Berliner Feuerwehr will Notrufe nach Dringlichkeit ordnen | ABC-Z

Immer mehr Rettungseinsätze
–
Berliner Feuerwehr will Notrufe nach Dringlichkeit ordnen
Die Feuerwehr plant, ihre Rettungseinsätze in Berlin künftig zu priorisieren und nach Dringlichkeit abzuarbeiten. Grund ist die steigende Zahl an nicht-lebensbedrohlichen Notfällen, die die Feuerwehr nicht an geeignetere Dienste abgeben darf.
In den ersten Wochen des Jahres schrillten die Telefone in der Leitstelle der Berliner Feuerwehr im Sekundentakt. Bis Ende Januar rückten die Rettungsdienste zu 44.000 Einsätzen aus, ein neuer Rekordwert. „Während der Grippesaison wurden wir deutlich häufiger wegen Atemwegsbeschwerden alarmiert“, sagt Manuel Barth, Sprecher der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) Berlin Brandenburg, gegenüber rbb|24.
Immer wieder hat die Feuerwehr in den vergangenen Jahren appelliert, die Notrufnummer 112 nur in echten Notfällen zu wählen. „Wir haben aber immer wieder auch Einsätze, bei denen es um vergleichsweise harmlose Grippesymptome oder um Nasenbluten geht“, sagt Barth. Auch wegen solcher Bagatelleinsätze gelinge es der Feuerwehr häufig nicht mehr, ihre Zielvorgabe einzuhalten und innerhalb von zehn Minuten am Einsatzort zu sein. „Das schaffen wir nicht einmal in 50 Prozent der Fälle“, räumt Barth ein.
Fünfstufiges System startet Ende März
Ab dem 25. März soll ein Triage-System die Wende bringen: Lebensgefährliche Notfälle sollen dann priorisiert werden. „Der Rettungsdienst in Berlin steht unter großem Druck. Wir versuchen gerade alles, um für uns selber die Reserven zu schaffen, für die wichtigen Notfälle immer noch einen Rettungswagen übrig zu haben“, sagte Feuerwehrsprecher Vinzenz Kasch am Donnerstag dem rbb.
Kern der Reform: Notärzt:innen und Notfallsanitäter:innen sollen künftig gebündelt bei Notlagen wie Herzinfarkten oder Schlaganfällen eingesetzt werden, während Rettungssanitäter:innen andere Fälle übernehmen. Wartezeit bei den weniger schweren Fällen können laut Feuerwehrsprecher Kasch dafür künftig bei 15 bis 20 Minuten liegen.
Feuerwehr will schneller zu dringenden Notfällen
Auf Grundlage einer umfassenden Datenanalyse habe die Feuerwehr ein fünfstufiges System erarbeitet, dem die Leitstelle die Anrufe künftig zuordnen soll. In einem internen Papier, das rbb|24 vorliegt, heißt es, dass die Feuerwehr bei Notfällen der höchsten Dringlichkeitsstufe sofort eingreift – etwa, wenn eine Person bewusstlos ist. Laut einem Feuerwehrsprecher macht diese Kategorie rund fünf Prozent der Rettungseinsätze aus.
Zur zweithöchsten Stufe (Kategorie 2) zählen unter anderem Brustschmerzen, Bewusstseinsstörungen, Atemnot oder stärkere Blutungen. Diese Fälle machen etwa 40 Prozent der Einsätze aus – auch hier sollen Retter mit hoher Geschwindigkeit handeln.
Bauch- und Rückenschmerzen, Traumata oder Vergiftungen ohne schwere Symptome werden in Kategorie 3 eingeordnet, die etwa 35 Prozent der Notrufe umfasst. Weniger kritische Fälle wie ungefährliche Blutungen ohne Risikofaktor oder psychische Krisen ohne akute Fremdgefährdung fallen in Kategorie 4 (zehn Prozent). Alle übrigen, weniger dringlichen Notfälle gehören zur Kategorie 5 – sie betrafen zuletzt ebenfalls etwa zehn Prozent der Rettungseinsätze.
Notrufe, bei denen es sich eindeutig um ungefährliche Situationen handelt, kann die Feuerwehr an den Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung (KV Berlin) weiterleiten. Das soll auch künftig mit allen Fällen geschehen, die unter die Kategorie 5 mit der niedrigsten Priorität fallen.
Neues Notruf-System soll Rettungskräfte effektiver einsetzen
Laut Gewerkschaftssprecher Manuel Barth hatte die Berliner Feuerwehr bei einem hohen Notrufaufkommen bislang oft das Problem, dass die Rettungswagen zu weit entfernten Einsatzorten ausgerückt sind.
„Da eine Vielzahl der Einsätze sich in Innenstadtbezirken konzentriert, führt das teilweise dazu, dass Rettungswagen aus den Außenbezirken Richtung Zentrum fahren und weniger Kapazitäten verfügbar sind“, so Barth. Daten der Feuerwehr zeigen [berliner-feuerwehr.de], dass Retttungskräfte die Zehn-Minuten-Marke in einigen Teilen der Außenbezirke seltener einhalten. Dazu zählen etwa Rauchfangswerder in Treptow-Köpenick oder die Bereiche Pilgramer Straße und Elsensee in Marzahn-Hellersdorf.
Das neue System sieht vor, dass die Kräfte vorwiegend innerhalb ihrer eigenen Bezirke eingesetzt werden – was dann dazu führen kann, dass Anrufer in weniger dringenden Fällen länger auf den Rettungsdienst warten müssen.
Sozialpsychiatrische Dienste können nicht eingebunden werden
Immer wieder wählen laut Jahresberichten der Feuerwehr auch Menschen in psychischen Ausnahmesituationen die 112 – Fälle, für die eigentlich sozialpsychiatrische Dienste zuständig wären. „Eine depressive Person ohne Suizidabsicht, die uns anruft, bindet trotzdem einen Rettungswagen“, so Barth. „Wir können auf Dauer nicht die Engpässe an Terminen bei Fachärzten, Psychiatern und Psychotherapeuten kompensieren“, sagt Barth.
In manchen Fällen wählten Menschen vielleicht aus Bequemlichkeit den Notruf, sagt Barth, dennoch will er den Anrufenden nicht die alleinige Schuld an der Überlastung der Rettungsdienste geben: „Wenn Menschen nicht wissen, wie schlimm ein Symptom ist, dann können sie Angst bekommen.“ Es sei wichtig, Entlastungsstrukturen wie etwa die Nummer 116 117 des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes zu schaffen. „Wir müssen die Möglichkeit haben, die Anrufer an die passenden Versorger wie etwa sozialpsychiatrische Dienste weiterzuleiten.“
Sendung: rbb24 Abendschau, 27.02.2025, 19:30 Uhr