Bildungskrise: So benoten die Deutschen Schulen und Bildungspolitik in ihren Bundesländern | ABC-Z
Bürger der 16 Bundesländer bewerten ihr jeweiliges Schulsystem stark unterschiedlich – das zeigt das Ifo-Bildungsbarometer. Es gibt ein klares Spitzenreiter-Land. Doch vor allem ein Missstand macht den Deutschen Sorge. Und sie sagen auch, welche Auswege aus der Bildungskrise sie unterstützen.
Die Zufriedenheit der Deutschen mit ihren Schulen lässt zu wünschen übrig: Im Durchschnitt bewerten sie die Qualität der allgemeinbildenden Schulen als mittelmäßig – nämlich mit der Note befriedigend (3,01). Große Unterschiede gibt es dabei allerdings zwischen den Bundesländern.
Während in Bayern 41 Prozent der Befragten ihrem Schulsystem eine Eins oder Zwei geben und im Schnitt die Note 2,77 erteilen, kommt Schlusslicht Bremen nur auf eine 3,5. Jeder Fünfte erteilt den Schulen dort sogar die Noten mangelhaft und ungenügend. Das ist ein zentrales Ergebnis des Bildungsbarometers 2024, das das Münchner Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) veröffentlicht.
Erstmals hat das Ifo in seiner jährlichen Umfrage zur Bildungsqualität auch repräsentative Einzelwerte für alle 16 Bundesländer erhoben. Wie benoten die Deutschen die Schulen ihres jeweiligen Bundeslandes? Inwieweit gelingt es den verschiedenen Bundesländern, einen guten Unterricht sicherzustellen? Und welche Reformen befürworten die Deutschen, um das Bildungssystem zu verbessern? Das sind die Fragen, die die Bildungsforscher den rund 9700 Befragten gestellt haben.
Spitzenreiter bei der Zufriedenheit mit den Schulen ist demnach Bayern vor Hamburg und Sachsen, die Schlusslichter sind Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Bremen. Vor allem in den Stadtstaaten sei die Bevölkerung dabei in der Bewertung sehr gespalten gewesen, heißt es in der Studie.
Und noch etwas stellen die Forscher fest: Die Beurteilung der Schulen hänge eng mit den Ergebnissen des Schülerleistungstests IQB-Bildungstrends 2022 zusammen. „Die hohe Korrelation deutet darauf hin, dass sich die Bevölkerung des Leistungsniveaus in ihrem Bundesland durchaus bewusst ist, beziehungsweise dass sich die persönlichen Einschätzungen mit den Ergebnissen der Leistungstests decken“, heißt es dazu in der Studie.
Noch schlechter als die Schulen hätten die Deutschen die Bildungspolitik in ihren jeweiligen Bundesländern bewertet, sagte Katharina Werner, stellvertretende Leiterin des Ifo-Zentrums für Bildungsökonomik. „Nur 20 Prozent der Deutschen vergeben die Noten 1 oder 2.“
45 Prozent bewerteten die Bildungspolitik im eigenen Bundesland mit der Note 3, etwas mehr als ein Drittel vergab sogar die Note 4, 5 oder 6. Auch hier gab es starke Unterschiede zwischen den Bundesländern. Während in Hamburg 30 Prozent der dortigen Bildungspolitik die Note 1 oder 2 geben, erteilten in Bremen 58 Prozent der Befragten die Note 4, 5 oder gar 6. „Dies spricht für eine außergewöhnlich hohe Unzufriedenheit der Bremer Bevölkerung mit der Bildungspolitik im eigenen Bundesland“, hält die Studie fest.
Lehrermangel und Migration als Risikofaktoren
Bei der Frage, welche Faktoren die Schülerleistungen in Zukunft beeinflussen werden, bereitet den Deutschen vor allem der Lehrkräftemangel Sorge: 78 Prozent erwarten, dass die Schülerleistungen dadurch negativ beeinflusst würden. Mehr als eine Zwei-Drittel-Mehrheit erwartet, dass zunehmende Unterschiede im familiären Hintergrund der Kinder und Jugendlichen negative Folgen für die schulischen Leistungen hätten. Und für 65 Prozent ist die Migration ein Risikofaktor für die Entwicklung der schulischen Leistungen.
Gespalten sind die Deutschen bei der Bewertung des Effekts von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz: 49 Prozent erwarten von Entwicklungen in diesem Bereich einen positiven Effekt, 38 Prozent einen negativen Effekt auf die Schülerleistungen. Nur zwölf Prozent glauben, dass sich durch den Vormarsch der neuen Technologien gar nichts an den Schülerleistungen ändere.
Was also ist zu tun, damit sich die Situation an den Schulen verbessert? Wie schon in der Vergangenheit setzen die Deutschen hier klare Prioritäten. 78 Prozent sprechen sich für höhere Bildungsausgaben aus – lediglich drei Prozent wünschen sich sinkende Ausgaben. Der Anteil der Bevölkerung, der sich für steigende Bildungsausgaben ausspricht, liegt zwischen 73 Prozent in Bayern und 86 Prozent in Brandenburg.
Eine klare Meinung haben die Deutschen auch zu der Frage, mit welchen Reformen es gelingen könne, die Basiskompetenzen der Schüler besser zu fördern. Eine überwältigende Mehrheit von 84 Prozent will dazu zunächst einmal in allen Bundesländern standardisierte Lernstandserhebungen zu Beginn des Schuljahres einführen, um einen Überblick zu bekommen, wo die Schüler noch Lücken haben und wie groß der Förderbedarf ist. Auch ein verpflichtendes 20-minütiges Lesetraining pro Tag für Grundschüler trifft auf hohe Zustimmung: 79 Prozent sind dafür, diese Maßnahme in allen Bundesländern einzuführen.
Und 81 Prozent sprechen sich dafür aus, alle Kinder im Alter von viereinhalb Jahren zu testen, um festzustellen, ob sie Sprachförderbedarf haben. Hamburg praktiziert das bereits: Kinder mit sprachlichen Defiziten werden dort automatisch kita- beziehungsweise vorschulpflichtig. Eine Maßnahme, die offenbar mehrheitsfähig ist, wie das Bildungsbarometer ergibt.
Zudem spricht sich eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Deutschland für eine allgemeine Kita-Pflicht für Kinder ab vier Jahren aus. „Trotz der historischen Unterschiede im Umgang mit Kindertagesbetreuungs-Angeboten vor der deutschen Wiedervereinigung finden sich interessanterweise in den Zustimmungswerten in den einzelnen Bundesländern kaum Unterschiede“, heißt es dazu in der Studie. In den westdeutschen Bundesländern sei die Zustimmung mit 68 Prozent ähnlich hoch wie in den ostdeutschen Bundesländern (70 Prozent).
Weniger beliebt ist hingegen die verpflichtende Ganztagsschule. Nur 52 Prozent sprechen sich deutschlandweit für einen Wechsel zu einem Schulsystem aus, in dem alle Kinder bis 15 Uhr in der Schule sind. Die niedrigsten Zustimmungswerte gibt es hierfür in Rheinland-Pfalz (44 Prozent), die höchsten in Hamburg (65 Prozent).
Und auch eine bayerische Besonderheit findet bei einer knappen Mehrheit von 53 Prozent Zustimmung: Die sogenannte Verfassungsviertelstunde, die im Freistaat in diesem Schuljahr eingeführt wird. An allen allgemeinbildenden Schulen soll künftig einmal pro Woche 15 Minuten lang statt des regulären Unterrichtsstoffs eine Textstelle aus Grundgesetz oder Landesverfassung behandelt werden, um den Schülern Wissen über demokratische Prozesse und politisches Verantwortungsbewusstsein zu vermitteln.
Politikredakteurin Sabine Menkens ist bei WELT zuständig für die Themen Familien-, Gesellschafts- und Bildungspolitik.