Berliner Nachtleben: Ausgenörgelt | taz.de | ABC-Z

Fast immer geht es dabei um nächtlichen Lärm. Es wird geklagt, sich beschwert, das Ordnungsamt in die Spur geschickt. Bis Ruhe in der Partykiste ist.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat jetzt in einem Eilverfahren entschieden, dass Außengastronomie Teil einer über Jahre gewachsenen Ausgehkultur in vielen Kiezen ist, den tatsächlich oder vermeintlich lärmempfindliche Anwohner:innen im Zweifel auch nachts hinnehmen müssen. Zuerst hatte der Tagesspiegel berichtet.
Im konkreten Fall hatte sich der Betreiber der Bar „Schwarzsauer“ in Prenzlauer Berg gegen eine vom Bezirksamt Pankow angeordnete „Sperrzeit“ gewehrt. Seit Ende vergangenen Jahres durften vor der Bar in der Kastanienallee ab 22.30 Uhr „keine Tische, Sitzgelegenheiten oder sonstige Verweilmöglichkeiten vorgehalten werden“.
Beschweren, bis das Ordnungsamt springt
Auch hier ging die Anordnung des Bezirksamts auf Beschwerden aus der Nachbarschaft zurück. Genauer: auf die eines einzigen Anwohners. Der wohnt zwar gut 100 Meter vom „Schwarzsauer“ entfernt, in einer Seitenstraße. Das hielt ihn aber nicht davon ab, gegen den nächtlichen Lärm zu Felde zu ziehen. Das Ordnungsamt in Pankow sprang artig über das Stöckchen.
Nun sagt das Gericht: Der nicht mal in Sichtweite lebende Anwohner sei von dem Barbetrieb „nicht qualifiziert betroffen“, er könne „von deren Emissionen nicht gestört werden“. Daher sei auch die vom Bezirksamt angeordnete Beschränkung unzulässig. Es brauche schon eine nachvollziehbar größere Gruppe von Anwohner:innen, die sich durch die Geräuschkulisse gestört fühlen.
In der Begründung geht das Gericht aber noch weiter. Ein Kiez in der Innenstadt, heißt es hier, könne nun mal nicht „die von seinen Bewohnenden geschätzten Vorteile der kurzen Wege und vielfältigen Angebote ohne die damit zwingend einhergehenden Emissionen bieten“.
Bei nächtlichem Lärm handele es sich daher „um für innenstädtische Verhältnisse, zumal in Berlin, typische Belastungen“. Ein „ausgeprägtes außengastronomisches Angebot bis weit nach 22 Uhr“ stelle in vielen Ausgehkiezen Berlins sogar „den sozialen Standard“ dar.
Urteil mit berlinweiter Bedeutung
Das gelte für die Kastanienallee ebenso wie für die Simon-Dach-Straße in Friedrichshain, den Mehringdamm in Kreuzberg oder die Weserstraße in Neukölln. Eine kleine Erinnerungshilfe für viele Dauerbeschwerer:innen in der Nachbarschaft liefert das Gericht gleich mit. So stellt es fest, dass diejenigen, die dort in den letzten Jahrzehnten hingezogen sind, dies „in Kenntnis der besonderen Gemenge- und Immissionslage in einer hochverdichteten Innenstadt“ taten.
Für viele Kneipen, Bars und Clubs, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten eben nicht nur von hohen Mieten und gestiegenen Betriebskosten, sondern auch von klagewütigen Anwohner:innen in die Knie gezwungen wurden und schließen mussten, kommt der Beschluss zweifellos zu spät. Aber ist er wenigstens die Rettung für die verbliebenen Amüsierbetriebe? Heißt es jetzt: Feiern ohne Auflagen und bis zum Umfallen? Vermutlich nicht.
Auch wie die Behörden mit dem Urteil zum Einzelfall „Schwarzsauer“ umgehen, ist noch unklar. Das Bezirksamt Pankow etwa will sich zu den Konsequenzen des Urteils aktuell nicht äußern, die zuständige Stadträtin ist im Urlaub.
In Friedrichshain-Kreuzberg wiederum erkennt das Bezirksamt in dem Beschluss zwar „rein rechtlich nicht viel Neues“. Bemerkenswert sei aber, dass er „tendenziell zugunsten der Gaststätten-Betreiber:innen und zulasten Anwohnender“ gehe. Das könnte „künftig zu beachten sein“, teilt das Bezirksamt zurückhaltend mit.
Zustimmung bei den Grünen, Skepsis bei der Linken
Auch wenn es sich zunächst nur um eine Einzelfallentscheidung handelt: Julian Schwarze sieht das Urteil weitaus positiver. Der Sprecher für Clubkultur der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus sieht darin vor allem eine Stärkung gewachsener Kiezstrukturen. „Kieze leben von ihrer Vielfalt, dazu gehört auch das Nachtleben“, sagt Schwarze zur taz. Es sei absolut begrüßenswert, dass künftig nicht mehr eine Einzelperson die Nachbarschaft „nach ihrem Willen verändern kann“.
Zweifel kommen dagegen von der Linken. Gerade in Partykiezen sei die Belastung für Anwohner:innen nun mal besonders groß, das müsse berücksichtigt werden. „Berlin ist eben nicht nur eine Stadt, die niemals schläft, sondern eben auch eine Stadt, in der die Menschen schlafen wollen“, sagt Niklas Schenker, der clubpolitische Sprecher der Linksfraktion, zur taz.
Es sei zwar gut für Bars und Clubs, dass sie sich in Zukunft auf den Gerichtsbeschluss beziehen können, um gegen rigide Vorgaben der Ämter vorzugehen, so Schenker weiter. Nur dürfe man dabei die Anwohner:innen nicht komplett aus dem Blick verlieren.