Australian Open: Ukrainerin Elina Svitolina – „Ich würde in den Krieg möglich sein, ganz sicher“ | ABC-Z
Der ukrainische Tennisstar Elina Svitolina sorgt bei den Australian Open für Aufsehen. Sie bezwang eine der Titelkandidatinnen und steht im Achtelfinale. Svitolina aber verfolgt noch eine andere Mission. Immer wieder reist sie an die Front in ihrem Land – und mit ihr die Angst.
E Elina Svitolina sorgte bei den Australian Open für eine der Überraschungen. Die Ukrainerin hat in der dritten Runde die Weltranglistenvierte Jasmine Paolini (Italien) aus dem Turnier geworfen. Die 30-Jährige setzte sich nach verlorenem ersten Satz mit 2:6, 6:4 und 6:0 durch. Ein ähnliches Bravourstück gelang auch ihrem Ehemann, dem Franzosen Gael Monfils. Er bezwang den Weltranglistenvierten Taylor Fritz (USA) mit 3:6, 7:5, 7:6 (7:1), 6:4.
Frage: Frau Svitolina, sie waren vor den Australian Open in Ihrer Heimat Ukraine an der Front. Sie sind Mutter einer Tochter. Warum begeben Sie sich in Gefahr?
Elina Svitolina: Ja, ich war in Charkiv. Hier begann ich meine Profikarriere. Diese Stadt bedeutet mir sehr viel. Ab und zu versuche ich, dort zu sein, um meine Freunde zu besuchen, die momentan kämpfen. Charkiv ist etwa 20 Kilometer von der Front entfernt, mein bester Freund führt dort eine Einheit. Ich besuche die Leute, um zu lernen, was in der Ukraine wirklich passiert und welche Hilfe gebraucht wird. Ich spreche oft mit Kämpfern und versuche, ihre Nachrichten in die Welt zu tragen.
Frage: Haben Sie keine Angst?
Svitolina: Doch, habe ich, und es ist gefährlich, weil diese Stadt jeden Tag unter Feuer ist. Aber die Ukraine ist mein Heimatland, mein Zuhause. Ich vertraue den Leuten um mich herum. In der Ukraine kann jede Stadt jeden Tag unter Beschuss sein. Ob ich in Kiew, in Odessa, in Charkiv bin – die Raketen kommen. Aber ich halte mich an die Sicherheitsmaßnahmen.
Frage: Was bedeutet Ihnen so ein Besuch?
Svitolina: Ich versuche, den Menschen ein bisschen Glück in ihren Alltag zu bringen. Und ein paar glückliche – oder auch traurige – Momente mit den Kindern und den Frauen zu teilen, deren Männer an der Front kämpfen. Für mich ist es ein Austausch von Energie. Und es füllt mich mit viel Positivität, auch wenn ich durch die traurigen Momente gemischte Gefühle habe.
Frage: Ihr Mann Gael Monfils ist selbst Tennis-Profi, Ihre Tochter Skai zwei Jahre alt. Kommen die mit auf so eine Reise?
Svitolina: Nein, die sind nicht dabei.
Frage: Ist es nicht schrecklich zu wissen, dass jeder Abschied der letzte sein kann, wenn Sie in die Ukraine fahren?
Svitolina: Ja, Gael wird sehr nervös vor den Reisen. Natürlich hat er Angst um mich, um die Familie. Aber ich versuche, mit ihm zu sprechen und ihm die Situationen zu erklären. Ich versuche, ihm die Sicherheitsvorschriften zu erläutern. Ich denke auch an meine Familie, aber ich empfinde einen großen Schmerz für mein Land. Ich bin eine der Stimmen der Ukraine auf der ganzen Welt. Das hier ist meine Mission.
Frage: Wie läuft der Abschied ab?
Svitolina: Es ist immer sehr emotional, wenn ich zu ihm und meiner Tochter „Tschüss“ sage. Aber ich glaube, er versteht, dass es mir sehr wichtig ist. Er ist mir sehr nah. Meine Familie lebt noch in Odessa. Ich habe viele enge Freunde, die gerade an der Front sind. Das alles ist auch wie eine große Familie für mich. Ich bin Gael sehr dankbar, dass er mich unterstützt. Ich weiß, dass es sehr schwierig ist. Ich bin mir nicht sicher, ob viele Ehemänner das verstehen würden.
Frage: Wie verarbeiten Sie beide das?
Svitolina: Wir machen viele Projekte zusammen. Er tut zum Beispiel sein Bestes, um mit mir Geld aufzutreiben.
Frage: Sie zeigten sich an der Front mit Maschinengewehr und Panzerfaust im Schützengraben. Wenn es zum Äußersten kommt, würden Sie Soldatin werden?
Svitolina: Wenn ich auf den Trainingsplatz gehe, habe ich immer den Willen, das zu tun. Mein Geist ist ein kämpferischer Geist. Ich denke, man sieht das auf dem Court. Ja, es ist was ganz anderes als an der Front. Aber gleichzeitig fühle ich mich, als wäre ich da. Es öffnet sich etwas in mir, das man nicht kennt. Viele Soldaten haben das. Ich spreche mit vielen von ihnen. Wenn sie an die Front gehen, fangen sie an, für das Land zu kämpfen. Wenn sie verwundet sind, erholen sie sich und kämpfen dann weiter. Wenn du eine Mission hast, wenn du ein Ziel hast für dein Land, siehst du nichts, was dich zerstört. Nichts, was dir passieren könnte. Du gehst einfach hin. Ich denke, das ist eine Soldaten-Mentalität.
Frage: Noch mal konkret: Sie würden in den Krieg ziehen?
Svitolina: Ich würde gehen, ganz sicher. Ich weiß, dass ich jetzt nicht in dieser Situation bin, weil ich meine Familie habe. Ich bin wahrscheinlich auch nützlicher, um Geld zu sammeln, als an der Front. Ich habe in den letzten drei Jahren mehr als 1,5 Millionen Euro für mein Land eingenommen. Ich denke, das ist nützlicher, als mir eine Waffe zu geben. Aber viele Soldaten hatten zu Kriegsbeginn keine Ausbildung, nahmen einfach ihre Waffen und versuchten, ihr Zuhause und ihre Stadt zu verteidigen.
Frage: Wenn Sie Präsident Wolodymyr Selenskyj wären, was würden Sie der EU, besonders den Deutschen, und dem neuen US-Präsidenten Donald Trump sagen?
Svitolina: Er spricht immer sehr offen, vor allem über Waffen. Darum geht es. Wir brauchen die Einigkeit aller großen Länder, von allen mächtigen Ländern. Für uns ist das jetzt die Priorität. Wir kämpfen seit fast drei Jahren. Jetzt haben wir die Ausbildung an den Waffen. Wir brauchen sie, weil täglich mehr als hundert Raketen in die Ukraine fliegen.
Frage: Ist Selenskyj ein guter Präsident?
Svitolina: Er hat am Anfang des Krieges sehr gut reagiert. Die Einigkeit, die er in der Ukraine entwickelt hat, das ist ein toller Punkt. Im Krieg muss man eins sein, um zu gewinnen. Dazu die Social-Media-Posts, was in der Ukraine passiert – das ist auch gut, weil wichtig ist, die Kommunikation zwischen der Regierung und den Zivilisten zu haben. Natürlich gibt es hier und da Probleme, und natürlich ist es für die Bevölkerung nie genug, was passiert. Aber das Land ist groß und schwierig beisammen zuhalten, gerade im Krieg. Mütter verlieren ihre Söhne, viele Menschen verlieren ihr Leben, ihre Heimat, ihre Lieben. Ich habe das Gefühl, er ist großartig für die Ukraine.
Frage: Was würde es für Sie bedeuten, den Krieg zu gewinnen?
Svitolina: Das ist eine sehr komplexe Frage. Wir haben schon sehr viele Menschen und viel Land verloren. Ich glaube, wenn es keine mehr Raketen gäbe, wenn die Ukraine ein sicherer Platz wäre, das wäre das schon ein guter Schritt für uns. Ein Leben ohne Raketen – darauf sollte man sich mit den Russen einigen.
Frage: Auch unter der Gefahr, die verlorenen Gebiete nicht mehr zurückzubekommen?
Svitolina: Ich bin mir nicht hundert Prozent sicher. Ich erinnere mich an meine Kindheit auf der Krim. Ich habe meine Kindheit dort verbracht. Viele Ukrainer sind weg, als die Krim 2014 russisch wurde. Es ist sehr schmerzhaft, zu sehen, dass das nicht mehr unser ist.
Frage: Haben Sie eine Beziehung zu den Klitschko-Brüdern?
Svitolina: Ich habe einige Zeit mit Wladimir verbracht. Wir haben viele Events zusammen gemacht. Er unterstützt meine Stiftung und ich seine. Er ist eine großartige Person, genau wie sein Bruder, mit dem ich nicht so viel zu tun hatte. Sie sind das Symbol der Stärke, sie sind das Symbol unseres Geistes. Sie tun so viel für unser Land. Ich denke, die Ukraine ist sehr stolz auf sie.
Frage: Wann fahren Sie wieder in die Ukraine?
Svitolina: Anfang Februar. Ich habe Tennis-Projekte mit Kindern und einige mit meiner Stiftung. Wir helfen jungen Sportler auch psychologisch.
Frage: Keine Angst, dass gerade während einer Veranstaltung Bomben fallen?
Svitolina: Das hatten wir schon. Wir haben Warnsignale. Wenn die kommen, gehen wir in den Luftschutzkeller. Drei bis vier Stunden, dann geht‘s weiter mit Tennis.
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) geführt und zuerst in der „BILD AM SONNTAG“ veröffentlicht.