Bildungsmisere: Fast ein Fünftel der jungen Männer in Deutschland hat keinen weiterführenden Abschluss | ABC-Z
In negativer Hinsicht liegt Deutschland über dem OECD-Durchschnitt: 16 Prozent der jungen Erwachsenen haben weder Abitur noch Berufsausbildung. Wesentlich öfter trifft das auf Männer als auf Frauen zu. Ein dramatischer Befund – zumal Deutschland viel mehr Geld in Bildung investiert als andere Länder.
Das sind schon wieder keine guten Nachrichten für das (ehemalige) Bildungsland Deutschland: Es gibt immer mehr junge Erwachsene, die weder Abitur noch einen Abschluss in der Berufsschule haben. Der Anteil dieser 25- bis 34-Jährigen liegt hierzulande bei 16 Prozent und damit über dem Durchschnitt der OECD-Industriestaaten, der bei 14 Prozent liegt.
Das betrifft vor allem Männer: Im vergangenen Jahr hatten 18 Prozent der jungen Männer keinen Abschluss im Sekundarbereich II, im Vergleich zu 15 Prozent der jungen Frauen. 2016 bestand hier noch kein Unterschied zwischen den Geschlechtern. Der Sekundarbereich II umfasst das Abitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung.
Das sind die Ergebnisse der jährlich erscheinenden Studie „Bildung auf einen Blick“, die Bildungssysteme in den 38 OECD-Ländern und einigen anderen ausgewählten Ländern vergleicht. Der Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf der Bildungsgerechtigkeit.
„Wir haben natürlich den Anspruch, zur Spitzengruppe zu gehören, wir erreichen jedoch bei den Ausbildungen im Sekundarbereich II nicht einmal den OECD-Durchschnitt“, sagte Jens Brandenburg (FDP), Staatssekretär im Bildungsministerium, bei der Vorstellung der Studie. „16 Prozent der jungen Erwachsenen haben keinen höheren Abschluss, das heißt, das 1,7 Millionen Erwachsene weniger Chancen auf ein auskömmliches Einkommen haben.“ Hier müsse etwas getan werden.
Das Erschreckende an den Ergebnissen der Studie ist, dass Deutschland trotz vergleichsweise hoher Bildungsinvestitionen keinen Erfolg erzielt. Seit 2015 wuchsen demnach die Ausgaben für die Bildung in Schulen um acht Prozent. Der Schnitt aller OECD-Länder stieg im selben Zeitraum nur um ein Prozent. Die durchschnittlichen jährlichen Ausgaben je Bildungsteilnehmer (Hochschulen inklusive) betragen in Deutschland 17.161 US-Dollar – gegenüber 14.209 US-Dollar im Durchschnitt der OECD-Länder.
Die jungen Menschen, die nur über einen mittleren Schulabschluss verfügen, haben es – trotz Fachkräftemangels – deutlich schwerer, einen Job zu finden. Nur knapp zwei Drittel der 25- bis 34-Jährigen ohne Abschluss im Sekundarbereich II sind in Deutschland erwerbstätig, 37 Prozent sind arbeitslos – verglichen mit lediglich 14 Prozent derjenigen, die Abitur oder einen Berufsschulabschluss haben. Diejenigen, die einen Job haben, verdienen deutlich weniger. Fast die Hälfte von ihnen (43 Prozent) verdient höchstens die Hälfte des Medianeinkommens, das bei 43.750 Euro Jahresbrutto liegt.
Je später die Einwanderung, desto besser die Abschlüsse
Die Frauen ziehen auf der höheren Bildungsebene an den Männern vorbei: Der Anteil von Frauen mit Bachelor-Abschluss hat sich nahezu verdoppelt und erreicht bei den 25- bis 34-Jährigen 40 Prozent nach 22 Prozent bei den 55- bis 64-Jährigen. Bei den Männern sind es nur 36 Prozent. Allerdings gibt Deutschland auch hier international kein gutes Bild ab: Im OECD-Schnitt liegt der Anteil der Frauen mit Bachelor-Abschluss deutlich höher (47 Prozent).
Noch immer wählen Frauen deutlich andere Studienfächer: Immerhin 21 Prozent der Studienanfängerinnen entscheidet sich für ein Fach aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik; bei den männlichen Studienanfängern sind es 53 Prozent. Der Anteil der Männer, die ein erziehungswissenschaftliches Studium aufnehmen, liegt hingegen bei nur vier Prozent.
Doch obwohl Mädchen und Frauen deutlich bessere Bildungsergebnisse aufweisen als Jungen und Männer, kehrt sich die Situation um, wenn sie in den Arbeitsmarkt eintreten. Das gilt vor allem für Geringqualifizierte. Lediglich 49 Prozent der jungen Frauen ohne Sekundarbereich-II-Abschluss sind erwerbstätig, bei den Männern sind es 74 Prozent. Dabei verdienen die Frauen 86 Prozent dessen, was ihre männlichen Altersgenossen verdienen.
Einen Hoffnungsschimmer für Deutschlands Bildungszeugnis gibt es, betrachtet man die Abschlussquoten der im Ausland geborenen Erwachsenen, die nach dem 16. Lebensjahr einwanderten. 31 Prozent von ihnen absolvieren eine Fachhochschule oder Universität – das ist fast so hoch wie der Anteil der im Inland Geborenen (35 Prozent).
Kurios erscheint allerdings folgender Zusammenhang: je später die Einwanderung, desto besser die Abschlüsse. Nur 23 Prozent derjenigen, die vor dem 16. Lebensjahr eingewandert sind, schaffen den Abschluss auf einer Uni oder Fachhochschule. Auch diese Werte liegen unter dem OECD-Durchschnitt. In anderen Ländern schaffen durchschnittlich 45 Prozent der Einwanderer einen Hochschulabschluss.
„Die Bedeutung der frühkindlichen Bildung wird immer größer“, sagte Udo Michallik (CDU), Generalsekretär der Kultusministerkonferenz. „Je früher die Kinder anfangen zu lernen, desto größer ist die Chance auf einen guten Abschluss in späteren Jahren.“
Deutschland investierte zwischen 2015 und 2021 stark in frühkindliche Bildung – mit einem Anstieg der Ausgaben von 42 Prozent. Dennoch sank die Quote der Drei- bis Fünfjährigen, die eine Kita besuchten, von 96 auf 93 Prozent. Im OECD-Durchschnitt stieg der Anteil von 79 auf 83 Prozent. Der Rückgang der Betreuungsquote in Deutschland ist auf die stark gestiegene Anzahl von Kindern im Kita-Alter (um 18 Prozent) zurückzuführen. Nirgendwo sonst in der OECD wuchs die Anzahl von Kleinkindern derart stark. Dies machte eine erhebliche Aufstockung der Zahl der Plätze in der frühkindlichen Bildung erforderlich.
Politikredakteurin Freia Peters berichtet für WELT über Familien- und Gesellschaftspolitik sowie Bildung.