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Bergarbeiter berichten von Zuständen unter Tage | ABC-Z

Als sich ihr Sohn monatelang nicht meldete, hatte Sebonoang Moeletsi eine schlimme Vorahnung. Clement Moeletsi, ein 34 Jahre alter Südafrikaner, hatte im vergangenen Jahr seine Stelle in einem Fast-Food-Restaurant verloren. Vorher hatte er sich mit Jobs im Recycling-Geschäft durchs Leben gebracht. Er ziehe nach Johannesburg, um eine neue Arbeit zu finden, sagte er seiner Mutter in Khuma, einem Township nahe der Minenstadt Stilfontein. Dann herrschte Funkstille.

Sebonoang Moeletsi, eine zierliche Frau mit den Spuren eines sorgenreichen Lebens im Gesicht, wusste lange Zeit nicht, dass Clement mit Hunderten anderen Männern zwei Kilometer unter der Erde in einer verlassenen Goldmine feststecken und um das Überleben ringen würde.

In der Mine ist ein groß angelegter Einsatz der südafrikanischen Polizei in den vergangenen Wochen in eine humanitäre Katastrophe gemündet. Viele sprechen von einem „Massaker“. Mit der Operation Vala Umgodi versucht Südafrikas Polizei, gegen den illegalen Goldbergbau vorzugehen. Tausende Zama Zamas, so heißen die illegalen Bergleute in Südafrika, graben in verlassenen Schächten und Stollen nach dem Edelmetall. Zama Zama heißt grob übersetzt „eine Chance nutzen“ oder „ein Risiko eingehen“. Am Donnerstag ist eine gerichtlich angeordnete Rettungsaktion für die feststeckenden Arbeiter zu Ende gegangen. Die Debatte, wer die Verantwortung trägt, hat aber gerade erst begonnen.

Clement Moeletsi wusste nicht, was ihm bevorstehen würde

Auch Clement Moeletsi hatte sich entschieden, als Zama Zama sein Glück zu versuchen, ohne zu wissen, was ihm bevorstehen würde. In einer vor dem Verfassungsgericht eingereichten eidesstattlichen Erklärung beschrieb er später einen „Zustand der Verwirrung und Verzweiflung“ unter Tage. Einige der Menschen hätten begonnen, Kakerlaken zu essen und Zahnpasta mit Salz zu mischen, als die Polizei die sonst üblichen Lieferungen von Essen, Wasser und allem Lebensnotwendigen über informelle Kanäle stoppte. Mit diesem drastischen Schritt sollten die Zama Zamas zum Verlassen des Bergwerks gezwungen werden. Eine Ministerin sagte im vergangenen Jahr: „Wir werden sie ausräuchern, sie werden rauskommen. Kriminellen soll nicht geholfen werden, Kriminelle sollen verfolgt werden.“

Doch nach den Angaben der Überlebenden war eine Rückkehr auf die Erdoberfläche nur unter schwersten Bedingungen oder gar nicht möglich. „Der Hunger machte sich schnell breit, und ich sah, wie die Menschen um mich herum von Tag zu Tag schwächer wurden, ihre Körper verkümmerten und ihr Zustand sich rapide verschlechterte“, schreibt Moeletsi weiter. „Viele erlagen dem unerbittlichen Hunger, ihre skelettierten Körper erinnerten an den Horror, den wir ertragen mussten.“

Bei strahlendem Sonnenschein, inmitten einer nach Regenfällen frischen grünen Landschaft sind solche Zustände tief unter der Erde kaum vorstellbar. Journalisten, Kameraleute, Polizisten, Aktivisten, Menschenrechtsorganisationen und Neugierige aus der Umgebung haben sich am Donnerstag abermals am „Schacht 11“ versammelt, während die spezialisierten Rettungskräfte ihre Vorrichtungen abbauen. Mit einem übermannsgroßen Metallkäfig hatten sie an den vorangegangenen drei Tagen 246 ausgemergelte Bergarbeiter an die Erdoberfläche geholt – und 78 Leichen.

Die Anspannung fällt bei den Rettern ab

Die Stimmung ist gelöst, wobei den Rettern die Anstrengung und die Anspannung der vergangenen drei Tage anzusehen ist. Präzise hatten sie jeden Tag über ihre Fortschritte Auskunft erteilt: „Montag: fünf Ladungen, 26 Gerettete, 9 Tote. Dienstag: 16 Ladungen, 106 Gerettete, 51 Tote. Mittwoch: 12 Ladungen, 114 Gerettete, 18 Leichen.“ Am Mittwochabend dann kam, mehrere Tage früher als erwartet, die Nachricht, es befänden sich keine Menschen mehr unter Tage. Kameras und zwei Helfer aus den umliegenden Gemeinden hätten dies bestätigt.

In der Bergbauregion in Südafrikas Provinz Nordwest haben sich schon etliche Katastrophen ereignet. Manche sprechen von einem Fluch. Jedes Kind dort weiß, dass sich in dieser Gegend die tiefsten Minen der Welt befinden, einige stammen noch aus der Zeit des Goldrauschs am Ende des 19. Jahrhunderts. Nur zwei Kilometer entfernt von Schacht 11 befindet sich wenige Meter von der Landstraße entfernt ein von Stacheldraht geschützter kleiner Obelisk. Die Namen von Bergarbeitern sind in den schwarzen Marmor eingeritzt. „Sie ruhen 2570 Meter unter diesem Denkmal, wo sie am 26. April 1978 starben. Ruhet in Frieden“ steht in mehreren Sprachen auf den anderen drei Seiten des Obelisks. 92 Beschäf­tigte eines Minenkonzerns wurden damals getötet, als sich ein Erdbeben ereignete.

Die Versorgungskanäle waren unterbrochen

Normalerweise lassen sich die Arbeiter in das Bergwerk abseilen und gelangen auf diese Weise auch wieder an die Oberfläche. Es ist ein vorsintflutliches und ausschließlich von Hand betriebenes System, für das man, wie Clement Moeletsi erklärt, „Koordination und physische Kraft“ benötigt. Doch die Unterbrechung der Versorgungskanäle durch die Polizei habe das unmöglich gemacht. Moeletsi habe sechs Wochen lang weder Nahrung noch sicheres Trinkwasser zu sich nehmen können und sei körperlich und geistig ausgelaugt gewesen. „Ich musste unterirdisches Wasser trinken, das einen starken chemischen Geschmack hatte.“

Patrick Asanen ist der amtierende Polizeichef in der Provinz. Auf der Sandstraße, die zum Schacht führt, gibt er am Donnerstag eine weitere Pressekonferenz, wischt sich in der glühenden Hitze immer wieder den Schweiß vom Gesicht. Die Operation Vala Umgodi habe im Jahr 2023 begonnen und sollte bis Mai dieses Jahres andauern, sagt Asanen in die Mikrofone. Es sei bedauerlich, dass sich nun alles auf diesen Einsatz konzentriere, aber die Operation werde wie geplant in allen Gebieten fortgesetzt. Man hoffe, vor allem die Drahtzieher in den Syndikaten zu fassen. Mit Blick auf die Bekämpfung der Kriminalität spricht er von einem Erfolg, wobei jeder Verlust eines ­Lebens bedauerlich sei.

Fast 1900 Zama Zamas wurden seit August 2024 festgenommen

Fast 1900 Zama Zamas wurden seit August vergangenen Jahres festgenommen. Die meisten stammten aus den Nachbarländern Mosambik, Simbabwe, Lesotho, 26 aus Südafrika. Weitere Rettungsaktionen wie diese seien nicht geplant, sagt der Polizeichef. Zama Zamas mit Essen und Wasser zu versorgen lehnt er weiterhin grundsätzlich ab. Es sei vergleichbar mit der Bewirtung eines Einbrechers oder eines Bankräubers durch die Polizei. „Dann leisten wir der Kriminalität Vorschub.“

Menschenrechtsorganisationen indes werfen der Polizei einen schweren Verstoß gegen die Grundrechte wie das Recht auf Leben und die menschliche Würde vor. Gerichtsverfahren werden vorbereitet. „Wir haben nichts gegen den Kampf gegen die Kriminalität, aber gegen die Art und Weise, wie hier vorgegangen wurde“, bekräftigt Thembile Botman, ein Schauspieler und Aktivist aus Khuma. Die Regierung müsse außerdem mehr Arbeitsplätze schaffen, damit Menschen sich nicht in solche gefährlichen Situationen begeben müssten. Das Graben nach Gold müsse legalisiert und reguliert werden.

In Stilfontein: Hunderte Zama Zamas mussten in dieser stillgelegten Goldmine um ihr Überleben kämpfen.dpa

Die Grenzen zwischen Schuldigen und Unschuldigen, zwischen Kriminellen und Opfern verschwimmen bei dieser Katastrophe. Paul Verryn, ein in Südafrika bekannter Geistlicher, spricht von einem vielschichtigen Problem und weist auf die soziale und wirtschaftliche Lage hin. Die Zeiten des Goldrauschs sind vorbei. Südafrika ist schon lange nicht mehr der größte Goldförderer auf der Welt, viele Bergwerke wurden aufgegeben. „Man kann Verbrechen niemals rechtfertigen, aber bei solcher Armut und Perspektivlosigkeit ist es schwer, sich an Prinzipien festzuhalten“, sagt der emeritierte Bischof und setzt mit einer weiten Armbewegung über die Landschaft hinzu: „Das ist eine schöne Gegend, aber es gibt keine Entwicklungen, die helfen, mehr Menschen in Lohn und Brot zu bringen.“

Sebonoang Moeletsi kann in ihrem Wohnzimmer mit Marienbild an der Wand immer noch nicht fassen, dass sich ihr Sohn den Zama Zamas angeschlossen hatte. „Er wollte früher Lehrer werden oder in einem Büro arbeiten, er konnte immer gut schreiben.“ Doch in dieser Gegend hat fast jeder Einwohner irgendetwas mit dem Gold zu tun. Ihr eigener Ehemann arbeitete in einem normalen Bergwerk. Als es vor elf Jahren schließen musste, wurde er Prediger, zog nach Rustenburg und ließ Sebonoang Moeletsi in einem bescheidenen, vom Staat bereitgestellten Haus in Khuma zurück.

Ihr Sohn werde nach seiner Erfahrung als Zama Zama sicher nicht mehr in eine Goldmine steigen, sagt sie überzeugt. Ob das für alle jungen Männer in der Umgebung gilt, ist allerdings fraglich. Die Verlockung ist groß. Ab­gesehen von den Verhaftungen hat die Polizei mit der Operation Vala Umgodi seit Dezember 2023 mehr als 600 Kilogramm goldhaltiges Gestein, mehrere Kilogramm Gold, Waffen sowie Bargeld in einem Wert von mehreren Millionen Euro konfisziert. Einige Zama Zamas trugen Goldbrocken bei sich, als sie verhaftet wurden.

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