Bartgeier-Projekt Berchtesgaden: Fünfter Jahrgang wird ausgewildert – Bayern | ABC-Z

Dieser Tage jährt es sich zum zehnten Mal, dass Papst Franziskus seine Umwelt-Enzyklika „Laudato si‘“ veröffentlicht hat. Zentraler Beweggrund des Papstes bei der Abfassung der Enzyklika sei die „Sorge um das gemeinsame Haus“ der Menschen gewesen, heißt es auf der Internetseite der deutschen Bischofskonferenz, und weiter: „Diese Sorge ist aktueller denn je und es wird immer deutlicher, dass für eine ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit alle gebraucht werden.“ Dem göttlichen Auftrag der Schöpfungsfürsorge könne die Welt nur gerecht werden, „wenn wir gemeinsam an einer lebenswerten Zukunft für alle arbeiten“.
Für Norbert Schäffer, den Vorsitzenden des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz (LBV), hat die Enzyklika des kürzlich verstorbenen Papstes einen hohen Stellenwert. Und zwar nicht nur, weil die christliche Rede von der „Bewahrung der Schöpfung“ für Schäffer, der sich „einen durchaus religiösen Menschen“ nennt, eine wichtige spirituelle Bedeutung hat. Sondern außerdem eine sehr konkrete Verbindung zu seiner täglichen Arbeit im Naturschutz. „Wenn wir Naturschützer uns um den Erhalt der Artenvielfalt kümmern, dann ist das Bewahrung der Schöpfung pur“, sagt Schäffer. „Was sonst?“
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Diesen Dienstag geht das Bartgeier-Projekt des LBV im Nationalpark Berchtesgaden in die nächste Runde. Dann werden im Rahmen eines Festakts im Klausbachtal zwei gerade mal 90 Tage junge und noch flugunfähige Bartgeier ausgewildert. Anders als in den Vorjahren werden diesmal keine prominenten Landespolitiker als Ehrengäste teilnehmen. Sondern zwei Geistliche: Daniel Jägers, Vikar der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde von Bad Reichenhall-Berchtesgaden, und Pfarrer Herwig Hoffmann vom Pfarrverband Ramsau-Unterstein. Mit ihrer Einladung will der LBV auch ein Zeichen zum zehnten Jahrestag von Laudato si‘ setzen.

Die Wiederansiedlung der Bartgeier in den bayerischen Bergen ist das aktuell größte Naturschutzprojekt im Freistaat. Und es zählt gewiss zu den spektakulärsten. Das liegt zuallererst an den Bartgeiern selbst. Außerdem natürlich daran, dass der LBV das Projekt aufwendig im Internet vermarktet, sodass es eine riesige Fangemeinde hat. Gypaetus Barbatus, wie der wissenschaftliche Name der Art lautet, zählt zu den weltweit mächtigsten Greifvögeln. Mit einer Spannweite von bis zu drei Metern und ihrem hakenförmigen Schnabel sehen sie richtig furchteinflößend aus. Ihren Namen haben die Tiere von den schwarzen Federn, die unter ihrem Schnabel nach unten abstehen.
Bartgeier sind aber völlig harmlos. Die Greifvögel fressen ausschließlich Knochen und Aas. Gleichwohl sind sie in den Alpen ausgerottet worden. Die Menschen waren überzeugt, dass Bartgeier Schafe und sogar kleine Kinder jagen und töten. 1913 wurde im italienischen Aostatal der letzte Bartgeier abgeschossen, der damals noch frei in den Alpen lebte. In Bayern waren die Tiere schon viele Jahre zuvor ausgerottet worden.
Heute leben in den Alpen laut Fachleuten wieder zwischen 300 und 350 Bartgeier, unter ihnen mehr als 70 Brutpaare. Die Population geht zurück auf ein Wiederansiedlungsprojekt seit den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, beginnend in Österreich. Seit 2021 nimmt daran der LBV mit seiner auf zehn Jahre angesetzten Initiative im Nationalpark Berchtesgaden teil. In deren Rahmen werden jedes Jahr im hinteren Klausbachtal in einer Felsnische in 1300 Metern Höhe zwei oder drei junge Bartgeier in die Freiheit entlassen.

Den Anfang machten Wally und Bavaria, 2022 folgten Recka und Dagmar. Nepomuk und Sisi waren 2023 der dritte Jahrgang, 2024 gingen mit Wiggerl und Vinzenz erstmals zwei junge Bartgeier-Männchen gemeinsam an den Start. Die Süddeutsche Zeitung hat das Projekt zu seinem Beginn vor vier Jahren mit einer Serie begleitet. In ihrem Rahmen erhielt Wally von den SZ-Lesern ihren Namen. Der jähe Tod von Wally war das einzig wirklich dramatische Ereignis bei dem Projekt. Sie wurde im April 2022 im Wettersteingebirge beim Fressen von einem herabstürzenden Felsen erschlagen.
Pünktlich zur Halbzeit des Projekts kann man konstatieren, dass es ein voller Erfolg ist. Die Bartgeier sind wieder heimisch in der Bergwelt an der bayerisch-österreichischen Grenze. „Streng wissenschaftlich dürften wir das natürlich erst sagen, wenn der erste junge Bartgeier hier in freier Wildbahn geschlüpft ist“, sagt der Biologe und Leiter des Wiederansiedlungsprojekts, Toni Wegscheider. „Davon sind wir sicher noch drei oder vier Jahre entfernt.“ Bartgeier werden erst mit sechs oder sieben Jahren geschlechtsreif, sie suchen sich dann lebenslange Partner. Bavaria, das älteste bayerische Bartgeierweibchen, ist jetzt gerade mal vier Jahre alt. Sie hat also noch mindestens zwei Jahre, bis sie so weit ist.
Aber schon jetzt steht fest, dass die Bartgeier angekommen sind in Bayern. „Alle sieben fühlen sich wohl und kommen von ihren teils sehr weiten Erkundungsflügen durch die Alpen“, sagt Wegscheider. „Anfang März waren einige Zeit lang sogar fünf gleichzeitig hier bei uns.“ Aber nicht nur das. Wegscheider und seine Kollegen entdecken außerdem immer mal wieder gebietsfremde Bartgeier in den bayerisch-österreichischen Grenzbergen. „Man könnte meinen, unser Wiederansiedlungsprojekt spricht sich herum in der alpenweiten Bartgeierwelt“, sagt Wegscheider, „und es kommen immer mal wieder welche zum Nachschauen, was hier los ist.“
Jetzt also der fünfte Jahrgang junge Bartgeier. Von den beiden Greifvögeln, die am Dienstag in die felsige Auswilderungsnische in 1300 Metern Höhe über dem Klausbachtal gebracht werden, wo sie die Zeit verbringen, bis sie fliegen können, sind bisher nur die wissenschaftlichen Kürzel BN 1263 und BG1265 bekannt, unter denen sie registriert sind. Und dass sie aus Zuchtstationen in Österreich und der Schweiz stammen. Das Geschlecht und alle möglichen weiteren Details werden erst bei dem Festakt zu ihrer Auswilderung bekannt gegeben. In seinem Rahmen erhalten die beiden dann auch ihre richtigen Namen.