Blamage in Kiel: Der im Stich gelassene Sahin hat kaum noch Argumente | ABC-Z
Nach der Blamage in Kiel und der schlechtesten Hinrunde seit zehn Jahren steigt der Druck auf Borussia Dortmunds Trainer Nuri Sahin. Die Hauptverantwortung für die Misere liegt jedoch nicht beim Coach. Vielmehr könnte er das nächste Opfer einer bedenklichen Entwicklung werden.
Die Antwort kam, bevor die Frage überhaupt gestellt wurde. „Was ich hier auf jeden Fall betonen will: Es liegt nicht am Trainer. Wir Spieler sind dafür verantwortlich“, sagte Emre Can, noch bevor Sky-Reporter Patrick Wasserzieher überhaupt auf das zu sprechen kam, was Can im Kopf hatte und was er unbedingt loswerden wollte.
Dass das Thema aufkam, war ja absehbar. Denn nahezu jeder Fußball-Fan fragt sich seit diesem Dienstag: Kann der BVB, der nach dem peinlichen 2:4 bei Holstein Kiel, Dortmund lag beim Aufsteiger bereits zur Pause 0:3 hinten, weiter an Boden auf die Champions League-Plätze verliert und – noch schlimmer – Gefahr läuft, seinen Ruf zu verspielen, in dieser Personalkonstellation ernsthaft weiter machen?
Normalerweise gäbe es nur eine Antwort darauf: nein.
Rickens Treuebekenntnis erst auf Nachfrage
Ein Trainer, der eine Ausbeute von 25 Punkten aus 17 Bundesligaspielen vorzuweisen und damit die schlechteste Dortmunder Hinrunde seit zehn Jahren zu verantworten hat – ein solcher Trainer hat bei einem Klub wie dem BVB kaum Argumente für eine Weiterbeschäftigung. Selbst wenn es sich um einen verdienten Ex-Spieler wie Nuri Sahin handelt.
Und auszuschließen ist es mittlerweile tatsächlich nicht mehr, dass es in dieser Saison in Dortmund zu einem Trainerwechsel kommen wird. Am Dienstagabend gab es zwar Rückendeckung für Sahin. Der Trainer stehe nicht zur Disposition, erklärte BVB-Sportchef Lars Ricken. Allerdings war das Treuebekenntnis erst nach auf Nachfrage gekommen. Und Rickens übrige Analyse viel überaus deutlich aus: „In dem Moment, mit solchen Spielen, ist es einfach peinlich und beschämend und auch unwürdig, wie wir die schwarz-gelben Farben hier repräsentieren.“
Sahin selbst sagte: „Ich habe die Kraft. Glauben Sie mir. Ich bin stark genug, habe genug in meinem Leben erlebt. Dass es mich stark trifft, ist doch klar. Ich habe fast alles diesem Verein zu verdanken. Ich weiß auch, wie der Fußball läuft. Der Fußball ist ein Ergebnissport. Daran werde ich gemessen.“
Die Lage ist ernst: Ausgerechnet in Zeiten, in denen die Konkurrenz in der Spitzengruppe der Liga stärker und breiter wird, läuft der BVB seinen eigenen Ansprüchen meilenweit hinterher. Es will einfach nicht gelingen, das eigene Potenzial regelmäßig abzurufen. Der Auftritt in Kiel fasste die Schwächen der nach Bayern München immer noch teuersten Mannschaft der Bundesliga, die in der laufenden Saison schon mehrfach zutage getreten waren, noch einmal brutal zusammen: die fatale Neigung, den Gegner nur zu bespielen statt zu bekämpfen. Ein naives Abwehrverhalten und eine verheerende Konteranfälligkeit. Vor allem aber: eine nicht schlicht nicht ausreichende Mentalität in Spielen, in denen es darauf ankommt, kämpferisch dagegenzuhalten.
Und Fakt ist auch: Für all diese Defizite, die mehr mit Einstellung als mit Qualität zu tun haben, trägt der Trainer die Verantwortung. Nuri Sahin bekannte sich am Dienstag auch klar dazu.
Vorbehalte aus Spielerkreisen gegenüber Terzic
Die Frage ist allerdings auch, ob er BVB seine Probleme lösen kann, falls – möglicherweise bei einer weiteren Niederlage am Freitag in Frankfurt oder erst nach Abschluss der Ligaphase in der Champions League zum Monatsende – tatsächlich der Trainer gewechselt werden sollte?
War es denn besser geworden, als sich der Klub 2022 von Marco Rose getrennt hatte oder als Edin Terzic im Sommer gegangen war? Die Vereinsführung hatte kein Vertrauen mehr in Rose gehabt, obwohl der die Mannschaft auf den zweiten Platz geführt hatte. Terzic spürte, dass es aus Spielerkreisen ihm gegenüber Vorbehalte gab – trotz des Erreichens des Champions League-Finales im vergangenen Juni.
Nein, durch die vergangenen Trainerwechsel hat sich bei Borussia Dortmund nichts verbessert. Im Gegenteil: So schlecht wie derzeit stand es lange nicht mehr um den Traditionsklubs. Sahin hat durch einige Fehler sicher seinen Teil dazu beigetragen.
Doch die tatsächlich Verantwortlichen stehen auf dem Platz. Es sind die Spieler, die einfach zu selten bereit sind, das zu tun, zu dem sie sich vertraglich verpflichtet haben: immer an die eigene Leistungsgrenze zu gehen. Und unter ihnen gibt es übrigens viele, die auch schon Rose und Terzic zur Verzweiflung gebracht hatten.
Wenn es so weitergehen sollte, ist es nicht auszuschließen, dass sie bald auch den nächsten Trainer auf dem Gewissen haben werden. Das wäre nicht nur für den BVB fatal – sondern auch rein menschlich fatal gegenüber Sahin.