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Erding: Der Friedhof der 2000 Bajuwaren – Erding | ABC-Z

Als im 5. Jahrhundert die letzten Römer das heutige Oberbayern verließen, bildete sich aus germanischen Stämmen unterschiedlichster Herkunft ein neues Volk – die Bajuwaren. Alemannen, Langobarden, Thüringer und Einwanderer aus Böhmen, sie alle ließen sich im Raum Erding nieder. Diese Vorfahren der Bajuwaren haben in Klettham ein riesiges Gräberfeld mit mehr als 2000 Gräbern hinterlassen. 1965, vor 60 Jahren, entdeckten spielende Buben in einem offenen Kanalgraben an der heutigen Liegnitzerstraße Schwerter, Pfeilspitzen und Totenschädel. Schnell wurden der damalige Kreisheimatpfleger und das Denkmalamt auf die Funde aufmerksam. Sie stoppten die Bauarbeiten. Im Laufe der Ausgrabungen, die von 1966 bis 1973 dauerten, stellte man fest, dass das Kletthamer Gräberfeld in seiner Größe und Vielschichtigkeit einzigartig in Bayern ist. Es ist bis heute das bedeutsamste archäologische Zeugnis in Erding.

Im Sommer 1965 spielten die Brüder Thomas und Hermann Schöberl sowie ihre Freunde Robert Reiter, Gerhard Fischer und Manfred Schneider auf der Baustelle der heutigen Parksiedlung. Thomas Schöberl war damals acht Jahre alt. „Da war ein Graben für Rohre mitten in der Straße. Wir haben dann gesehen, dass links und rechts Knochen in der Erde waren“, erinnert er sich. Mit bloßen Händen gruben die Buben weiter. Sie fanden einen wahren Schatz: Schwerter, Pfeilspitzen und Totenschädel. „Von uns dachte keiner an Kelten oder Bajuwaren“, sagt Schöberl. Schwerter waren für sie Relikte aus der Ritterzeit und Pfeilspitzen waren „Cowboy und Indianer“. „Wir lebten damals in der Welt der Ritter, das war unglaublich spannend für uns, so etwas zu finden. Da waren richtig große Schwerter dabei.“

„Wir haben die Schwerter, Pfeilspitzen und zwei Schädel nach Hause gebracht und ins Gartenhäuschen gelegt“, sagt Schöberl. Else Schöberl, die Mutter, erkannte sofort, dass der Fund bedeutsam war und informierte den Kreisheimatpfleger. Der wiederum schaltete das Denkmalamt ein. „Als wir dann am nächsten Tag von der Schule heimgekommen sind, war alles weg.“ Eine Woche später seien die Buben dann zu einem Fototermin eingeladen worden, „da gab’s einen warmen Händedruck“. Erst 2016, ein halbes Jahrhundert später, ehrte der Archäologische Verein die Buben von damals mit dem Erdinger Archäologiepreis.

Das Kletthamer Reihengräberfeld ist das größte seiner Art in Süddeutschland und europaweit eines der bedeutendsten Zeugnisse aus den schriftarmen Jahrhunderten zwischen Völkerwanderung und Frühmittelalter. Die Funde datieren von der Mitte des 5. Jahrhunderts bis ins 7. Jahrhundert. Bis in die Sechzigerjahre ging die Geschichtsschreibung, gestützt auf Schriftzeugnisse, davon aus, dass die Bajuwaren erst im 6. Jahrhundert und später in der Region auftauchten, wobei auch der Begriff „Bajuwaren“ lange als strittig galt. Mithilfe der Funde in Klettham musste die Geschichte revidiert werden.

Bis zum Ende der Ausgrabungen wurden mehr als 2000 Gräber zutage gefördert. Neben den sterblichen Überresten der frühmittelalterlichen Erdinger fanden die Archäologen wertvolle Grabbeigaben wie Waffen und Schmuckstücke wie Goldfibeln. Unterschiedliche Grabbeigaben, unterschiedliche Bestattungsriten, die verschiedenen Stämme brachten ihre Kulturen mit sich. Als ein frühes „Multikulti“ bezeichnet es der Leiter des Museums Erding, Harald Krause. Ferner wurden sechs Frauenskelette mit künstlich deformierten Schädeln gefunden, sogenannten Turmschädeln, die einer genetischen Untersuchung zufolge aus hunnischen Siedlungsgebieten wie Rumänien und Bulgarien stammen. Und das Knochenmaterial der Grabungen brachte auch den Nachweis der „Justinianischen Pest“ in den Jahren 541 bis 544. Die Seuche gilt als größte antike Pandemie in Europa.

Im Museum Erding sind vier komplette Grablegungen ausgestellt, zudem einige weitere Grabbeigaben wie Schmuckstücke und Waffenreste. Die restlichen Funde lagern in der Archäologischen Staatssammlung sowie in der Anthropologischen Staatssammlung in München.

Thomas Schöberl sagt, als Kind habe er nicht so richtig realisiert, was in Klettham gefunden wurde und welche historische Bedeutung der Fund hatte. Erst später, als man die Funde auswertete und über neue Erkenntnisse berichtet wurde, habe er die Tragweite erkannt. Aber dieses Erlebnis in seiner Kinderzeit hat ihn geprägt und sein Interesse an Geschichte geweckt. Erst befasste er sich mit seiner Familienhistorie und verfolgte seinen Stammbaum bis ins Jahr „Fünfzehnhundertirgendwas“.  Danach hat er sich mit einer 3D-Grafik befasst und begonnen, Animationen über das historische Erding zu produzieren. 28 sehenswerte Videos mit mehr als 77 000 Aufrufen sind es bei Youtube bereits.  Da hat ein Kindheitserlebnis eine nachhaltige Begeisterung ausgelöst.

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