„Tatort“ Köln: Wie kommt dieser Mann an die Haare meiner Mutter? | ABC-Z

Wenn man sich fragt, woher der ARD-Sonntagabendkrimi kommt,
lohnt der Blick zurück nach Wien. Da fand am vergangenen Wochenende im
Filmarchiv Austria der 22. Hofbauer-Kongress statt, ein Filmfestival, das
sich dem (deutschsprachigen) Exploitationfilm vorzugsweise der 1960er- bis
1980er-Jahre in etwa so nähert wie einst die Nouvelle Vague dem US-Studiokino.
Unvoreingenommen, ausdauernd und lustvoll wird gesichtet, was als
Filmgeschichte schon vergessen ist und anderswo
zumeist mit der Kneifzange
angefasst wird.
Für den Tatort ist dabei interessant, dass
Sittenreißer wie Jungfrau
aus zweiter Hand (1966) und In
Frankfurt sind die Nächte heiß (1966) Kriminalfilme sind, die es heute
schon deshalb nicht mehr im Kino gibt, weil das Fernsehen voll davon ist. Eine
Traditionslinie lässt sich an den Figuren ausmachen, die von der Arbeit der Gerichtsmedizin
erzählen sollen. In Jungfrau aus zweiter Hand etwa kommt der entsprechende
Experte an den Schauplatz des Verbrechens, sagt im Niederknien zur Leiche der
Frau, dass sie seit 16 Stunden tot ist und alles Weitere erst nach der Autopsie
verkündet werden kann.
Im neuen Kölner Tatort: Colonius (WDR-Redaktion: Götz
Bolten) heißt der zuständige Mann mit Kittel und Handschuhen Dr.
„Doc“ Joseph Roth (Joe Bausch). Und der hat 60 Jahre später einen wenig
originelleren Text parat, als er über der Leiche von Alex Schmitz (Sven
Gerhardt) lehnt: „Das Ganze ist gestern Abend passiert.“ Das Drehbuch
versucht noch, daraus müden Streit zu schlagen („Geht’s nicht
genauer?“), aber mehr weiß der Doc, der eines sofort weiß, auch hier erst
später.
Das sind also die Standards im deutschen Durchschnittskrimi.
Wenn der Rest des Falls diese erreichen würde, wäre das ein Grund zur Freude. Aber
leider ist die Geschichte von Colonius so absurd, dass man sich fragt,
wie das Drehbuch von Eva und Volker A. Zahn es durch alle Redaktions- und
Produktionsbesprechungen schaffen konnte, ohne dass jemand gesagt hat, diesen
Quark können wir doch nicht verfilmen.
Alex Schmitz stirbt als einsamer Fotograf. In den Neunzigern
hatte er sein Auskommen noch als Drogendealer bestritten und Sex mit der als
begehrenswert entworfenen Gina Grabitz (Emma Bading) auf der Dachterrasse vom
titelgebenden Kölner Fernmeldeturm. Alex‘ Tod führt zurück in diese Zeit. Ins
Damals von vor 30 Jahren, als Gina verschwand nach der letzten Techno-Party auf
dem Turm, wofür sich seinerzeit niemand zu interessieren schien. Stattdessen
dominierte der Brand von Alex‘ Auto die Ermittlungen jener schicksalsträchtigen
Nacht; dabei kam Hund Kafka ums Leben, der im Auto aufs clubbende Herrchen
warten musste.
Schon die Verschraubung mit dem Früher ist merkwürdig: Es
wird zwar bald das True-Crime-Modewort Cold
Case gesagt, dabei ist die Leiche von Alex doch noch warm. Cold Case heißt
in dieser Plastikvariante, dass erst das Schicksal von Gina geklärt werden
muss, ehe der Mörder von Alex gefunden ist.
Dafür bestellen Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk
(Dietmar Bär) den Rest der damaligen Gina-Clique aufs Revier, wo die drei sich mit
mittelguten Begründungen festhalten lassen. Verschärfend kommt Svenja Kohlheim
dazu (Vanessa Loibl), die Tochter von Gina, die mit den drei Verdächtigen
verstrickt ist. Bau-Ingenieur Christian Kohlheim (Thomas Loibl, jung: Joshua
Hupfauer) soll ihr Vater und der damalige Gina-Freund sein. Die Kuratorin Maike
Bennis (Karoline Eichhorn, jung: Sinje Irslinger) ist Svenjas Patentante und
war seinerzeit Ginas beste Freundin (Galerie-Motto: „Kunst ist kein
Kompromiss, sondern bedingungslose Hingabe“). Und mit René Horvath
(Andreas Pietschmann, jung: Sebastian Schneider), dem Betreiber einer veganen
Daily-Kette, ist Svenja in love – liiert mit dem Mann, der einst auf
ihre Mutter „scharf“ war, wie es im Sittenreißer-Jargon heißen würde.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten.