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Batteriefabrik in Heide: Wenn Northvolt scheitert, „kommt jemand anderes“ – Wirtschaft | ABC-Z

Bei gutem Wetter fahren sie einfach mal gucken. Mit dem Fahrrad schnell rüber zur Baustelle von Northvolt, und dann beobachten Dörte und Klaus-Dieter Sund, wie es vorangeht. Wie die großen Laster und Bagger vorfahren, Baustoffe und Material transportieren. Und eine neue Autobahnausfahrt wurde auch schon aus dem Boden gestampft, sie führt direkt zur Baustelle. „Wir sind völlig begeistert“, sagt Dörte Sund, „so was bekommt man sonst nie so schnell hin.“ Sund ist Vorsitzende des Heider Bürgervereins, 180 Jahre ist der alt, und so eine Ansiedlung wie von Northvolt hat es hier noch nie gegeben.

Seit das schwedische Start-up im Frühjahr den Baustart in Heide begangen hat, um hier von 2026 an Autobatterien zu produzieren, ist die Westküste von Schleswig-Holstein in Aufbruchstimmung. Lange galt die Region als strukturschwach, aber Northvolt kann, so Sund, „für die Jugend eine Chance sein, dass nicht alle in die Großstädte ziehen müssen“.

3000 Menschen sollen künftig bei Northvolt im Kreis Dithmarschen arbeiten, doch seit einiger Zeit kriselt es bei der Firma in Schweden: Die Produktion im Stammwerk in Skellefteå konnte nicht so schnell hochgefahren werden wie geplant, wichtige Kunden wie BMW zogen ihre Aufträge zurück. An mehreren Standorten werden Stellen abgebaut, 1600 Mitarbeiter müssen gehen. Noch dazu meldete eine Tochterfirma Insolvenz an. Gründer Peter Carlsson wirbt seit Wochen bei Investoren um neues Geld, nun soll laut der Nachrichtenagentur Bloomberg die Investmenttochter der US-Bank Goldman Sachs erwägen, die Firma zu retten, zusammen mit anderen Geldgebern. Bis es so weit ist, stellt sich die Frage, was all die Schwierigkeiten für Heide bedeuten. Die Entwicklungen in Schweden hätten keine Auswirkungen auf den Standort Heide, versicherte Deutschland-Chef Christofer Haux zuletzt dem Wirtschaftsausschuss des Kieler Landtags, die Fabrik werde gebraucht. Eine Antwort, auf die sich die Heider erst mal verlassen.

Northvolt will die europäische Antwort auf die Autobatterieoffensiven aus China sein, für die Ansiedlung schießen Bund und Land 700 Millionen Euro hinzu, dazu kommen Garantien über 202 Millionen Euro. „Die geben ja keine Steuergelder für etwas, das gar nicht existieren kann“, sagt Dörte Sund. Früher hat die 75-Jährige mit ihrem Mann in der Heider Innenstadt eine Buchhandlung geführt, in dritter Generation. Doch in der Familie fand sich niemand, der das Geschäft übernehmen wollte. Ein Unternehmer erwarb es schließlich, verkaufte es später an eine Kette. Heute steht das Geschäft leer, ein Problem vieler Innenstädte. Mit Northvolt hofft Sund auf eine Wiederbelebung.

Dithmarschen hat grüne Energie im Überfluss

„In der Region gehen die Leute traditionell eher weg, als dass sie kommen“, sagt Bürgermeister Oliver Schmidt-Gutzat, „das ändert sich gerade“. Der 55-Jährige sitzt in einem Veranstaltungsgebäude in der Nachbargemeinde Ostrohe, die vergangenen zwei Tage fand hier ein Austausch mit Experten aus anderen europäischen Regionen statt, die gerade wachsen. Sich um den Fortschritt von Northvolt zu sorgen, hält Schmidt-Gutzat für Energieverschwendung. Sie hätten einen „Masterplan“ hier in Heide, und der dreht sich nicht allein um Northvolt. Sollte Northvolt scheitern, „dann kommt jemand anderes“, sagt er. Das Selbstbewusstsein in der Region kennt gerade keine Grenzen.

Das liegt daran, dass sie gute Gründe für weitere Ansiedlungen direkt vor ihrer Haustür sehen: die zahllosen Windräder, die hier für grüne Energie sorgen, zusammen mit den Windparks draußen in der Nordsee. Der Kreis Dithmarschen produziert mehr Energie aus Wind, Sonne und Biomasse, als gerade verwertet werden kann, kein anderes Bundesland hat zuletzt mehr Windanlagen zusätzlich gebaut. „Den Standort kann uns keiner nehmen“, sagt Schmidt-Gutzat, und die Verfügbarkeit von nachhaltiger Energie war ja auch einer der Hauptgründe für die Entscheidung von Northvolt, sich hier anzusiedeln. Diese Entscheidung allein war ziemlich gute Werbung für Dithmarschen, unterstützt durch die Besuche von Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Baustart. „Das kann man mit Geld nicht aufwiegen“, sagt der Bürgermeister. Neulich hat er sich mit Unternehmern in Baden-Württemberg ausgetauscht, dabei habe er gespürt, „dass die kalte Füße kriegen, weil sie sehen: Der Standortvorteil dreht sich langsam um“.

Um die Region fit für Investoren zu machen, hat Heide vor vielen Jahren eine „Entwicklungsagentur“ gegründet, die sich mit dem Erschließen von verfügbaren Flächen für Firmen befasst. Chef Dirk Burmeister nennt Dithmarschen „das Kraftwerk von Europa“, er ist mit ganzer Energie bei der Sache. „Ich finde, wir haben nicht die entscheidende Frage: Northvolt, ja oder nein?“, sagt er. Sondern viel mehr, so muss man ihn verstehen: Wer kommt als Nächstes? Vor ein paar Jahren stand hier die Ansiedlung von Google im Raum, erzählt er, das Unternehmen entschied sich dann aber für einen Standort in Dänemark. „Der Strom war natürlich günstiger“, sagt Burmeister. Dass der Verkauf von E-Autos in Deutschland schwächelt – worunter auch Northvolt leidet –, hält er für eine Momentaufnahme.

Um 10 000 Einwohner könnte Heide in den nächsten zehn Jahren wachsen

Beim Wirtschaftsaustausch im Gemeindehaus von Ostrohe war Burmeister auch dabei, es geht ja auch darum, die Wachstumsschmerzen anderer Gemeinden zu vermeiden. Das bedeutet: ausreichend Wohnraum und eine angemessene Infrastruktur zu schaffen, Betreuungsangebote in Kindergärten und Schulen parat zu haben. Um 10 000 Einwohner könnte die heutige 22 000-Einwohner-Stadt Heide durch die Northvolt-Ansiedlung in den kommenden zehn Jahren wachsen, so ihre Prognosen. Viele Projekte und Bauvorhaben setzen Heide und die anliegenden Gemeinden schon um.

Auf der Baustelle in Heide fahren am vergangenen Mittwochabend Dutzende Autos vor, dahinter drehen sich im Sonnenuntergang die Windräder: Das Unternehmen hat zu einer öffentlichen Sprechstunde eingeladen. Journalisten sind nicht erwünscht und werden weggeschickt, man verweist auf einen „geschützten Rahmen“, in dem der Termin abgehalten werden soll. Etwa 45 Bürger und Bürgerinnen haben die Zusage vom Unternehmen erhalten, sie dürfen nach kurzer Einweisung mit ihren Autos weiter auf die Baustelle fahren. Ein Mann Ende 20 mit schwarzer Outdoorjacke ist gekommen, um „Antworten zu bekommen“, „man hört in den Medien dies und das“. Viel sagen möchte er nicht. Aber wäre da keine Verunsicherung, wäre er nicht hier.

Natürlich gäbe es auch Leute, die erst mal sehen wollen, dass da wirklich eine Fabrik steht, sagt Dörte Sund vom Bürgerverein, „die sagen: Ich weiß doch noch gar nicht, wie ich das einschätzen soll“. Klar ist: Ob der Zeitplan in Heide so eingehalten werden kann, wie geplant, wird vom Unternehmen noch überprüft.

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