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Berlin: Susanne Stein und ihre handgefertigten Strohhüte – Stil | ABC-Z

Hüte aus Stroh gibt es schon seit der Antike. Sie gehören zu den ältesten Kopfbedeckungen der Welt und wurden gleichermaßen in Afrika, Asien und Europa als Sonnenschutz bei der Arbeit im Freien getragen. Ab dem 17. Jahrhundert wurde der Strohhut zunehmend zum Stilobjekt und war in der folgenden Zeit, wie in der Mode üblich, mal mehr und mal weniger beliebt.

Im 20. Jahrhundert erreichte die Hutmode ihren Höhepunkt, beliebte Strohvarianten waren damals etwa der flache „Canotier“ mit schmaler Krempe oder der ausladende „Florentiner“. Getragen wurden sie mit Vorliebe von Ernest Hemingway, Paul Newman oder Lady Diana. Allerdings verschwanden die Hüte in dieser Zeit auch zunehmend aus dem Alltag: Kleidung wurde legerer, bei der Arbeit trug nur noch selten jemand Strohhut. Heute sind das Material und die einfache Hutform vor allem nostalgisch besetzt – oder dienen als stilvoller Sonnenschutz am Strand. In den vergangenen Jahren tauchte der Strohhut aber auch immer wieder auf dem Laufsteg auf, unter anderem bei Chanel, Jacquemus oder Dior.

Wo man den ihn aber nicht unbedingt erwartet, ist in Berlin-Neukölln. Doch genau dort, umgeben von Baklava-Konditoreien und Shisha-Cafés, betreibt Susanne Stein mit ihrem Label „Suz“ einen Pop-up-Store für Strohhüte.

Es ist ein Donnerstagmorgen Ende Juli, das Accessoire des Tages ist leider kein Sonnenhut, sondern der Regenschirm. Dabei wäre gerade die beste Saison für Hüte. Susanne Stein, 45, sitzt in ihrer Nähecke, in dem Raum, der ihr zwei Monate lang zugleich als Atelier und Geschäft dient. Das ist nicht nur praktisch, der kleine Laden ist auch wichtig für die Sichtbarkeit, denn der Sommer ist ihre Hauptverdienstzeit. Suz lebt davon, dass die Kunden sehen, wie und wo die Hüte entstehen – und wer genau sie macht.

Diese sehr alte Nähmaschine hat Susanne Stein auf Ebay gefunden und umbauen lassen. (Foto: WINSON; SUZ Hats/WINSON)

„Meine Nähmaschine ist schon 120 Jahre alt, ich habe sie auf Ebay gefunden“, erzählt Stein. Ursprünglich wurde die Maschine nur durch ein Pedal angetrieben, aber ihre neue Besitzerin hat einen elektrischen Motor einbauen und von einem Tischler ein Gestell und eine Arbeitsplatte anfertigen lassen. „Die Maschine ist darauf ausgelegt, Stroh zu nähen, und das Garn läuft anders hindurch“, erklärt sie. Die Schweizer Traditionstechnik, die sie beim Nähen von Strohhüten anwendet, hat sie als junge Frau gelernt.

Susanne Stein ist Modistin, also gelernte Hutmacherin. Geboren wurde sie vor 45 Jahren in Chemnitz, als die Stadt noch Karl-Marx-Stadt hieß, Anfang der Nullerjahre landete sie in Berlin, zur Hutmacherei fand sie eher zufällig. Ihr „Faible für Mode“, wie sie es ausdrückt, führte sie erst zu einem Praktikum in einem Hutgeschäft, dann entschied sie sich für die dreijährige Ausbildung. Nachdem sie in Manufakturen und in der Kostümabteilung des Friedrichstadtpalasts unter Designern wie Thierry Mugler oder Jean Paul Gaultier gearbeitet hat, machte sie sich vor zwei Jahren mit ihren Strohhüten selbständig.

An ihrem Handwerk gefällt ihr das Unmittelbare: „Man arbeitet direkt mit dem Material, direkt in der dreidimensionalen Form, oft auch direkt mit den Kunden“, sagt sie. Stein ist zierlich, auf ihrem Hinterkopf sitzt, natürlich, ein Hut. Er ist schwarz, im Pillbox-Stil, ihr dunkles Haar hat sie darunter gestopft. Ansonsten ist sie eher leger angezogen, sie trägt ein geripptes Top, darüber ein offenes, kurzärmliges Hemd. „Hüte brauchen keinen besonderen Anlass“, findet Stein. „Sie funktionieren auch in der Stadt, mit sportlichen Looks. Manchmal sind sie auch gut, wenn man fettige Haare verstecken will“, fügt sie hinzu und lacht.

Die meisten ihrer Hüte sind Maßanfertigungen.
Die meisten ihrer Hüte sind Maßanfertigungen. (Foto: WINSON; SUZ Hats/WINSON)

Stein hat den Eindruck, dass das Interesse an Hutmode momentan wächst. „Dass sich mehr Menschen trauen, Hut zu tragen, hängt auch mit einem gestiegenen Bewusstsein für Sonnenschutz zusammen“, vermutet sie. Vielleicht liegt es auch am Streben nach modischer Individualität.

Die Borten aus Weizen, eingefärbt und maschinell geflochten, aus denen Stein ihre Hüte fertigt, bezieht sie aus Italien. Woher genau sie kommen und wie viel sie dafür bezahlt, behält sie als Betriebsgeheimnis für sich. Das günstigste Hutmodell ist bei ihr für 280 Euro zu haben, das teuerste, ein Dreieckshut, der an Napoleon erinnert, kostet 650 Euro. Die knapp fünf Millimeter breiten Strohbänder, aus denen die Entwürfe entstehen, baumeln von einem angefangenen Hut-Kopfteil und kringeln sich wie ein Wollknäuel zu Susanne Steins Füßen.

Den Anfang eines Hutes näht sie von Hand, dann macht sie an der Maschine weiter, Kreis für Kreis näht sie die Strohborte in eine runde Form. Die geflochtenen und aneinandergenähten Strohhalme verwandeln sich in eine glänzende Fläche.

Strohhalme - erst geflochten, dann aneinander genäht.
Strohhalme – erst geflochten, dann aneinander genäht. (Foto: WINSON; SUZ Hats/WINSON)

Gerade arbeitet sie an dem Modell „Dalia“, mit breiter Krempe, die sich aus dem Gesicht klappen lässt. Für einen Hut braucht sie mindestens drei Stunden, oft verteile sich die Arbeit aber auch auf mehrere Tage.

Ihre diesjährige Kollektion besteht aus knapp zwanzig Designs. „Ich arbeite ohne Zeichnung. Alles entsteht im Prozess“, sagt Stein. Ist sie mit einem Modell zufrieden, lässt sie von einer befreundeten Bühnenbildnerin Negativformen aus Holz oder Pappmaché anfertigen. Sie dienen ihr als Vorlage, um die Hüte immer wieder herstellen zu können. Das Kopfteil, an dem Stein gerade arbeitet, stülpt sie über die Form, prüft die Proportionen, orientiert sich, wann die Krempe breiter werden muss. Dann gibt sie mehr von dem Strohband dazu und verändert den Druck, mit dem sie es über die Maschine schiebt. Wenn ein Hut fertig genäht ist, setzt sie ihn erneut auf die Form, befeuchtet und bügelt ihn. Durch die Hitze wird das Stroh elastischer, beim Erkalten legt es sich exakt um die Vorlage, kleinere Dellen verschwinden.

Fast alle Hüte, die Stein verkauft, sind Maßanfertigungen. „Es kommt selten vor, dass ein Hut direkt ideal passt“, sagt sie. Deshalb fertigt Stein sie eigens für ihre Kundinnen, richtet sich nach der exakten Kopfgröße, variiert Höhe oder Breite des Hutes passend zum Gesicht und geht auf Farbwünsche ein. Auf Instagram ist ihr Modell „Circus“ gerade besonders beliebt. Ein exzentrischer, gestreifter Hut ohne Krempe, mit einem bunten Bommel darauf. Etwa zwei Hüte in der Woche verkaufe sie auf Instagram, erzählt sie. Diesen Kunden erklärt sie dann per Chat, wie sie ihren Kopf vermessen müssen. Knapp drei Wochen müssen sie auf ihre Bestellung warten. Einen eigenen Onlineshop hat sie bislang nicht.

Mit dem Pop-up-Store macht Susanne Stein derzeit ihre meisten Verkäufe. Vergangenes Jahr hat sie das Konzept zum ersten Mal ausprobiert, für einen Monat, in diesem Jahr hat sie doppelt so lange geöffnet. Auf Dauer wolle sie aber kein Geschäft haben. „Das finde ich nicht mehr zeitgemäß“, sagt sie. Vor allem im Winter lohne sich das für sie nicht, Strohhüte haben nur im Sommer Saison. Den Rest des Jahres muss Stein deshalb umstellen. Sie produziert dann Kopfbedeckungen für Theaterproduktionen, fertigt Strohformen für Künstler, unterrichtet an mehreren Modeschulen Hutmacherei, darunter auch die Universität der Künste in Berlin, und sitzt in der Prüfungskommission für angehende Modisten. Doch davon gibt es nur noch wenige.

„Nur eine einzige Person hat in Berlin im letzten Jahr die Gesellenprüfung zur Modistin gemacht“, berichtet Stein. „Ich finde es traurig, dass der Beruf ausstirbt, und fürchte, dass viel Wissen um unsere Technik verloren geht.“ Doch sie sieht auch, dass auf dem Markt nicht viel Platz für Hutmacherinnen ist. Die Nachfrage ist überschaubar, feste Arbeitsplätze fehlen, auch sie habe keinen Bedarf an Mitarbeiterinnen.

Auch Laufkundschaft ist selten. „Die meisten Kunden kommen gezielt zu mir in den Laden, weil sie meine Hüte schon online gesehen oder über Freunde und Bekannte von mir gehört haben“, erzählt Stein. Sie beugt sich zurück über die Nähmaschine. Mit dem Kopfteil von „Dalia“ ist sie fertig. Sie legt es zur Seite und holt ein zweites Modell mit dem Namen „Cross the Breeze“ aus dem Zwischengang, das sie in den kommenden Tagen nach Bukarest verschicken wird. Dort hat ihr eine Boutique fünf Hüte abgekauft. Ein Innenband muss noch eingenäht werden, das den Hut vor Schweiß schützt. Sie steckt es mit kleinen Nadeln fest, justiert nach. Den letzten Schritt, das Festnähen, macht sie an einer zweiten Nähmaschine, die auf Stoff ausgelegt ist.

Um Hut zu tragen, findet Stein, braucht es keinen besonderen Anlass.
Um Hut zu tragen, findet Stein, braucht es keinen besonderen Anlass. (Foto: WINSON; SUZ Hats/WINSON)

Steins Bewegungen sind behutsam und präzise, aber nicht übervorsichtig. „Man sollte einen Hut nicht wie ein rohes Ei behandeln“, sagt sie. Beim Reisen würde sie ihren Hut auch mal in ihre Tasche packen, das würde der gut aushalten. Nur nass sollten sie nicht werden, dann könnten Strohhüte auch noch nach zwanzig Jahren gut aussehen. Gegen Mittag öffnet sich zum ersten Mal die Ladentür. Ein Mann um die dreißig tritt ein, lange braune Locken, Stiefel an den Füßen – Typ Hipster. Susanne Stein steht auf. „Probier dich ruhig durch“, fordert sie ihn auf. Etwa 80 Prozent ihrer Abnehmer sind Frauen, schätzt Stein, viele Modelle seien aber eigentlich unisex. Ihre Kundschaft teilt sie in zwei Gruppen: die passionierten, extrovertierten Hutträger, die Modelle sammeln und sich wirklich auskennen. Und die Neugierigen, die mal was wagen wollen.

Der junge Mann, der gerade hereingekommen ist, gehört eher zur ersten Gruppe. Er weiß seinen Kopfumfang: 58 Zentimeter. Susanne Stein reicht ihm ein passendes Modell mit breiter Krempe, er setzt es auf und mustert sich in dem bodentiefen Spiegel, macht ein paar Handyfotos. Dann erzählt er, dass er selbst einen Laden in Zürich habe. Sie plaudern, nach etwa fünf Minuten verlässt er den Store wieder – ohne Hut. Draußen ziehen Wolken über den Himmel, schlechtes Wetter für Hüte. Susanne Stein setzt sich zurück an ihren Arbeitsplatz, vor ihr ein Hut, der nur noch die letzten Feinschliffe braucht. Mit Nadel und Faden in der Hand näht sie einen Bommel fest. So wird der Tag weitergehen. Nähen, Small Talk, wenn jemand hereinschneit. Für den Nachmittag hat immerhin sich eine Kundin angemeldet, die ihren fertigen Hut abholen wird.

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