Berlin-Marathon: Dann kniet sich der 82-Jährige hin, beugt sich über den Zielstrich und küsst den Boden | ABC-Z
Die 50. Auflage des Berlin-Marathons gerät zu einer großen Party. Mittendrin laufen Günter Hallas und Peter Bartel, die beide schon beim 1. Berlin-Marathon 1974 am Start waren. Heute sind sie 82 Jahre alt und sorgen für ganz besondere Momente, zumal es beide ins Ziel schaffen.
In der Ferne tauchen sie auf, zwei riesige Reisebusse, gefolgt von etlichen anderen Fahrzeugen. Im Schritttempo fahren sie die Leipziger Straße entlang und nähern sich jener Kurve, hinter der ein riesiges Luftkissen-Tor aufgebaut ist und den Startern des Berlin-Marathons Mut macht: nur noch zwei Kilometer bis ins Ziel. Vor den Bussen sind drei, vier sich bewegende Punkte zu erkennen. Schon in den vergangenen Minuten waren immer wieder Marathonstarter um die Kurve gebogen, durch das Tor gegangen und wussten: Das Ziel ist nah, gleich ist es geschafft. Jetzt treiben die sogenannten Besenwagen die Letzten vor sich her.
Es nähert sich ein älterer Herr der Kurve und den noch 15 Menschen, die dort anfeuern: freiwillige Helfer, Läufer und Passanten. Peter Bartel heißt der Mann. Er wirkt erschöpft, aber guten Mutes – und im Gegensatz zu so manchem vor ihm geht er ohne Schieflage. Ein Lächeln, ein kurzes Wort. 82 Jahre alt ist Bartel. Schon vor 50 Jahren, bei der Premieren-Veranstaltung, war er dabei. „Komm Peter, noch zwei Kilometer!“, ruft ihm einer hinterher. Als Letzter, aber dicht hinter einigen anderen, geht er um die Kurve. Hinter ihm die zwei Busse, gefüllt mit jenen, die verschluckt wurden. Erschöpfte, Verletzte.
Insgesamt hatten sich für die 50. Ausgabe des Berlin Marathons 58.212 Läufer aus 161 Nationen angemeldet – Rekord. Gemeinsam mit Hunderttausenden Zuschauern am Streckenrand verwandelten sie die Traditionsveranstaltung in eine Party. Die Siege gingen bereits am Mittag an den Äthiopier Milkesa Mengesha in 2:03:17 Stunden und dessen Landsfrau Tigist Ketema in 2:16:42 Stunden. Am Abend dann vermeldeten die Organisatoren, die 50. Auflage sei zum größten Marathon der Welt avanciert: 54.280 der gestarteten Läufer erreichten das Ziel am Brandenburger Tor. Darunter zwei Legenden: Günter Hallas, 82 Jahre, Sieger der Erstausgabe im Grunewald 1974. Und Peter Bartel. Immer wieder wurden die zwei auf der Strecke erkannt und angefeuert.
Als Letzter aller Finisher näherte sich Bartel dem Ziel. Der Berliner absolvierte in seinem Leben auch Ultraläufe, erklomm Berggipfel und verbindet bis heute Sport mit sozialem Engagement. 1974 war er als einer von 286 Läuferinnen und Läufern angetreten. Ein Strauchler kurz vor dem Ende der 42,195 Kilometer, die Kräfte neigen sich dem Ende. Dann kniet sich Bartel hin, beugt sich über den Zielstrich und küsst den Boden hinter der Linie. Er stemmt sich wieder hoch und übertritt den Strich. Nach 8:59:18 ist es geschafft.
„Ich sagte zu meinem Knie: Halt die Klappe!“
Bartel war es auch, der sich im Vorfeld darum gekümmert hatte, dass sich einige der Premierenläufer – darunter auch Hallas und die damalige Siegerin Jutta von Haase – Ende August zu einem Wiedersehen trafen. Aber nicht nur als Starter war er in der Vergangenheit dabei gewesen.
„Der Berlin-Marathon 2022 war ein ganz besonderes Ereignis für mich und hat mich sehr bewegt, sowohl physisch als auch mental“, schreibt er auf seiner Website. „Ich durfte wie im Vorjahr mit Genehmigung durch den Renndirektor Mark Milde die Schwächelnden motivieren und anfeuern, damit die sogenannten Besenwagen nicht so schnell gefüllt werden.“ Dieses Mal lief er selbst dem Besenwagen davon.
Und nichts konnte ihn davon abhalten. Dem RBB berichtete er am Sonntag auf der Strecke: „Mein Knie hat sich schon mehrmals gemeldet, ich habe ja ein künstliches. Es hat angefragt: Muss das sein? Da habe ich geantwortet: Halt die Klappe!“
Günter Hallas mit einem Lächeln auf den letzten Metern
Auch Hallas hat mittlerweile ein künstliches Kniegelenk, dazu eine künstliche Hüfte. An jenen 13. Oktober 1974, als er sich zum ersten Sieger des Berlin-Marathons kürte, erinnerte er sich mal mit folgenden Worten: „Einen Kilometer vor dem Ziel hing ich am Streckenrand im Zaun, aber ein Freund hat mich angespornt.“ An diesem Sonntag wirkte er auch auf der Zielgeraden noch fit.
Der Moderator stoppte ihn schließlich kurz am Brandenburger Tor und erzählte den Zuschauern, wer dieser Mann, der gleich die letzten Meter laufen würde, denn sei. „50 Jahre nach dem Sieg beim Marathon kommt er wieder ins Ziel! Eine fantastische Leistung. 82 Jahre. 42,195 Kilometer.“ Hallas machte sich unter dem Jubel der Anwesenden auf den Weg. „Jetzt kannst du dein Siegerlächeln aufsetzen. Die Geschichte schließt sich.“
Für Hallas war es bereits der 43. Berlin-Marathon, auch in New York, Toronto und anderen Städten ist er gestartet. Seinen Sieg in Berlin erlief er einst in 2:44:53 Stunden, noch 2019 überquerte er nach 4:35:50 Stunden die Ziellinie. Jetzt, im Alter von 82 Jahren, kam er nach 7:02:33 unter dem Beifall der Zuschauer ins Ziel.