Bedrohung für Schwarz-Rot: Es tickt eine Zeitbombe im Mega-Schulden-Deal | ABC-Z

Friedrich Merz gelingt, was Olaf Scholz immer wollte: mehr Geld auf Pump. SPD und Union haben aber ein Problem im Kleingedruckten beerdigt, das die Koalition noch als Zombie heimsuchen wird.
Wir leben in wilden Zeiten mit sich überholenden Realitäten. Das zeigt die Schuldenorgie, auf die sich das politische Berlin gerade verständigt: Die schwarz-rote Koalition gibt es noch gar nicht, hat sich aber dennoch geeinigt. Der Bundestag ist längst abgewählt, aber will dennoch die Verfassung ändern. Und Friedrich Merz verkündet die Reform der Schuldenbremse, deren Wahrung er zuvor noch versprach.
Wenn jetzt noch einmal jemand „Zeitenwende“ sagt, werde ich womöglich schreien!
Inzwischen kursiert im politischen Berlin eine „Formulierungshilfe“, also quasi ein Textvorschlag, mit dem das Ganze umgesetzt wird. Als ich dort kürzlich reingeschaut habe, wurde mir klar: Die Koalition hat es geschafft, sich kurzfristig zu einigen – zugleich hat sie sich eine Bombe auf den Tisch gelegt.
Denn das größte Problem bei allen Verschuldungsplänen kennt jeder, der einmal um einen Kredit gebeten hat. Der angeflehte Finanzier wird meistens fragen: Wozu, bitte, brauchst du 800 Milliarden Euro?
Brücken oder Parlamentspoeten
Was man im Privaten kennt, ist der Kern der Kritiker einer lockeren Bremse. Konservative und liberale Stimmen warnen seit jeher: Wer die Schuldenbremse lockere, stoße das Tor zur Hölle auf, denn dann verlocke man den Staat dazu, das Geld für alles Mögliche auszugeben, statt für Panzer oder Brücken etwa für Sozialausgaben oder Parlamentspoeten.
Man könnte nun auf die Idee kommen, die Neuverschuldung nur für einen bestimmten Zweck zu gestatten. Klingt simpel, und so sieht es zunächst auch aus. Der große Deal der schwarz-roten Koalition, die noch keine ist, hat mindestens zwei Teile, die sehr unterschiedlich funktionieren. Das eine ist ein riesiger Topf mit endlichen, aber gewaltigen Geldmengen: das Sondervermögen für Infrastruktur. Das andere ist eine komplizierte Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben, die über einem Prozent des BIP liegen.
Beide Elemente aus dem Schuldendeal sind also zweckgebunden: Sondervermögen für Infrastruktur, Schuldenbremsenlockerung für Verteidigung. Der Teufel steckt im Detail: Was ist eigentlich „Infrastruktur“? Eine Brücke? Ziemlich sicher, ja. Bildung? Vielleicht im übertragenen Sinne. Diese Abgrenzung ist im Detail ein juristischer Albtraum.
Haarriss einer künftigen Koalition
CDU-Chef Friedrich Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil haben aber einen recht eleganten Weg gefunden: Der Bundestag soll zwar die Änderung des Grundgesetzes beschließen, weil im neuen Bundestag AfD und Linke jede Reform verhindern können. Die nervige Abgrenzerei, für die eine einfache Mehrheit genügt, überlassen sie dem künftigen, neuen Bundestag. So verweist der Textvorschlag im Kleingedruckten auf bestehende Haushaltsregeln, aber überlässt alles weitere „dem einfachen Gesetzgeber“.
Hier könnte sich der Haarriss einer künftigen Koalition abbilden. Denn wenn die SPD vielleicht kreative Ideen verfolgt, welche Ausgaben man unter dem Etikett „Infrastruktur“ aus dem Sondervermögen schöpfen könnte, wird die Union bemüht sein, einen Rest von Haushaltsdisziplin aufrechtzuerhalten. Der Haushaltszombie bräche dann aus der Erde und würde schon wieder eine Bundesregierung bedrohen.
Auch die Ampel ist an prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten zur Neuverschuldung zerbrochen. Das Problem ist also geschickt vertagt, aber nicht aufgehoben. Allerdings ist das ja das Grundprinzip beim Schuldenmachen: Man vertagt ja schon das Grundproblem, kein Geld zu haben, auf später.
Die nächste Zeitbombe
Zudem konnten die Teams um Klingbeil und Merz das Problem unmöglich sofort klären. Selbst wenn man sich untereinander, sogar mit Saskia Esken, auf einen Text geeinigt hätte, müsste das Ganze auch der Bundestag nachvollziehen. Und hier lauert die nächste Zeitbombe.
Manch ein Abgeordneter, insbesondere natürlich unter AfD und Linken, könnte auf die Idee kommen, das gesamte Manöver aufzuhalten. Sie könnten argumentieren, dass Beratungszeit fehlt. Einen solchen Fall gab es schon einmal, als der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann die Beratungen zum Heizungsgesetz stoppen ließ – durch einen Brief an das Bundesverfassungsgericht. Man muss also den Text für den fetten Zukunftshaushalt halbwegs schlank halten, wenn die Sache nicht in Karlsruhe scheitern soll.
Notwendiger Husarenritt
Es ist also alles in allem ein Husarenritt, aber ein notwendiger. Die richtig großen Volten der Zeitgeschichte lassen sich auf Slogans herunterbrechen, die kürzer sind als manche Werbung für Milchschokolade: „I have a dream“, „Wir schaffen das“ oder „Ich bin ein Berliner“. Friedrich Merz hat das begriffen und einen Powersatz italienischer Provenienz zitiert, um das größte Schuldenpaket der deutschen Geschichte zu vermarkten: „Whatever it takes!“, sagte er.
Das hat der Italiener und frühere Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi mal proklamiert, um inmitten der Euro-Krise halbwegs subtil klarzumachen, dass die EZB alles Erdenkliche tun werde, um den Euro zu retten.
„Whatever it takes“, das heißt: Schutz gegen Russland in Zeiten zerbrechender Verteidigungsbündnisse – da ist jeder Preis recht. Das schließt eigene Prinzipien ein, mag sich Merz hinzugedacht haben.
Querfront gegen die Ränder
Kritiker monieren schon die Sozialdemokratisierung der Union herbei – und wenn die Grünen, die ja ebenfalls mitstimmen müssten, auch noch Klimaschutz ins Paket verhandelt haben, darf man getrost von einer rot-schwarz-grün-gelben Querfront gegen die politischen Ränder sprechen.
Insbesondere die AfD wird bis in den nächsten Wahlkampf daran erinnern. Mit der CDU unter Merz sei nun keine Koalition mehr drin, sagte Parteichefin Alice Weidel schon bei Markus Lanz, weil die CDU ihre Wähler betrogen habe. Sie wird dies auch erzählen, wenn der deutsche Haushalt unter gigantischen Zinslasten ächzen wird und wir schlimmstenfalls eine Legislatur voll Streitigkeiten über Ausgabenpolitik hinter uns haben.
Das einzige, was gegen eine weitere Wachstumsspritze für die AfD hilft: Die künftige Koalition muss so geräuschlos weiterarbeiten, wie sie sich auf den Mega-Schulden-Deal geeinigt hat.