Kultur

Berliner Label Haderlump eröffnet Laden | ABC-Z

Smalltalk, Absätze und Gläserklirren verstummten, als Pianist John Carlsson am Freitagabend die ersten Töne anschlug. Mit dem Klavier breitete sich eine ruhige, beinahe andächtige Atmosphäre über die 200 Quadratmeter große Ladenfläche in Berlin-Kreuzberg aus – ein Moment, um innezuhalten und den Blick schweifen zu lassen über Glas, Beton und Stahl: die neue Ära von Haderlump.

Zwei, die diesen Moment besonders herbeigesehnt haben, sind Johann Ehrhardt und Julius Weißenborn, die das Label 2021 gegründet haben. Noch eine Stunde vor der Eröffnung hatte Ehrhardt Dübel gebohrt und Bilder aufgehängt. Jetzt ist er fertig: der Flagship-Store, der Geschäft, Atelier und Begegnungsstätte zugleich ist.

Sämtliche Wände des Stores sind verglast, Besucher können dem zehnköpfigen Team künftig beim Nähen, Zuschneiden und Konstruieren zuschauen. Diese konsequente Transparenz war Ehrhardt und Weißenborn besonders wichtig: Besucher und Kundschaft sollen das Herz der Marke direkt erleben können. Die feine Handarbeit ist das Erfolgsrezept von Haderlump – neben konzeptstarken Shows, der dunklen, urbanen Designsprache und der ausschließlichen Verarbeitung von Deadstock, also übrig gebliebenen Stoffresten.

Ehrhardt arbeitete zuvor als Kellner und Barkeeper

Bevor Ehrhardt Mitgründer eines der aktuell spannendsten Berliner Labels wurde, sah sein Weg ganz anders aus. Aufgewachsen im brandenburgischen Templin machte er erst eine Ausbildung in der Gastronomie und arbeitete mehrere Jahre als Kellner und Barkeeper. In dieser Zeit habe er gelernt, was es heißt, innerhalb hierarchischer Strukturen zu arbeiten, so der 31-Jährige. Etwas, das er bei Haderlump bewusst anders gestalten wollte – das Team sei absolut gleichberechtigt, wie ein Kollektiv.

Das Nähen entdeckte Ehrhardt eher zufällig wieder: Durch Gespräche über einem Kasten Bier in seiner damaligen WG kam die Erinnerung an einen Nähkurs in der achten Klasse zurück. Zusammen mit seinem Mitbewohner kaufte er sich daraufhin eine Nähmaschine – und machte in seiner Freizeit nichts anderes mehr. Teilweise nähte er 14 Stunden am Stück Kleidung für Freunde.

Obwohl das Nähen zunächst nur ein Hobby war, entschloss er sich mit 23 Jahren, Mode zu studieren. Nach dem Abschluss gründete er vor knapp vier Jahren gemeinsam mit Julius Weißenborn Haderlump. Jahrelang waren sie mit ihrem Atelier in Berlin-Neukölln angesiedelt. Ein Ort, der viel Charme, aber ebenso viele Einschränkungen mit sich brachte: nicht gerade zentral gelegen, improvisiert eingerichtet, ohne Warmwasser, ohne eigene Toiletten und mit begrenztem Platz für ein wachsendes Team und regelmäßige Besucher. „Es schwang auf jeden Fall Nostalgie dabei mit, das alte Atelier zu verlassen. Aber es war der richtige nächste Schritt“, so Ehrhardt.

Bei der Eröffnung des Haderlump-Stores spielt der Pianist John Carlsson.Isabell Gielisch

Die letzten Wochen waren für Haderlump ein Wettlauf gegen die Zeit. Bühnenoutfits für die Rapper SSIO und Luciano mussten fertiggestellt, der neue Laden renoviert, die kommende Kollektion für die Fashion Week entwickelt und parallel die Ware für den Store genäht werden. „Wir haben uns die Finger blutig genäht“, sagt Ehrhardt. Der Flagship-Store bedeutet eine deutliche Umstellung der bisherigen Arbeitsweise. Bislang hatten sie fast ausschließlich „on demand“ gearbeitet, das heißt: Eine Bestellung kam über den Onlineshop rein und wurde erst dann genäht. Nun musste erstmals eine größere Auswahl an Teilen aus der Ready-to-Wear-Linie in verschiedenen Größen vorproduziert werden, damit sich die Kundschaft durchprobieren kann.

Geplant war ein eigener Store ursprünglich nicht – wie so vieles in der noch jungen Geschichte des Labels. „Wir haben nie geplant, Bühnenoutfits zu machen. Wir haben nie geplant, Runway-Shows zu machen. Wir haben immer einfach das gemacht, was sich richtig angefühlt hat“, sagt Ehrhardt. Zum ersten Mal denkt das Team nun zwei Jahre im Voraus. „Das fühlt sich schön an, weil man merkt: Wir werden professioneller.“ Möglich wurde dieser Schritt auch durch die Beteiligung von Unternehmer Marc Sasserath, der in einem schwierigen Marktumfeld entscheidende Stabilität gibt.

Warum ein physischer Laden im Zeitalter des Onlineshoppings? Ehrhardt formuliert es deutlich: „Onlinehandel ist nicht so unseres. Bestellungen haben wir genug – aber Werbung schalten oder klassischer B2B-Handel fühlen sich für uns falsch an.“ Stattdessen setzt Haderlump auf organisches Wachstum und Community-Building. Direkter Austausch mit Kundschaft, Feedback, Einladungen zu Events – dafür sei ein Store ein Muss. „Nach Corona zieht es die Menschen wieder hinaus, sei es ins Kino oder in Läden, auch um diese Momente zu fotografieren und zu posten. Etwas paradox – aber so ist das nun mal.“

Dass dieser Ansatz funktioniert, zeigte bereits das Eröffnungswochenende: Hunderte Unterstützer und Fans der Marke kamen, darunter Berliner Prominenz wie der Künstler und Berghain-Türsteher Sven Marquardt, Rapper Gianni Suave oder Christiane Arp, Vorsitzende des Fashion Council Germany.

Und als die letzten Töne des Klaviers am Freitagabend verhallten, wurde spürbar: Dieser Laden ist mehr als eine neue Ära für Haderlump. Er markiert ein neues Selbstbewusstsein handgemachter Mode in Deutschland – und zeigt, dass Berliner Schneiderkunst wieder einen Ort hat, an dem sie sichtbar, erlebbar und wertgeschätzt wird.

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