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Barrierefreiheit im Stadion: Wie die Bundesliga Rollstuhlfahrer ausschließt | ABC-Z

Die Saison
könnte gut enden, ein Sieg mit zwei Toren Unterschied gegen Holstein Kiel und
Borussia Dortmund erreicht doch noch die Champions League. Aber es war ein
harter Winter für viele Fans des BVB. “Viele Drecksspiele, dazu war es ständig
kalt und nass”, sagt Giuseppe Bellia.

Er sagt auch:
“Das war mein Glück.”

Bellia sitzt
im Rollstuhl. Auch in dieser Saison hat er über den offiziellen Weg keine
Karten bekommen. Aber er war trotzdem da. Achtmal, so oft wie nie zuvor. “Über
Vitamin B”, sagt er, sei er an Tickets gekommen. Meist von Fans mit Dauerkarte,
die lieber im Warmen blieben. Gegen Kiel hat er alles versucht, muss aber wohl
wieder draußen bleiben. “Die Situation insgesamt ist eine Katastrophe für uns.”

In seiner
Arena für 81.365 Zuschauer bietet der BVB, obwohl gesetzlich 425 vorgeschrieben
wären, ganze 72 Plätze für Rollstuhlfahrer an. 45 davon sind über Dauerkarten
vergeben. Vielen Betroffenen bleibt das Live-Erlebnis verwehrt. Nicht mal den
Wunsch nach einer Tauschbörse hat der Verein erfüllt.

Dortmund ist ein Beispiel von
vielen. Die Bundesliga gibt sich gerne inklusiv und veranstaltet
Vielfaltsspieltage. Doch eine Recherche von ZEIT ONLINE zeigt: Fast alle
Vereine bieten Rollstuhlfahrern zu wenig Platz. Damit verstoßen sie gegen die
Gebote der Fairness, der Inklusion – und ignorieren deutsches Gesetz.

Den barrierefreien Zugang zu
Veranstaltungen regelt die Muster-Versammlungsstättenverordnung, die dreizehn
von sechzehn Bundesländer übernommen haben. In Stadien von bis zu 5.000 Plätzen
müssen mindestens 1 Prozent, bei höherer Kapazität mindestens 0,5 Prozent der
Plätze für Rollstuhlfahrer zur Verfügung stehen. Für die beiden Bundesligen
hieße das: rund 7.400 Rolli-Plätze. Es gibt aber nur knapp 3.200. Aktuell
erfüllt kein einziges Stadion die Anforderungen.

Das Thema ist in Dortmund lange
bekannt. Zuletzt erfuhr die Borussia voriges Jahr nach einem Bericht der
Sportschau
von Fans und Behindertenorganisationen Kritik. Es war dann die Uefa,
die Druck machte, weil sie eine barrierefreie Euro 2024 versprochen hatte. Sie
stellte sicher, dass nachgerüstet wurde. Für die EM musste Dortmund die
Rollstuhlplätze verdoppeln.

Doch danach hat der Verein sie
wieder zurückgebaut. “Das ist eine Schande und macht mich wütend”, sagt Bellia.
Der BVB begründet dies mit der alten Bausubstanz des 1974 errichteten Stadions.
Kritiker halten das für vorgeschoben.

Volker Sieger, BVB-Fan im Rollstuhl
und Leiter der Bundesfachstelle Barrierefreiheit, besitzt eine Dauerkarte. Er
war 23 Jahre lang zweiter Vorsitzender der BBAG, der Organisation behinderter
Fans in der Bundesliga. Er hat also Ortskenntnisse und sagt, im Dortmunder
Stadion könne man auf mehreren Ebenen zusätzliche Rolli-Plätze schaffen. Wenn
man nur wolle.

Begründung: fehlende Wirtschaftlichkeit

Christian Hockenjos hingegen, der
Leiter Organisation und Infrastruktur in Dortmund, erwidert, man habe solche
Umbauten geprüft, stoße aber architektonisch an Grenzen, “auch mit Blick auf
finanzielle Verhältnismäßigkeiten”. Hockenjos ließ Sieger inzwischen wissen, man sei enttäuscht, dass er den eigenen Verein kritisiere.

Der BVB ließ mehrere Chancen, mehr
für behinderte Fans zu tun, ungenutzt. Zuletzt wurde 2015 die Westtribüne um
ein Zentralfoyer mit VIP-Bereichen erweitert. Im vierten Obergeschoss wurde
eine Panoramaterrasse errichtet, mit Ausblick auf das Naturschutzgebiet Bolmke.
Viele Behinderte wären froh, wenn sie aufs Spielfeld blicken könnten.

“Es ist ein Armutszeugnis für den
deutschen Fußball”, sagt Sieger, denn nahezu jeder Verein in den zwei
Bundesligen hält sich nicht an die Vorgaben – wissentlich. “An vielen
Standorten besteht unterschiedlich umfangreicher Nachholbedarf”, räumt die DFL
ein. “Leider entsprechen nicht alle Stadien den versammlungsrechtlichen
Vorgaben vollumfänglich.” In ihrer Lizenzierung fordert die DFL eine inklusive
Stadion-Infrastruktur explizit ein. Aber sie lässt immer wieder
Ausnahmegenehmigungen zu, wenn Baubehörden ein Auge zudrücken. Und die Vereine
berufen sich auf Bestandsschutz.

Rückgebaut wurden die Plätze auch
in den EM-Städten Köln, Düsseldorf, Gelsenkirchen und Leipzig. So verschwand
von 454 zusätzlichen Plätzen die Hälfte. Der Behindertenbeauftragte der
Bundesregierung, Jürgen Dusel, sagt, er habe bei Verantwortlichen nachgefragt.
“Als Begründung wurde oft auf fehlende Wirtschaftlichkeit hingewiesen.”

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