Berlin

Berliner Volksbühne “Goodbye Berlin”: Apokalypse mit viel Klamauk | ABC-Z

Berliner Volksbühne “Goodbye Berlin”

Apokalypse mit viel Klamauk


Fr 31.10.25 | 11:54 Uhr | Von Frank Schmid

Thomas Aurin

Audio: rbb24 Inforadio | 31.10.2025 | Frank Schmid | Bild: Thomas Aurin

Ihr neues Stück “Goodbye Berlin” gerät als Totentanz zum Abschieds-Statement der Berliner Choreographin Constanza Macras von der Berliner Volksbühne – und ist gleichzeitig Warnung vor einer Wiederkehr der düsteren Vergangenheit. Von Frank Schmid

Die Berliner Choreographin Constanza Macras zählt seit fast 30 Jahren zu den wichtigsten Tanzkünstlerinnen der Stadt. Und dennoch hat sich Matthias Lilienthal, der künftige Intendant der Berliner Volksbühne entschieden, ihre Stücke ab September 2026 nicht mehr am Haus zeigen zu wollen, was in den letzten Tagen in der Berliner Kulturszene für viel Wirbel gesorgt hat. Gestern hat Constanza Macras an der Volksbühne ihr neues Stück zur Uraufführung gebracht, das ausgerechnet “Goodbye Berlin” heißt.

Tanz am Abgrund

Dieses Stück wirkt nun wie ein Abschieds-Statement von Macras: seht her, das verliert die Volksbühne, das verliert Berlin, wenn ich weggehen sollte. Es ist ein zweieinhalbstündiger Irrsinn an Einfällen, politisch, verzweifelt und skurril-komisch, eine Unterhaltungsshow auf höchstem Niveau – ein Tanz am Abgrund.

Christopher Isherwood: “Goodbye to Berlin”

Der Titel des Stückes, der jetzt eine neue Bedeutung bekommen hat, bezieht sich eigentlich auf den berühmten Roman von Christopher Isherwood “Goodbye to Berlin”, der Vorlage war für das “Cabaret”-Musical und den “Cabaret”-Film. Isherwood Anfang der 1930er in Berlin, sein Rückblick auf die Goldenen Zwanziger, der Aufmarsch der Nazis, der kommende Untergang – das ist der historische Hintergrund für diese Revue, in der Macras aus der Gegenwart in die Vergangenheit blickt.

Tanz der Toten, Skelette und Geister

Das tut sie mit einem Tanz der Toten, Skelette und Geister. Es ist ein Stück über den Tod, das Sterben, die Apokalypse und das vergnüglich-unterhaltsam und mit viel Klamauk. Wir steuern in unserer Gegenwart auf den Untergang zu und ziehen keine Lehren aus der Vergangenheit, so die Botschaft. Es sitzen wieder Nazis im Reichstag, heißt es einmal, bevor Bilder von Berlin 1945 in Trümmern zu sehen sind und die Tänzer wieder als Skelette herumtorkeln und vergeblich nach Hoffnung suchen. Was kann uns noch Hoffnung machen in dunklen Zeiten? Rausch und Exzess sind es nicht, so Frage und Antwort von Constanza Macras.

Wilde Partynächte, Drogenexzesse – Verdrängung, Nicht-Wahrhaben-Wollen

Im wilden Partyleben sieht Macras eine Parallele von den 1920er Jahren zu unserer Gegenwart, eine Parallele vor allem in der Verdrängung, im Nicht-Wahrhaben-Wollen. Damals wie heute stürzen wir uns in Konsum, in wilde Partynächte und Drogenexzesse. Einmal wird aufgezählt, welche Partydrogen heute beliebt sind, Tänzer in knappsten Lack- und Leder-Kostümen balzen in Kit-Kat-Berghain-Techno-Musik-Tänzen herum, es wird geliebt und Sex gemacht, als gäbe es kein Morgen, man feiert tagelang durch, um dann tagelang in Depression zu versinken.

Die sogenannten Goldenen Zwanziger, die nicht für alle golden waren, der Untergang der Weimarer Republik, das Ende der Demokratie, die Untergangs-Ängste und das verzweifelte Gegen-Die-Angst-Anfeiern – das sind die Parallelen, die Macras von damals zu heute zieht.

Welche Werte würdest du verraten

Bei alldem spielt Isherwoods Roman eine zentrale Rolle. Er wird nacherzählt von einem wiedergekehrten Geist der 20er, der durch das Berlin von Heute stolpert, in dem die Sirenen heulen und der sich an die liebenswerte, eigentlich liberale Pensionswirtin Fräulein Schröder aus Isherwoods Roman erinnert, die nach der Wahl 1930 Hitler gar nicht mehr so schlimm findet und sagt, der könne auch mal eine Chance bekommen. Sie passt sich an, sagt der Geist der Vergangenheit und fragt ins Publikum: wie weit würdest du gehen, welche Werte würdest verraten, um am Leben zu bleiben?

Sammlung verrückter Einfälle

Diese Frage steht wie eine Mahnung in dieser wüsten Sammlung verrückter, absurder, skurriler Einfälle. Die Tänzerinnen und Tänzer tanzen und singen und hangeln sich halbnackt an Stangen und Seilen rauf und runter, zeigen expressionistische Tänze jungfräulicher barfüßiger Wesen in wallenden weißen Kleidern wie im deutschen Ausdruckstanz.

Es gibt unentwegt Prügeleien mit Keulen, Schwertern, Maschinenpistolen – die Menschheit hat sich schon immer gern massakriert, soll das wohl heißen. Macras zitiert sich wieder durch die Popkultur, v.a. Filme: Stummfilm, John-Wayne-Persiflage, Albernheiten über Superhelden-Filme. Es gibt Disco-Tänze zu “Staying Alive” von den Bee Gees und Tänze in Käfigen und in viel Gold-Glitzer vorm silbernen Vorhang.

Ein Tanz an der Klippe

Es gibt aber auch die Geschichte von einer Frau aus Istanbul, deren Vater aus politischen Gründen verhaftet und gefoltert wurde und die sich jetzt in der Berliner Partyszene selbst betäubt oder die Geschichte vom Jungen aus Spandau, der herausfindet, dass sein geliebter Großvater ein überzeugter Nazi war. Das ist ein Tanz an der Klippe – das Bild der Goldenen 20er ins Heute projiziert.

Nach zweieinhalb Stunden verlässt man etwas aufgewühlt, gut unterhalten und ziemlich besorgt um unsere Gesellschaft und unsere Zukunft das Theater und wankt etwas betäubt durch Berlin-Mitte.

Dieses Stück ist düsterer und verzweifelter als die früheren von Constanza Macras und zugleich eine schräge, klamaukige Revue- und Varieté-Unterhaltungs-Show, nur dass einem manchmal das Lachen im Hals stecken bleibt.

Es gibt auch hier, wie eigentlich immer bei Constanza Macras einige Längen, aber das Stück zerfasert nicht wie sonst so oft, die Collagetechnik funktioniert, das Singen, Tanzen, Spielen, die Videos, die Akrobatik, all die Show-Verrücktheiten stehen im Dienst einer ernsten politischen Bestandsaufnahme.

Lilienthal sollte Entscheidung überdenken

Eines der besten Stücke von Constanza Macras, bedeutsamer als die letzten Stücke von Marlene Monteiro Freitas oder Florentina Holzinger, für die sich Matthias Lilienthal anstatt von Macras entschieden hat. Nach “Goodbye Berlin” sollte er seine Entscheidung noch mal überdenken und Constanza Macras am Haus halten.

Sendung: rbb24 Inforadio, 31.10.2025, 07:55 Uhr


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