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Berufswahl: Wenn Jugendlichen die Orientierung nach dem Abitur fehlt | ABC-Z

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Wenn Jugendlichen die Orientierung nach dem Abitur fehlt


Mi 23.07.25 | 06:14 Uhr | Von David Donschen

dpa

Audio: rbb24 Inforadio | 23.07.2025 | Christina Rubarth | Bild: dpa

Lana aus Berlin hat ihr Abi – und keine Ahnung, wie es weitergeht. Damit ist sie nicht allein: Immer mehr Abiturient:innen fühlen sich nach dem Abschluss überfordert. Das liegt nicht nur an der zunehmenden Auswahl an Möglichkeiten. Von David Donschen

Lana schaut sich auf ihrem Handy Videos und Fotos aus dem vergangenen Sommer an: Jubel bei der Zeugnisvergabe, ihr langes blaues Kleid beim Abiball, stolze Blicke in die Kamera. Damals freut sie sich auf die Zeit nach dem Abitur. “Endlich frei sein und mein Leben leben”, sagt die heute 20-Jährige aus Berlin-Reinickendorf. Einen Monat lang geht sie auf Partys und entspannt sich nach der anstrengenden Prüfungsphase. “Dann kam auf einmal der Gedanke: Was jetzt?” Einen Plan, wie es weitergeht, hatte sie damals nicht.

Im Verlauf der letzten zehn Jahre hat sich die Zahl der Unentschlossenen deutschlandweit in den Abitur-Abschlussjahrgängen tatsächlich erhöht. Dies zeigt eine aktuelle Auswertung des Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) [www.dzhw.eu]. Demnach stieg die Zahl von 13 Prozent der Absolvent:innen im Jahr 2012 auf 16 Prozent im Jahr 2022.

Wunsch nach mehr Orientierung durch die Schule

Lana weiß nach dem Abitur nicht, welcher Beruf überhaupt zu ihr passt. Eventmanagerin kann sie sich gut vorstellen. Aber gibt es da sichere Jobs? Oder Lehrerin. Da dauert ihr das Studium mit dem anschließenden Referendariat zu lange. Lana ist überfordert. “Ich hab mich hilflos gefühlt und oft geweint.”

Sie hätte sich im Rückblick mehr Orientierung von den Lehrkräften und der Schule gewünscht. “Da kam in der Abizeit keiner auf uns zu und hat gesagt, informiert euch rechtzeitig, damit ihr nach dem Abi was habt.” Eine repräsentative Umfrage der Bertelsmann-Stiftung von 2024 [www.bertelsmann-stiftung.de] hat ergeben, dass sich bundesweit am häufigsten Abiturient:innen von der Schule zu wenig unterstützt fühlen, wenn es um den Übergang von Schule zu Beruf geht. Demnach bemängeln 43 Prozent der befragten Abiturient:innen in der Schulzeit keine guten Beratungsangebote mit Blick auf eine Ausbildung bekommen zu haben, mit Blick auf das Studium waren es 42 Prozent.

Überforderung angesichts der Vielzahl an Möglichkeiten

Dabei ist Orientierung wichtiger denn je: “Es gibt heutzutage viel mehr Studiengänge und Ausbildungsberufe als früher”, erklärt Jennifer Zwiebel. Sie ist Beraterin bei der Berliner Jugendberufsagentur der Agentur für Arbeit. Regelmäßig besucht Zwiebel Schulen. Immer wieder trifft sie dabei auf Jugendliche, die aufgrund der Vielzahl an Möglichkeiten überfordert sind. Dazu komme, dass die Jugendlichen in den sozialen Medien bombardiert werden mit Ideen für das spätere Berufsleben. Da brauche es mehr Hilfestellung. Ziel der Berufsberater:innen: “Mit jedem Jugendlichen im Jahr vor dem Abitur mindestens einmal zu sprechen.”

Die 19-jährige Ada aus Pankow hat dieses Angebot mehr als einmal angenommen. Sie ist gerade mit ihrem Abi fertig geworden. Im Gegensatz zu Lana hat Ada sich schon früh mit der Frage beschäftigt, was nach dem Abitur kommt. Hinter ihr liegen mehrere Praktika: von der Tierarztpraxis bis zum Marketing.

“Ich hatte auch Momente, in denen ich verzweifelt war und dachte: Es gibt so viel und ich weiß nicht, was das richtige für mich ist.” Geholfen haben ihr die Gespräche mit Jennifer Zwiebel. Teilweise wöchentlich besucht sie die Berufsberaterin in der Oberstufe. Auch, weil ihr die Berufsorientierung an ihrer Schule nicht ausreicht. “Ich hätte mir da mehr gewünscht. Gerade weil man so viel mit dem Schulstoff beschäftigt ist, dass man gar nicht dazu kommt, sich zu fragen, wie es nach dem Abitur weitergeht”, so die 19-Jährige

Abiturientin Ada (Quelle: rbb/Rubarth)Abiturientin Ada hatte mehrere Gespräche bei der Berufsberatung

Handlungsspielraum der Schulen

Sowohl in Berlin als auch in Brandenburg gibt es an jeder Schule mindestens eine Lehrkraft, die für die berufliche Orientierung zuständig ist. Gemeinsam mit Berufsberater:innen wie Jennifer Zwiebel sollen sie den Abiturienten:innen Hilfestellung bei der Suche nach einem Studien- oder Ausbildungsplatz geben. Festgelegt wird das in den jeweiligen Verwaltungsvorschriften oder Konzepten der Länder Brandenburg [mbjs.brandenburg.de] und Berlin [www.berlin.de]. Doch wie viel Raum genau dem Thema berufliche Orientierung in der Oberstufe eingeräumt wird, entscheidet jede Schule individuell.

Auch Lana erinnert sich an den Besuch der Berufsberatung der Jugendberufsagentur in ihrer zwölften Klasse. “Freunde von mir, die noch keine Ideen hatten, denen wurde nicht wirklich geholfen.” Sie sollten einen Onlinetest zur Berufsorientierung machen und dann für sich weiterschauen. Lana selbst schrieb auf einen Zettel ihren damaligen Berufswunsch Eventmanagerin. Anschließend bekam sie von der Agentur für Arbeit regelmäßig Stellenanzeigen zugeschickt. “Damals dachte ich aber noch nicht daran, mich zu bewerben. Ich steckte ja noch mitten im Abi.”

Langfristige Begleitung

Besonders an Gymnasien gibt es noch Luft nach oben, so die Einschätzung von Andrea Zimmermann vom Netzwerk Zukunft: Schule und Wirtschaft für Brandenburg e.V..

Das Netzwerk bringt Schulen, Unternehmen und Eltern beim Thema berufliche Orientierung zusammen. Die Lehrkräfte an Gymnasien seien oft darauf fokussiert, dass die Schüler:innen einen guten Abschluss bekommen. Berufliche Orientierung falle im eng getakteten Lehrplan häufig hinten runter. Dabei könne sie relativ einfach in den Unterricht integriert werden. “Zum Beispiel, wenn ich in einem Fach über Hobbys und Interessen spreche oder individuelle Stärken der Schüler:innen herausarbeite, dann sind das Beiträge zur beruflichen Orientierung”, so Zimmermann.

Wichtig sei, dass die Schulleitungen berufliche Orientierung als etwas Wichtiges begreifen und entsprechend das gesamte Lehrkollegium mitnehme. “Es geht darum, eine wirklich systematische berufliche Orientierung über mehrere Schuljahre hinweg anzubieten, die auch in den Rahmenlehrplan eingebettet ist.”

Abiturientin Lana (rbb/Rubarth)Abiturientin Lana macht nun ein duales Studium bei der Berliner Steuerverwaltung

Zusage zum dualen Studium

Bei Lana dauert es ein dreiviertel Jahr, bis sie etwas gefunden hat. “Ich habe mich einfach auf alles beworben.” Justiz, Polizei, Bezirksämter. Um die Zeit zu überbrücken, arbeitet sie als Verkäuferin im Baumarkt. Dann im April endlich die erlösende Zusage für ein duales Studium zur Finanzwirtin. Ihr zukünftiger Arbeitgeber ist die Berliner Steuerverwaltung. Lana rät allen Abiturient:innen, sich spätestens ein Jahr vor dem Abi hinzusetzen und zu überlegen, was danach kommen soll. “Ich bin schon ein bisschen sauer auf mich, dass ich das nicht früher gemacht habe. Auch wenn jetzt am Ende alles gut ist.”

Sendung: rbb24 Abendschau, 23.07.2025, 19:30 Uhr

Beitrag von David Donschen


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