Zweite Heimat, erste Wahl: Deutsch-Israelin: „Wir erleben den Aufschwung der Faschisten“ | ABC-Z

Mit der anstehenden Bundestagswahl steht für viele Menschen, die kürzlich eingebürgert wurden, eine neue Möglichkeit im Raum: Zum ersten Mal dürfen sie in Deutschland wählen. In der politischen Diskussion wird häufig die Sorge geäußert, dass die Lockerung des Einbürgerungsrechts die Bedeutung des deutschen Passes schwächen könnte – dass er zur „Ramschware“ wird, wie die Union es formuliert hat. Die Interview-Serie „Zweite Heimat, erste Wahl“ geht dieser Frage nach. Wir sprechen mit den neuen Staatsbürgern: Welche politischen Präferenzen haben sie? Welche Partei würden sie wählen, wie sehen sie ihre Rolle in der deutschen Gesellschaft? Heute mit: Victoria Heifetz.
Name: Victoria Heifetz
Alter: 46 Jahre
Herkunftsland: Tel Aviv, Israel
Wohnort: Berlin
ntv.de: Wie lange leben Sie in Deutschland?
Victoria Heifetz: Ich wohne seit 2012 in Berlin.
Wie kamen Sie nach Deutschland?
Ich hatte eine Einladung zu einer Kunstresidenz am Künstlerhaus Bethanien in Kreuzberg. Das war ein Stipendium für ein Jahr. Danach fühlte ich mich mit meinem Partner und meinem Hund hier angekommen. Und wir haben beschlossen, hier zu bleiben. Weil es als Künstlerin für mich besser ist, hier zu sein. Auch finanziell lief es hier 2012 besser als in Israel. Hinzu kommt, dass die politische Lage in Israel in den letzten Jahren kompliziert ist.
Was machen Sie beruflich?
Ich arbeite als Künstlerin, hatte Ausstellungen im Jüdischen Museum, bei der Venedig Biennale und anderen Orten. Früher habe ich auch Stadtführungen über die Geschichte von Deutschland, Berlin, Kunstgeschichte und auch Galerie-Touren gemacht. Die letzten zwei, drei Jahre arbeite ich auch als Guide in Museen, zum Beispiel im Jüdischen Museum.
Wann wurden Sie eingebürgert?
Vor acht Monaten.
Warum haben Sie sich entschieden, sich einbürgern zu lassen?
Das war für mich sehr wichtig. Ich lebe hier, fühle mich hier zuhause. Und möchte Einfluss auf die Politik in dem Land haben, in dem ich lebe. Ich bin eine Transgender-Frau, werde in dieser Hinsicht vom Staat unterstützt, bin hier krankenversichert. Ich habe meine Geschlechtsveränderung und Transition hier in Deutschland begonnen und in den letzten Jahren auch die medizinische Transition durchlaufen. Ich nehme Hormone und habe vor Kurzem auch meinen Namen und mein Geschlecht geändert, dank des neuen Selbstbestimmungsgesetzes. Deutschland und besonders Berlin sind sehr wichtig für meine Erfahrung als Transfrau. Gleichzeitig sind sie auch bedeutend für meine Stimme als Israelin, Jüdin und Künstlerin, da ich hier die Möglichkeit habe, mich frei auszudrücken.
Behalten Sie Ihre israelische Staatsangehörigkeit?
Ja, dort bin ich weiterhin als Mann eingetragen, habe einen männlichen Vornamen – Roey. Das ist ein bisschen komisch. Hier bin ich eine Frau und in Israel ein Mann. Ich will den Geschlechtseintrag auch dort ändern lassen, aber das ist in Israel komplizierter als in Deutschland. Den israelischen Pass abgeben will ich nicht, das ist ein Teil meiner Identität. Ich bin in Israel aufgewachsen, habe dort die ersten 30 Jahre meines Lebens verbracht. Für mich ist es außerdem wichtig, auch in der israelischen Politik etwas beeinflussen zu können.
Fühlen Sie sich deutsch?
Das ist eine gute Frage. Ich fühle mich weder in Deutschland noch in Israel wirklich zugehörig. Es ist nicht einfach, weil man sich nach einer Heimat sehnt, nach diesem Gefühl von „belonging“. Aber ich verstehe, dass meine Identität zwischen diesen beiden Staaten liegt. Auch muss man sagen, dass Berlin nicht ganz Deutschland ist – ich fühle mich als Berlinerin, aber eigentlich nicht als Deutsche.
Wie fühlt es sich an, zum ersten Mal in Deutschland wählen zu dürfen?
Das ist sehr wichtig für mich. Die politische Situation in Deutschland ist unstabil. Und gerade deswegen ist es von großer Bedeutung, die Möglichkeit zu haben, seine Stimme abzugeben.
Wissen Sie schon, welche Partei Sie wählen werden?
Noch nicht, aber ich habe Angst davor, dass die AfD stärker wird. Das erinnert mich an die Faschisten in Israel. Ich bin mir nicht sicher, welche Partei ich wählen werde, aber für mich ist es sehr wichtig, dass meine Stimme gegen die AfD ist. Deutschland befindet sich gerade an einem entscheidenden Punkt, an dem es in die falsche Richtung gehen könnte. Diese Entwicklung ist Teil einer globalen Bewegung: Wir erleben den Aufschwung von Faschisten auf der ganzen Welt – wie etwa auch in den USA mit Donald Trump und Elon Musk, die auch die Wahlen in Europa beeinflussen wollen.
Werden Sie auch an Wahlen in Israel teilnehmen?
Ja, klar. Ich habe gegen Netanjahu demonstriert, gegen die heutige Regierung. Ich bin für die Beendigung des Gaza-Kriegs und finde, die Regierung tut nicht genug, um die Geiseln zu befreien. Aber es ist kompliziert, weil die Linke in Israel sehr klein geworden ist und es keine Alternative zu Netanjahu gibt. Die Leute in Israel sehen keine Zukunft, keine Hoffnung.
Was läuft in Israel besser als in Deutschland?
Die Beziehungen zwischen den Menschen sind freundlicher, herzlicher und offener. Alles ist ein bisschen mehr „open-minded“ als hier. Politisch gesehen ist es jedoch hier besser, da in Israel derzeit extreme Faschisten an der Macht sind. Als Frau mit linken Ansichten, die kritisch gegenüber der Regierung ist, ist es dort sehr schwierig. Hier habe ich mehr Freiraum, meine Ideen und Perspektiven zu äußern.
Was stört Sie in Deutschland? Welche Veränderungen wünschen Sie sich?
Die Kürzungen im Kulturbereich, die der Berliner Senat beschlossen hat, sehe ich sehr kritisch. Und bei der Digitalisierung hinkt Deutschland hinterher – da gibt es noch viel zu tun. Auch fehlt es an Unterstützungsprogrammen für Transgender-Personen. Viele haben Schwierigkeiten, Arbeit zu finden oder sich im Alltag zu integrieren. Ich persönlich habe das Glück, als Künstlerin und Vermittlerin tätig zu sein, und meine Familie akzeptiert mich. Doch ich sehe, wie hart es für viele meiner Freundinnen und Kollegen ist, die nicht dieselben Privilegien haben. Es braucht dringend Programme, die diesen Menschen helfen, Zugang zum Arbeitsmarkt und zu gesellschaftlicher Teilhabe zu finden.
Und ich finde, Deutschland sollte sich trauen, die israelische Regierung zu kritisieren. Deutschland hat historisch bedingt Angst, etwas direkt gegen Israel zu sagen. Der Krieg in Gaza muss beendet werden. Natürlich war der 7. Oktober, die Angriffe der Hamas, ein schweres Trauma. Aber jetzt – das ist meine Meinung, meine Perspektive – ist es Zeit, den Krieg zu beenden.
Was darf sich in Deutschland nicht ändern, nicht verloren gehen?
Wir leben derzeit in einem relativ liberalen System, in einer Demokratie. Ich habe die Sorge, dass wir diese Demokratie verlieren könnten, denn Veränderungen können sehr schnell eintreten. Zum Beispiel wie in den USA, wo sich vieles in kurzer Zeit grundlegend verändert hat. Wir haben hier eine funktionierende Demokratie, und es ist mir wichtig, dass sie auch bestehen bleibt.
Mit Victoria Heifetz sprach Uladzimir Zhyhachou