BDZV-Chefs Ditzen-Blanke und Hilscher zu „Friedensangebot“ von Das Erste-Gniffke | ABC-Z
Matthias Ditzen-Blanke: Den Frieden muss Herr Gniffke nicht mit uns schließen. Er und seine Kolleginnen und Kollegen der ARD müssen sich selbst an bestehendes Gesetz und Regeln halten. Selbstverpflichtung bedingt Eigenverantwortung. Diese Eigenverantwortung gelingt bereits heute nicht. Die jetzt geltenden Regeln, die Presse vor der Marktstörung durch öffentlich-rechtliche Textangebote zu schützen, scheitert an der Interpretation und Auslegung der Anstalten. Dies vermochte auch Herr Gniffke in seiner Rolle als ARD-Vorsitzender bisher nicht zu verändern. Darum muss der Gesetzgeber nun klarer werden und eine Festschreibung machen, und das ist der eigentliche „Game Changer“.
Stefan Hilscher: Was Kai Gniffke im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur gesagt hat, hat es so noch nie gegeben: Das ist das klare Bekenntnis, dass es das Problem und die Herausforderung der Presseähnlichkeit für die ARD gibt. Und das in einem dramatischen Umfang. Hier muss nun endlich eine Lösung her.
Halten Sie das Angebot für einen Trick? Kai Gniffke bietet die Selbstverpflichtung anstelle einer Regelung im Staatsvertrag an. Nach dem Motto: Wenn es keine gesetzliche Regelung gibt, machen wir das freiwillig, aber auch nur dann. Sollte die Politik darauf eingehen, könnten sich die Presseverlage auf so etwas verlassen?
Ditzen-Blanke: Wir haben Jahre mit Schlichtungsversuchen hinter uns. In all dieser Zeit hätte genau diese Selbstverpflichtung passieren können, und sie ist halt nicht passiert.
Hilscher: Genau so ist es. Und bei aller Wertschätzung: Hunderte Menschen aus Politik und Sendern beschäftigen sich über Monate mit diesem Vorschlag, der vielen Anliegen Rechnung zu tragen versucht. Und in wirklich allerletzter Minute wird diese Selbstverpflichtung aus der Tasche gezogen. Für wie naiv hält Herr Gniffke eigentlich die Verleger – und auch die Politiker, frage ich mich.
Hilscher: Ich muss es mal so deutlich sagen: Kai Gniffke und der SWR haben sich so verhalten, dass unsere Kolleginnen und Kollegen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – das ist ja das Sendegebiet, um das es hier geht – gezwungen sind, langwierige Rechtsverfahren zu führen. Das finden wir bedauerlich. Und eine Bemerkung zu dem Thema, dass die ARD ohne lange Texte die Jugend im Internet nicht erreichen kann: Da sagt der ARD-Vorsitzende, ich zitiere nach dpa: „Die ,Tagesschau‘ ist die erfolgreichste Medienmarke bei Tiktok und bei Insta. Das würde ich ungern beschädigen, weil es unserem Auftrag entgegenlaufen würde, der Dominanz von polarisierenden und von emotionalisierenden Inhalten etwas entgegenzusetzen. Das muss doch in unser aller Interesse sein.“ Da sagen wir: Wo, wenn nicht auf diesen Portalen, also Tiktok und Instagram, kann die ARD mit gut gemachten Videos und Audios junge Menschen bestens erreichen? Da braucht es keine presseähnlichen Texte oder Verlinkungen auf ebendiese Texte auf den Seiten der öffentlich-rechtlichen Sender.
Bei Tiktok und Instagram auf Texte zu setzen ist in der Tat überraschend. ARD und ZDF sagen zum Entwurf des neuen Medienstaatsvertrags aber noch etwas anderes: Das Verbot der Presseähnlichkeit greife in ihre Rundfunkfreiheit ein und sei verfassungswidrig. Ist es das?
Ditzen-Blanke: Es gibt entsprechende Gerichtsurteile, die festhalten, dass dem nicht so ist. Die Bundesrepublik, das heißt die Gesetzgebung, ist verfassungsrechtlich dazu angehalten, die freie Presse zu schützen, und verfassungsrechtlich ist es aus unserer Sicht verboten, mit öffentlich-rechtlichen Textangeboten, die von allen durch den Rundfunkbeitrag finanziert werden, die Vielfalt und die Finanzierung der freien Presse zu beeinträchtigen. Das passiert aber seit Jahren, obwohl es das Verbot der Presseähnlichkeit gibt. Deshalb muss diese Regelung besser gefasst werden und darf nicht mehr den Interpretationsspielraum lassen, den sich die Sendeanstalten herausnehmen. Am Beispiel der „Tagesschau“-App ist gerichtlich und verfassungsrechtlich bestätigt worden, dass dort der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender überschritten wird. Kai Gniffke sollte erst mal auf seine eigene Rolle gucken und wie er mit dem Verbot der Presseähnlichkeit umgeht.
Hilscher: Mag sein, aber bei der „Tagesschau“-App haben wir es vom Bundesverfassungsgericht bestätigt bekommen: Die Verfassungsrichter haben im Frühjahr 2022 eine Beschwerde des Norddeutschen Rundfunks gegen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die in unserem Sinne war, nicht angenommen. Deswegen sehen wir einer solchen möglichen Auseinandersetzung zuversichtlich entgegen.
Die öffentlich-rechtlichen Sender sagen, es sei gar nicht erwiesen, sondern geradezu widerlegt, dass ihre kostenlosen, vom Rundfunkbeitrag finanzierten Textangebote der Presse schaden. Da gab es erst Anfang Oktober eine Umfrage von Goldmedia, die das zu stützen scheint und besagt: Nur drei Prozent der Nutzer, gerade der jüngeren, würden zu Presseprodukten wechseln. Bedrängt werde die Presse – so die ARD – nur von den Digitalkonzernen, nicht von den Öffentlich-Rechtlichen.
Hilscher: Das behauptet Kai Gniffke seit Jahren. Es sind immer wieder dieselben Argumente. Es entspricht schlicht und ergreifend nicht den Fakten und wird durch ständiges Wiederholen auch nicht richtiger. Dass öffentlich-rechtliche Textportale Aufmerksamkeit und Mittel für andere Medien binden, haben wir im BDZV mehrfach mit Untersuchungen belegt. Wissenschaftliche Marktstudien bestätigen, dass sich öffentlich-rechtliche Textproduktion bundesweit, vor allem aber regional, negativ auf die Presse auswirkt. Die Regionalzeitungen werden besonders stark angegriffen. Studien bestätigen das Gegenteil von dem, was der ARD-Vorsitzende behauptet: Nutzerinnen und Nutzer würden bei weniger Textangeboten der Öffentlich-Rechtlichen sehr wohl auf Angebote der Presse ausweichen.
Ditzen-Blanke: Die Auseinandersetzung mit der Studie und der Zeitpunkt, zu dem sie veröffentlicht wurde, lässt erkennen, dass gezielt Argumente platziert worden sind. Doch schauen wir uns die von Ihnen genannte Studie genauer an: Sie geht davon aus, dass nur wenige Nutzerinnen und Nutzer für Inhalte im Netz zahlen würden, wenn Textangebote der ARD wegfielen. Als Unternehmen berechnen wir das etwas nüchterner. Für unsere Branche würden die angeblich „nur“ drei Prozent Nutzerinnen und Nutzer, die zu Presseangeboten wechseln würden, nämlich zusätzliche Erlöse in dreistelliger Millionenhöhe bedeuten. Aus unserer Sicht ist das sehr viel Geld, für die ARD vielleicht nicht. Wenn wir von fünf Milliarden Euro Vertriebsumsatz der Zeitungen im Jahr ausgehen, sind drei Prozent Zuwachs 150 Millionen. Für die Presseverlage ist das keine unwesentliche Summe. Die Problematik insgesamt ist, dass solche Gutachten in Auftrag gegeben werden, um eigene Argumente zu stützen, und nur dazu dienen. Wir brauchen aber einen gemeinsamen Blick auf einen fairen Wettbewerb zwischen der freien Presse und den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Dann haben wir tatsächlich einen „Game Changer“ – durch die entsprechende Gesetzgebung.
Vertreterinnen der ARD, etwa die Intendantin des Bayerischen Rundfunks, haben in Sachen Presseähnlichkeit Horrorszenarien entworfen: Wir können keine „Breaking News“ mehr machen, heißt es. Wir können im Internet nicht vor Hochwasser warnen, bevor wir im Radio oder im Fernsehen dazu eine Sendung gebracht haben. Ist da etwas dran?
Hilscher: Niemand will, dass, wenn zum Beispiel die Bevölkerung durch Hochwasser bedroht ist, bei den Öffentlich-Rechtlichen kein Text dazu stehen darf. Selbstverständlich können die Sender „Breaking News“ bringen, das ist doch überhaupt nicht das Thema. Das Thema ist, wenn Sie auf die Seiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehen und bereits nach einem Klick auf einen Artikel kommen, der in der F.A.Z. stehen könnte oder im „Münchner Merkur“ oder in einer anderen Zeitung. Natürlich soll der Bayerische Rundfunk vor Hochwasserlagen warnen können. Da werden Horrorszenarien aufgebaut, die es überhaupt nicht gibt und über die wir gar nicht reden müssen.