Sammlung eine logische Ergänzung. Ausgräber haben in der Höhle Hohle Fels einen 39 000 Jahre alten Meißel gefunden: ein Gerät aus Elfenbein, das einst offenbar dem Zweck diente, Dinge aus Elfenbein herzustellen.

Der Fund lenkt den Blick auf die Bedeutung dieses Werkstoffs. Analog zu Epochenbegriffen wie Steinzeit oder Bronzezeit könne man für die Zeit vor etwa 40 000 Jahren auf der Schwäbischen Alb gar von einem „Zeitalter des Mammutelfenbeins“ sprechen, heißt es vom Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren. Dort ist der Meißel am Donnerstag als „Fund des Jahres“ vorgestellt worden und von sofort an in einer Sonderausstellung zu sehen. Mammutelfenbein sei zu Beginn der Jüngeren Altsteinzeit „das bevorzugte Material für praktische Werkzeuge und Kunst“, zitiert das Museum den Archäologen Nicholas Conard von der Universität Tübingen in einer Pressemitteilung.

Der 2024 gefundene Meißel aus Mammutelfenbein aus verschiedenen Perspektiven. (Foto: A. Blanco-Lapaz, SHEP Tübingen)

Die kleinen Kunstwerke mögen formschöner sein. Doch diese Meißel seien einzigartig, erklärt die Urgeschichtlerin Sibylle Wolf vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen. Insgesamt gibt es vier Stück: Schon 2019 fanden Ausgräber in der Höhle Hohle Fels drei Elfenbeinmeißel mit Längen zwischen 14 und 22 Zentimetern. Das jetzt neu vorgestellte Werkzeug kam im Juli 2024 zum Vorschein. Der neue Meißel ist älter, lag tiefer in der Erde und ist größer sowie massiver als die anderen. Mit einer Länge von 24,7 Zentimetern, einem Umfang von bis zu 10,4 Zentimetern und 168 Gramm Gewicht ist er das größte rundum bearbeitete Artefakt aus Elfenbein, das in der Höhle jemals gefunden worden ist.

Der Meißel ist ein Beispiel für prähistorisches Recycling

Hinzu kommt: Es handelt sich um ein recyceltes Stück. Dinge wertzuschätzen und wiederzuverwenden, bis man sie wirklich nicht mehr verwenden kann, sei ein normales menschliches Verhalten, sagt Wolf. Offen ist, welches Gerät zum Meißel umfunktioniert worden ist. Wolf meint, er sei zuvor womöglich ein Lanzenkopf gewesen. Dagegen spreche zwar, dass der Meißel einen runden Querschnitt hat; bei Lanzenköpfen sei dieser zumeist flach-oval, sagt sie. Möglich sei es dennoch. Nicholas Conard ist zurückhaltender; er spricht von einem großen Werkzeug unbekannter Funktion, das in einen Meißel umgearbeitet worden sei.

Dass das Gerät zuletzt als Meißel verwendet wurde, gilt als sicher. Davon zeugten ausgefranste Enden und Spuren von Abschlägen, erklärt Wolf. Sie hat mit einem Team experimentell untersucht, wie das Werkzeug verwendet worden sein könnte. Elfenbein sei ein gutes Material für einen Meißel, um Elfenbein zu spalten, sagt sie. Der Werkstoff sei zugleich hart und flexibel genug, es gebe nicht nach und splittere nicht.  Allerdings nutzten sich Elfenbeinmeißel bei der Arbeit wohl rasch ab.

Die damaligen Menschen auf der Schwäbischen Alb waren offensichtlich Experten in Sachen Mammutelfenbein. „Sie verfügten hier über eine immense Menge an Elfenbein“, sagt Sibylle Wolf, „sie hatten eine klare Vorstellung davon, was sie daraus herstellen wollten, sie hatten die manuellen Fähigkeiten dazu − und sie haben das geradezu exzessiv genutzt für Werkzeuge und Waffen, für figurative Kunst und Musikinstrumente sowie für persönliche Schmuckstücke.“ Wie genau sie arbeiteten, das sei nun zu erforschen. „Wir stehen noch ganz am Anfang.“ Man könne die Meißel vom Hohle Fels mit nichts vergleichen, was bekannt sei, sagt Wolf. Aber das sei auch der Reiz daran, in einer Höhle wie dieser zu graben.

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