Berater soll junge Spieler intim berührt haben | ABC-Z

In mehr als 100 Fällen soll ein Spielerberater einer deutschen Spielerberatungsagentur minderjährige Fußballspieler im Intimbereich berührt haben. Das ist der Vorwurf, den Journalistinnen und Journalisten von „Correctiv“ am vergangenen Mittwoch veröffentlichten. Sie haben mit elf Spielern, darunter auch Bundesligaprofis, gesprochen, die zwischen 2010 und 2023 von dem Berater betreut worden sind und die unter der Bedingung der Anonymität ihre Erfahrungen mit ihm geschildert haben.
Die Berührungen sollen in dem Büro des Beraters stattgefunden haben, wo die Spieler alle Kleidungsstücke, auch die Unterhose, ausgezogen haben sollen und der Berater dann Untersuchungen und Behandlungen vorgenommen haben soll. Der Berater, der sagt, kein Arzt zu sein, distanziert sich in dem Artikel von dem Vorwurf, es habe „gezielte Berührungen im Intimbereich“ gegeben. Er schreibt von „Angeboten“ – „aktive Mobilisation, aktives Dehnen, Statik Check“, auch „auf Wunsch der Spieler“, die „ausnahmslos selbst“ entscheiden konnten, ob sie diese Angebote annehmen.
Wie werden Externe im Sport in den Kinder- und Jugendschutz eingebunden?
Später an dem Mittwoch, an dem „Correctiv“ die Vorwürfe veröffentlichte, hat sich die Spielerberatungsagentur von dem Spielerberater „getrennt“, wie ein Sprecher in einem Schreiben an „Correctiv“ mitteilte. Auf der Website der Agentur, die auch Bundesliga- und Nationalspieler betreut, ist sein Name entfernt worden.
Auf F.A.Z.-Anfrage wollten sich sowohl der Spielerberater als auch die Spielerberatungsagentur nicht weiter äußern. Der Berater bestand darauf, dass aus einem etwa 30-minütigen Handygespräch nicht zitiert wird.
Es ist in diesem Fall nicht nur wichtig zu wissen, was die Recherche auslösen könnte, sondern zunächst auch, wer die Recherche ausgelöst hat. Als Autor des Artikels wird ein Mann aufgeführt, der früher selbst Fußballprofi war: Jonas Hummels, 34 Jahre alt, Bruder von Mats Hummels. Er spielte zwischen 2009 und 2016 für die Spielvereinigung Unterhaching und machte in dieser Zeit auch Bekanntschaft mit dem Spielerberater. Am Dienstag, sechs Tage nach der Veröffentlichung des Artikels, schalten sich Hummels und der „Correctiv“-Journalist Jonathan Sachse zu einem Videogespräch mit der F.A.Z. zu.
Herr Hummels, wann und wie haben Sie den ersten Hinweis erhalten, dass der Spielerberater gegenüber Jugendspielern übergriffig sein soll?
Hummels: „Der Spielerberater war schon zu der Zeit, als ich in Unterhaching Spieler war, immer wieder Thema. Ich habe bereits als Spieler von Vorwürfen zu Behandlungen gehört, allerdings bin ich mir nicht mehr sicher, wann genau das der Fall war. Ich hatte immer wieder Kontakt mit ehemaligen Mitspielern. Im Spätsommer 2023 war ich dann mit einem Spieler spazieren, und wir haben gar nicht explizit über das Thema geredet, sondern eher allgemein: Ist der Spielerberater noch aktiv? Hat er noch so viele Spieler? Es ging um die Menge an Spielern, die er beraten hat. Und dann ging es doch noch mal um die vermeintlichen Übergriffe.
Später am Abend habe ich eine Doku angeschaut über einen Tennistrainer, der gegenüber seinen Spielern sexuell übergriffig wurde. Und ich habe von den schweren Vorwürfen gegen einen Fußballtrainer in Neuried gehört. Das waren drei Ereignisse in kurzer Zeit, wo ich mir dachte: Krass, eigentlich bin ich doch auch Mitwisser auf eine Art und Weise. Ich war in der Situation komplett unabhängig vom Fußball. Ich bin in der Branche über Bande für immer drin, hatte aber kein Amt und auch keine Ambition, eines zu übernehmen. Und ich kannte Jonathan, dem ich dann kryptische Sprachnachrichten geschickt habe.“
Sachse: „Die Sprachnachrichten haben mich neugierig gemacht, aber ich wusste nicht so richtig, um was es geht. Wir sind dann durch Berlin spaziert, und Jonas hat ein bisschen ausführlicher erzählt, was er gehört hat. Wir haben ausgemacht, dass wir im ersten Schritt gemeinsam einen Spieler treffen und mit ihm sprechen. Danach sind wir konkreter geworden. Und dann ging es auch um die Frage: Was ist die Rolle von Jonas? Wir haben entschieden, dass er als Journalist mitmacht und wir als Team in der Correctiv-Redaktion ergebnisoffen Hinweisen folgen. Das ging, weil es keine Interessenskonflikte gab. Jonas wurde nicht von dem Berater betreut und ist auch kein Betroffener.“
Aber ein Journalist mit guten Kontakten.
Sachse: „Für mich war klar: Jonas ist der Türöffner in die Szene. Die Zugänge hätte ich nicht bekommen. Jonas genießt bei Fußballern einen Vertrauensvorschuss als Ex-Profi. Das war ein anderes Level, wenn Jonas dabei war, wenn man über Fußball sprechen konnte, ehe es zu den ernsten Themen kam. Wir haben in den Gesprächen eine gute Rollenverteilung gehabt.“
Hatten Sie das Gefühl, dass die Spieler, mit denen Sie gesprochen haben, gleich gesprächsbereit waren?
Hummels: „Irgendwann schon. In ersten Gesprächen, vor allem in Telefonaten, ist eine andere Distanz da, als wenn man sich persönlich trifft. Aber ich spreche natürlich noch die Sprache der Spieler. Ich weiß, wie es ist, Jugendspieler zu sein, wie ist es, Profispieler werden zu wollen. Ich glaube, dass es durch die gemeinsame Ebene, die man als Fußballer eben hat, eine niedrigere Schwelle gab.“
Die Frage, die sich in solchen Fällen immer stellt: Warum ist so lange nicht darüber gesprochen worden? Haben Sie für diesen Fall eine Antwort?
Sachse: „Es gibt nicht die eine Antwort, aber Indizien. Das sind junge Spieler gewesen, die meisten minderjährig, die das erste Mal Erfahrungen mit einem Spielerberater gemacht haben. Aus verschiedenen Gründen ist es gelungen, das, was dort passiert sein soll, zu normalisieren. Das fängt damit an, dass Fußballer im Büro des Beraters regelmäßig nackt gewesen sein sollen. Nackt zu sein ist erst mal im Sport nicht ungewöhnlich, wenn man an Umkleidesituationen denkt, aber Nacktheit im Umfeld des Spielerberaters schon. Und dann ging es offenbar weiter. Der Übergang von nackt sein zu mutmaßlichen Berührungen wurde von den Spielern als fließend beschrieben. Wir wissen, dass die Spieler untereinander auch darüber gesprochen haben. Sie haben sich begrüßt mit der Frage, die der Spielerberater gestellt haben soll, bevor er sie im Intimbereich berührt haben soll: „Darf ich?“ Sie haben das scherzhaft zueinander gesagt. Wir haben aber von keinem Spieler gehört, dass sie das mal ernsthaft miteinander besprochen haben.“
Hummels: „Wenn du als Jugendspieler nicht zu den Besten gehörst, kann es dazu führen, dass du Grenzüberschreitungen mitmachst. Du denkst, dass der Berater dich in den Profifußball bringt. Im Fußball finden ständig Grenzüberschreitungen statt. Ich selbst bin über Schmerzgrenzen gegangen, habe tagtäglich Schmerzmittel genommen, nicht bei Bayern München, sondern bei Unterhaching in der dritten Liga. Und wenn da einer ist, von dem du denkst, dass er dir hilft, dann machst du die Grenzüberschreitungen mit. Auch das ist Normalisierung.“
Im modernen Fußball sind Spielerberater sehr wichtig und dadurch auch sehr mächtig geworden.
Hummels: „Als ich in der U-15-Mannschaft des FC Bayern gespielt habe, gab es einen Spieler, der einen Spielerberater hatte. Das hat sich in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren drastisch verändert. Dass 18-Jährige für 30, 40, 50 Millionen Euro wechseln, hat Tür und Tor geöffnet. Die Berater sprechen die Spieler und deren Eltern immer früher an. Sie haben ganz grundsätzlich eine exponierte Stellung. Sie sind weder bei den Vereinen noch bei den Verbänden angedockt.“
Das führt mit Blick auf den Kinder- und Jugendschutz zu einer wesentlichen Frage, die über den Fußball hinausgeht: Wie sind Spielerberater eingebunden in die Strukturen? Im Reglement des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) „für Spieler- und Trainervermittlung im Fußball“ ist in Paragraph 7 die „Vertretung Minderjähriger“ festgelegt. Unter Punkt 2 steht dort: „Ein Fußballvermittler, der einen Minderjährigen oder einen Club bei einer Transaktion vertreten möchte, bei der ein Minderjähriger beteiligt ist, hat zunächst den vorgesehenen Kurs zur beruflichen Weiterbildung in Bezug auf Minderjährige erfolgreich abzuschließen und sämtliche rechtlichen Voraussetzungen für die Vertretung eines Minderjährigen zu erfüllen.“ Was ist das für ein vorgesehener Kurs? Organisiert vom DFB? Wenn nicht, wie weiß der Verband, was die konkreten Inhalte sind und welche Spielerberater daran teilgenommen haben? Und seit wann müssen Spielerberater daran teilnehmen?
Auf eine schriftliche Anfrage der F.A.Z. mit diesen und weiteren Fragen antwortete der DFB nicht.
Zu solchen Maßnahmen habe man Spielerberater nicht verpflichten können
In der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB steht in Paragraph 6b: „Wer, insbesondere als Spieler, Schiedsrichter, Trainer oder Funktionsträger, Handlungen in Form von sexualisierter Gewalt, sexuellen Missbrauchs oder sexueller Belästigung gegenüber einer anderen Person vornimmt, macht sich des Verstoßes gegen die sexuelle Selbstbestimmung schuldig.“ Doch sowohl dort als auch in den Dokumenten zum Kinder- und Jugendschutz werden Spielerberater nicht erwähnt.
Wie ist die Situation in den Vereinen, wo der Austausch mit Spielerberatern deutlich intensiver ist als in den Verbänden? Als die Spielvereinigung Unterhaching, wo Jonas Hummels das erste Mal von den Vorwürfen gegen den Spielerberater hörte, im Januar 2023 einen Pflicht-Präventionsvortrag für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter veranstaltete, waren Spielerberater nicht eingeladen. Warum? Auf Anfrage sagt ein Sprecher des Vereins, dass man Spielerberater nicht zu solchen Maßnahmen verpflichten könne, weil sie nicht Arbeitnehmer des Vereins seien, weil man „keine Weisungsbefugnis“ habe. Sein Verein werde aus diesem Fall seine Lehren ziehen, sagt er. Aber auch, dass es nicht die Vereine seien, die die Berater auswählen, sondern die Spieler und deren Eltern.
Sosehr man weiter über die Verantwortung der Verbände und Vereine sprechen muss, so sehr sollte man auch über die Verantwortung der Spielerberatungsagenturen sprechen. Was machen sie mit Blick auf Kinder- und Jugendschutz? Welche Anforderungen müssen Spielerberater, die mit Minderjährigen in Kontakt stehen, erfüllen? Müssen sie an Schulungen und Fortbildungen teilnehmen? Wenn ja, wie oft?
In der schriftlichen Antwort auf die F.A.Z.-Anfrage ließ die Spielerberatungsagentur, die sich nach der Veröffentlichung der Vorwürfe von dem Spielerberater getrennt hat, diese und weitere Fragen unbeantwortet.
Damit zurück zum konkreten Fall.
Herr Hummels, was sind die Konsequenzen, die die Fußballbranche aus Ihrer Sicht aus so einem Fall ziehen sollte?
Hummels: „Es gibt keine einfache Lösung. Das Wichtigste ist und bleibt: Sensibilisierung schaffen. Darüber zu sprechen, dass das nicht normales Verhalten ist. Man muss wahnsinnig viel hinhören, wahnsinnig viel hinsehen. Versuchen, Situationen zu vermeiden, wo das passieren kann. Versuchen, Abhängigkeiten zu vermeiden, weil die in unserem Fall, glaube ich, ein großer Faktor waren. Es ist aber auch wichtig zu sagen, dass es in unserem Fall eben nicht im Verein passiert ist. Man muss es schaffen, dass Spielerberater mit in die Verantwortung genommen werden können. Der Fußball sollte beim Kinderschutz alle Player miteinbeziehen – und da gehören Spielerberater dazu. Im Idealfall werden die Experten eingebunden, die es schon gibt. Da gibt es allen voran die Ansprechstelle „Safe Sport“, die hilft bei allen Arten von Gewalt im Sport.“
In dem Fall des Spielerberaters, der die Fußballspieler im Intimbereich berührt haben soll, ist nach F.A.Z.-Informationen bisher keine Strafanzeige gestellt worden. Das führt zur großen Frage, die im deutschen Sport diskutiert wird: Wie kann interpersonale Gewalt auch unterhalb der Strafrechtsschwelle sanktioniert werden? Im Dezember 2024 hat die Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) den sogenannten „Safe Sport Code“ beschlossen. Bis spätestens 2028 sollen die Verbände diesen Kodex, der die rechtliche Grundlage für die Erfassung, Bewertung und Bestrafung von Gewalt bilden soll, in ihr Regelwerk übertragen. Das ist das Ergebnis der DOSB-Mitgliederversammlung, auch wenn der größte deutsche Sportverband dagegen stimmte: der DFB. Er habe „Bedenken gegen die Umsetzbarkeit“. Doch selbst jene, die den „Safe Sport Code“ unbedingt umsetzen wollen, sehen Schwierigkeiten. So wie diese: Wie können externe Personengruppen, etwa Spielerberater im Fußball, an den Kodex gebunden werden?
Diese Diskussion könnte durch die Veröffentlichung der Vorwürfe gegen den Berater angestoßen werden. Doch wer in der vergangenen Woche mit Menschen aus dem Profifußball sprach, ist auch auf etwas anderes aufmerksam gemacht worden. Schon am Tag der Veröffentlichung seien Spieler, die von der Agentur des beschuldigten Beraters vertreten werden, von Beratern anderer Agenturen gefragt worden, ob sie sich mit Blick auf die Berichterstattung einen Wechsel vorstellen könnten. Sie sahen in der Berichterstattung offenbar keine Chance für eine Auseinandersetzung mit einem ernsthaften Problem. Sondern eine Chance für sich selbst.