Bildhauer Guido Messer: Systemkritik in Bronze | ABC-Z

In seinem Kühlschrank lagern vier Kröten und der Kopf von Alexei Nawalny – aus Wachs. Schräg gegenüber sitzt Guido Messer auf einem Hocker über seinen Werktisch gebeugt. Unter einer Neonlampe formt er mit einem Skalpell eine weitere Wachskröte. „Das wird ein Unken-Depot“, erklärt der 84-Jährige: 18 Unken auf einem dreistufigen Podest, so der Plan. Es ist eine Anspielung auf den Klimawandel und das Artensterben. „Eine Unke ist eine Kröte und der Unkenruf gilt seit alters her auch als pessimistische Vorhersage“, sagt Messer. „Die Amphibien trifft es mit zuerst.“
Messer ist ein kleiner Mann mit grauen Haaren und Brille. Er trägt ein luftiges Kurzarmhemd und Birkenstocksandalen, es ist heiß hier in seinem Atelier in der Toskana. Auf seinem Werktisch stapeln sich Wachsreste, hinter ihm steht ein alter Apothekerschrank voller Werkzeuge: Feilen, Zangen, Pinsel, Meißel und Schnüre. Nicht nur seine Unken versteht der Bildhauer als Gesellschaftskritik. Sie steckt in all seinen Werken. Sein Antrieb: „Ein Unbehagen, das Gefühl, den Ist-Zustand ändern zu wollen.“
Immer wieder taucht der hohle Mensch in Guido Messers Arbeiten auf
Viele von Messers Arbeiten zeigen herrschende Typen: Politiker*innen, Wissenschaftler*innen oder Wohlstandsbürger*innen. Aktuell arbeitet er an einer „Testo-Skulptur“ mit dem Titel „Muskelpiel“, die an Typen wie Elon Musk und Donald Trump erinnern soll. Immer wieder taucht bei ihm der „hohle Mensch“ auf: ein nicht zu unterscheidende Typ Manager oder Politiker, der nicht zuhört, sondern durchregiert. Eine Arbeit in seinem Skulpturengarten etwa zeigt Köpfe von Wissenschaftlern mit gelben Fliegen und Sonnenbrillen. Die Bronzefiguren sind in der Mitte vertikal aufgeschnitten und leicht versetzt angeordnet. Von vorn wirken sie ganz, von der Seite offenbart sich ihre Hohlheit. Messer behandelt auch allgemeinere gesellschaftliche Fragen: von industrialisiertem Sex über Medienverblödung bis zu aktuellen Kriegen.
Messer ist seit Anfang der 1980er Jahre freier Bildhauer. Damals kauften er und seine Frau, Ruth Martha Messer, ihr Haus beim kleinen italienischen Bergdorf Sassetta. „Der Beweggrund für Italien war vor allem das Interesse an der Kunst, besonders an den Arbeiten der Bildhauer der Renaissance“, erzählt Ruth Messer.
Das steinerne Bauernhaus ist alt und sanierungsbedürftig, aber charmant. Der Boden ist aus Backstein und knarzigen Holzdielen, von der Wand blättert der Putz, vor dem Kamin steht ein kleiner Holztisch. Darauf ein frisch gebackener Pflaumenkuchen von Ruth Messer.
Hier verbrachten die Messers anfangs die eine Hälfte des Jahres und die andere in Korb bei Stuttgart. „Für die Kinder war es wertvoll, sowohl die deutsche als auch die italienische Schulbildung zu genießen und die kulturellen Unterschiede zu erleben“, erzählt Ruth Messer.
Zwei unterschiedliche Welten
Nach der Grundschule verlegte die Familie ihren Lebensmittelpunkt zunächst wieder nach Deutschland, da es auf dem Land für die Kinder keine Möglichkeit zur Ausbildung an verschiedenen Musikinstrumenten gab. Seitdem die Kinder ausgezogen sind, zieht es die Messers aber wieder jedes Jahr ab Februar nach Italien, ab Oktober zurück ins kalte Deutschland. Antizyklisch könnte man meinen, doch die Winter sind auch in dem italienischen Bergdorf kalt – Isolierung gibt es im alten Steinhaus keine.
„Es sind zwei völlig unterschiedliche Welten“, sagt Ruth Messer: „Einmal das Leben im Großraum Stuttgart mit Atelier im Gewerbegebiet in Korb und zum anderen in Sassetta mit einem völligen Eintauchen in die Natur.“
Das Pendeln zwischen den zwei Welten begreifen sie als Privileg: „Der Alltagstrott wird unterbrochen, es gibt Vorfreude auf die jeweils andere Situation, auch wenn die Umstellung jedes Mal mit viel Arbeit verbunden ist.“ Guido Messer hat in beiden Orten seine Werkstatt – alles, was er braucht.
Im Garten tummeln sich Oliven- und Haselnuss-, Feigen- und Pflaumenbäume, Bambus, Zypressen, Palmen – und Kunst. Erst auf den zweiten Blick sind die Skulpturen von Messer und befreundeten Stein- und Bildhauer*innen zu erkennen. Viele der Werke sind inzwischen mit der Natur verwoben: Bäume, Efeu, und die Sonne hinterlassen ihre Spuren darauf.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Messer lässt das zu. Er ist ein Naturfreund, beobachtet die Bussarde und Bienenfresser im Garten und erkennt jedes Tiergeräusch – dank Hörgerät. Die Ohren haben unter den vielen Flexarbeiten gelitten, damals gab es nur schlechten Gehörschutz. Ändern würde er heute jedoch nichts: „Ach, das ist wahnsinnig umständlich den Gehörschutz aufzuziehen. Man fängt einfach an zu arbeiten. Wer denkt da schon an die Gesundheit?“, sagt Messer lachend.
Mühsames Arbeiten
Er steht auf einer Leiter im Garten und pflückt Haselnüsse, die er später in aufwendiger Handarbeit pult und zum Trocknen auf die Planen vor dem Bauernhaus legt. „Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen“, sagt er. „Aber ich bin freischaffender Künstler, ich kenn’s ja.“
Die Arbeit ist zeit- und ressourcenintensiv. Hohe Materialkosten, aufwendige Produktion und ein begrenzter Kunstmarkt machen es schwer, von der Bildhauerei allein zu leben. Gleichzeitig wachsen digitale Kunstformen und Designberufe, sodass traditionelle Handwerkskünste zunehmend seltener werden. Auch deshalb gilt die Bildhauerei als aussterbender Beruf.
Guido Messer kommt zwar aus einer anderen Zeit, das große Geld ließ sich mit der Bildhauerei jedoch noch nie verdienen. Die Rente ist klein, das Bauernhaus zahlt das Ehepaar noch immer in Raten ab. Druck macht Messer sich trotzdem nicht. Stress? „Gibt’s nicht.“ Wochenende aber auch nicht. „Ich bin schon a bissl ehrgeizig manchmal“, sagt er, während er zurück in seiner Werkstatt an einer kleinen Figur feilt – ein sogenanntes „Zickezacke“-Männchen.
„Die sehen lustig aus“, sagt Messer und zeigt auf die drei kleinen Figuren mit verstecktem Hakenkreuz im Kopf. „Aber wenn sich eine Partei erneut auf diese Spur begibt, ist das überhaupt nicht lustig.“ Die Figuren spielen auf das NS-Marschlied „Zickezacke, Zickezacke, Heu! Heu! Heu!“ an, das auch im Sport und als Trinkspruch Verbreitung fand. Die Männchen sollen eine Mahnung mit Blick auf die AfD sein.
Daneben liegt eine Negativform von Alexei Nawalnys Kopf. Sie ist Teil von Messers Projekt „Memento Nawalny“, einer Gedenkstele für den russischen Oppositionellen. Sie soll im kommenden Jahr auf dem Korber Kopf aufgestellt werden: einem Berg in der Gemeinde Korb bei Stuttgart. In ihrer Heimatgemeinde veranstalten Ruth und Guido Messer seit 20 Jahren den Skulpturenrundweg „Köpfe am Korber Kopf“. Dazu werden jedes Jahr zehn Standorte vergeben, sieben an Profikünstler*innen, drei an Schulen oder Vereine. Die Skulpturen beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit Köpfen und stehen dort für ein Jahr. Messer selbst steuert jedes Jahr ein Werk bei. Die 19. Runde steht in diesem Jahr unter dem Motto Recycling.
Die Ideen gehen Messer nie aus. Er hört den ganzen Tag Radio, liest Zeitung, informiert sich über neue Social-Media-Trends und Feminismus. All das liefert ihm Inspiration für neue Arbeiten – und Freude. „Wenn ich meine Arbeit habe und damit zufrieden bin, kann mir der Rest gestohlen bleiben“, sagt er genügsam. Die Voraussetzung: „Es muss Spaß machen. Sonst kannst du’s lassen.“ Nicht mehr fit sein, ist nicht. „Dazu habe ich noch zu viel vor“, sagt Messer. Er wirft die Hände in die Luft und lacht: „Ich lebe, ich lebe!“





















