Bayreuther Festspiele: Bayreuth macht sich locker | ABC-Z

Ein “echtes Wahrzeichen der deutschen Seele” nannte Friedrich Nietzsche einmal Richard Wagners Fünf-Stunden-Oper Die Meistersinger von Nürnberg,
und man fragt sich natürlich schon, was es über die deutsche Seele
sagt, wenn sich bei der diesjährigen Bayreuther Eröffnungspremiere im
dritten Akt eine riesige aufblasbare Kuh mit gebleckter Zunge aus dem
Schnürboden über die Meistersinger-Festwiese
herabsenkt. Dass sich die Zuschauer – unter ihnen Bundeskanzler
Friedrich Merz, Kulturstaatsminister Wolfram Weimer und natürlich
Angela Merkel – solch tiefschürfende Fragen stellen, ist aber gar nicht
vorgesehen. Der Regisseur Matthias Davids will die Meistersinger
vielmehr als reine Slapstick-Komödie zeigen, und der Dirigent Daniele
Gatti nimmt der Musik dafür alle Wucht und Schwere. Bayreuth macht sich
locker – wollten das nicht immer alle?
Fragen hat man
trotzdem. Das beginnt im Vorspiel, als einem plötzlich ein
verzweifelter Herr mit Handytaschenlampe quer über den Schoß steigt. Auf
dem Weg zu seinem 400-Euro-Platz wurde er offenbar vom Beginn der
Vorstellung überrascht, wie ein gutes Dutzend anderer Zuschauer auch.
War Bayreuth nicht berühmt für seinen perfekt organisierten Einlass –
und die harte Tür mit Vorstellungsbeginn, um nur ja die berühmte Akustik
nicht zu stören?
Und war es wirklich die allerbeste
Idee von Festspielchefin Katharina Wagner, den Chordirektor
auszutauschen – so durcheinander, wie die Sängerinnen in der
komplizierten Prügelfuge und auf der Festwiese klingen?
Auch
dass sich die Fassadenbeleuchtung des Festspielhauses um 22 Uhr von
selbst ausknipst, mit Kanzler oder ohne – daran hatte anscheinend
niemand gedacht. Viel zu tun also für den neuen General Manager Matthias
Rädel, der ab Herbst die Geschäfte auf dem Grünen Hügel führen und den
stockenden Kartenverkauf wieder ankurbeln soll, damit Katharina Wagner
sich ganz auf die Kunst konzentrieren kann.
Spätestens
als die aufgeblasene Kuh erscheint, ahnt man, dass es ohne Nachdenken
nicht gehen wird. Denn eigentlich wäre kein Ort besser geeignet als
Bayreuth, um herauszufinden, ob das überhaupt noch funktioniert: Die Meistersinger von Nürnberg
aufzuführen, mit denen die Festspiele auch 1933 eröffnet wurden, weil
die Nazis die antisemitischen Chiffren des Stücks so interessant
fanden.
Und plötzlich soll alles lustig sein?
Vielleicht sollte Bayreuth aufhören, sich locker zu machen – und sich endlich mal richtig ernst nehmen.