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Berliner Hochschulgesetz ist in Teilen verfassungswidrig – Beschwerde der HU stattgegeben | ABC-Z

Beschwerde der HU stattgegeben

Berliner Hochschulgesetz ist in Teilen verfassungswidrig


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Audio: rbb24 Inforadio | 10.07.2025 | Mathias Wetzl | Bild: picture alliance/dpa/Matthias Balk

Das Land Berlin wollte Hochschulen verpflichten, Nachwuchswissenschaftlern mehr unbefristete Stellen anzubieten. Die Humboldt-Universität wehrte sich dagegen am Bundesverfassungsgericht – mit Erfolg.

  • Bundesverfassungsgericht erklärt Entfristungsregel im Berliner Hochschulgesetz für verfassungswidrig
  • Land Berlin kann Universitäten keine Entfristung für Promovierte vorschreiben
  • Senatsverwaltung will neue Positionen schaffen, um neben der Professur attraktive Karrierewege in der Wissenschaft zu ermöglichen

Die im Berliner Hochschulgesetz verankerte Entfristungsregelung für promovierte wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist verfassungswidrig und damit nichtig. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden und am Donnerstag mitgeteilt. Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde der Humboldt-Universität (HU) hatte demnach in Karlsruhe Erfolg.

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen den umstrittenen Paragrafen 110 im Berliner Hochschulgesetz. Danach sind die Hochschulen verpflichtet, allen befristet auf einer Qualifikationsstelle beschäftigten promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach Ende ihres Arbeitsvertrages eine unbefristete Beschäftigung anzubieten, wenn ihr ausgemachtes Qualifikationsziel erreicht wurde.

Die Vorschrift greife in das Grundrecht auf Freiheit der Wissenschaft ein, begründete das Gericht in seiner Entscheidung. Außerdem fehle dem Land Berlin die nötige Gesetzgebungskompetenz.

Frühere HU-Präsidentin trat aus Protest zurück

Das von der damaligen rot-rot-grünen Landesregierung reformierte Hochschulgesetz trat im September 2021 in Kraft und löste schon damals heftige Debatten aus. Die frühere HU-Präsidentin Sabine Kunst trat aus Protest gegen die darin enthaltene Entfristungsregelung für sogenannte Postdocs zurück. Die Weichenstellungen des Gesetzes halte sie “für gut gemeint, aber schlecht gemacht”, begründete Kunst ihren Schritt damals. Die Änderungen gefährdeten die exzellente Weiterentwicklung und letztendlich den Wissenschaftsstandort Berlin.

Die Uni kritisierte, das Land Berlin habe seine Gesetzgebungskompetenz überschritten – und reichte Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Im Jahr darauf wurde die Anwendung der Norm vom Gesetzgeber zunächst temporär ausgesetzt. Die Übergangsregelung wurde immer wieder verlängert und die Anwendung daher bis heute vertagt.

Koalition will neue Stellenprofile schaffen

Die wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD, Maja Lasic, hat den Versuch, Nachwuchsakademikerinnen und -akademikern möglichst in Festanstellungen bringen zu wollen, verteidigt. “Wir haben uns mehr Stabilität für den Mittelbau in Universitäten gewünscht”, sagte Lasic dem rbb. Die Koalition strebe nun an, über andere Wege langfristige Anstellungen für den akademischen Nachwuchs zu schaffen.

Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) dankte dem Bundesverfassungsgericht für die rechtliche Klarstellung. Der Senat habe die Kritik an dem Gesetz ernst genommen, teilte Czyborra mit. Deswegen sei die Umsetzung bislang ausgesetzt worden. Mittlerweile liegt ein Gesetzesentwurf der aktuellen Berliner schwarz-roten Koalition vor, in dem die Entfristungsvorschrift wegfällt.

“Um den Grundgedanken der gegenwärtigen Regelung – mehr Sicherheit und Planbarkeit im akademischen Mittelbau – beizubehalten, haben wir uns dazu entschieden, mit dem Researcher und Lecturer innovative neue Dauerstellenkategorien zu etablieren”, so Czyborra. Auf diese Weise sollen transparente und planbare Karrierewege auf Dauerstellen abgesehen von der Professur ermöglicht werden. Eine entsprechende Änderung des Hochschulgesetzes soll im Herbst ins Abgeordnetenhaus eingebracht werden.

Koalition strebt langfristige Anstellungen an

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat darüber hinaus in der Politik unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Der hochschulpolitische Sprecher der AfD, Martin Trefzer, sprach von einer “deutlichen Klatsche” für Wissenschaftssenatorin Czyborra, die das Gesetz als wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD im Abgeordnetenhaus mitentwickelt hatte. Das Bundesverfassungsgericht habe “eine Lanze für die Wissenschaftsfreiheit gebrochen”. Für attraktive Karrieren an den Universitäten müsse die Hochschulfinanzierung verbessert werden, so Trefzer weiter.

Der wissenschaftspolitischer Sprecher der Linken, Tobias Schulze, sprach hingegen von einem “schweren Rückschlag für alle Bemühungen in Bund und Ländern, die ausufernde Befristungspraxis in unseren Hochschulen einzudämmen”. Dadurch werde die Praxis des “hire and fire” zu einem Grundrecht erklärt. So könnten Hochschulen selbst Menschen mit mehreren Abschlüssen und einem Doktortitel wie Auszubildende behandeln, so Schulze. “Es wundert nicht, dass diese unsicheren Karriereperspektiven gerade die Besten aus unseren Hochschulen vertreiben.”

Mit Enttäuschung reagierte auch die Bildungsgewerkschaft GEW auf das Urteil. Es mache deutlich, “dass die gesetzlichen Grundlagen für befristete Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft dringend geändert werden müssen”, sagte die GEW-Vorsitzende Martina Regulin. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sei ein “Korsett für eine fortschrittliche Personalpolitik” und verhindere die dauerhafte Beschäftigung hochqualifizierter Fachkräfte.

Eine Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hangele sich derzeit von einem befristeten Vertrag zum nächsten, kritisierte die Leiterin des GEW-Fachbereiches Hochschulen und Lehrkräftebildung, Felicia Kompio. Das beeinträchtigte nicht nur die Lebensplanung, sondern führe “zu Abhängigkeiten, fördert Machtmissbrauch in der Wissenschaft und schadet der Qualität und Kontinuität von Lehre und Forschung”.

Sendung: rbb24 Abendschau, 10.07.2025, 19:30 Uhr


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