Berlin

Ausstellung zu Sowjetzone-Wohnungsbau in Potsdam: Kunst in Blöcken | ABC-Z

Ausstellung | “Wohnkomplex” im Minsk in Potsdam

Kunst in Blöcken


Sa 06.09.25 | 08:27 Uhr | Von Julia Sie-Yong Fischer

Jens Ziehe

Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 04.09.2025 | Tim Jaeger | Bild: Jens Ziehe

Zwischen Kindheitserinnerung, Abriss und Rechtsterrorismus: Die Ausstellung “Wohnkomplex” im Potsdamer Minsk entdeckt die künstlerische Faszination für den sozialistischen Wohnbau der DDR wieder. Von Julia Sie-Yong Fischer

Bezahlbarer Wohnraum wird immer knapper, die Situation in Großstädten wie Berlin verlangt nach politischen Lösungen. Nicht verwunderlich, dass in dieser Zeit auch auf einen historischen Lösungsvorschlag geschaut wird: Der serielle Wohnkomplex der DDR, der nach der Wende umgangssprachlich als “Plattenbau” bezeichnet wurde.

Dieser hatte das Ziel, gleiche Bedingungen für alle zu schaffen. Neben dem vom Band produzierten, funktionalen Wohnraum war für jede Einheit auch eine umfassende Infrastruktur mit Nahrungsversorgung und Bildungsstätten für etwa 5.000 Bewohner:innen vorgesehen. Durchaus reizvoll für manche DDR-Bürger:innen, die diese Modernität schätzten und in Modelle wie den WBS 70 einzogen.

Doch nach dem Mauerfall änderte sich die Perspektive auf die in die Jahre gekommenen Neubausiedlungen: Das frühere Privileg wurde zum sozialen Stigma, das einstige Prestigeprojekt des Sozialismus zu einem Symbol des Scheiterns.

Mein Block

Der Wohnkomplex ist nicht nur ein historisches Architekturobjekt, sondern auch eine Kindheitserinnerung und ein Symbol ostdeutscher Identität. Der in Leipzig geborene Kurator Kito Nedo wählte 50 Werke von 22 Künstler:innen aus, die zwar einen deutlich erkennbaren Bezug zeigen, aber ganz unterschiedliche Fragen stellen.

Gleich zu Beginn wird im Untergeschoss die “Grauzone” (2015) des Künstlers Markus Draper (*1969) eröffnet: Mehrere aus Zink gegossene Modelle sind dort auf Sockeln aufgestellt. Ihr Inneres ist so hohl, dass durch den Block hindurch geschaut werden kann. Die Oberfläche ist an einigen Stellen erodiert, das Grausilber unterstreicht die monochrome Unscheinbarkeit.

Infos zur Ausstellung

Wohnkomplex. Kunst und Leben im Plattenbau [dasminsk.de]. Kuratiert von Kito Nedo. Vom 6.9.2025 bis 8.2.2026 in Das Minsk, Max-Planck-Straße 17, 14473 Potsdam. Täglich außer Dienstag von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist am letzten Sonntag eines jeden Monats kostenfrei, sonst regulär 10 Euro, ermäßigt 8 Euro.

“Ostberliner Wohnhaus: Fast eine perfekte Tarnung” steht im Hintergrund auf einem vergrößerten Zeitungsartikel an der Wand. Ein Verweis auf die Verstecke von zehn ehemaligen Mitgliedern der “Rote Armee Fraktion” (RAF), die bis zu ihrer Inhaftierung 1990, zehn Jahre in verschiedenen Städten der DDR unerkannt lebten. Draper spielt in seiner Arbeit auf westdeutsche sowie ostdeutsche Klischees an, die er miteinander verwebt.

Etwas persönlicher untersucht Sabine Moritz (*1969) in ihrer Serie “Lobeda” (1991-94) die gleichnamige Siedlung in Jena (Thüringen), in der sie acht Jahre ihrer Kindheit verbrachte. In zahlreichen Bleistiftzeichnungen rekonstruiert sie den Ort nur aus ihrer Erinnerung heraus. Mit schnellem klaren Strich spielt sie mit den geometrischen Formen der Grundrisse. Ihre Perspektive ändert sich dabei ständig: Mal zeigt sie eine Inneneinrichtung, dann den Wohnblock aus der Vogelperspektive.

Sabine Moritz, Installationsansicht der Ausstellung Wohnkomplex. Kunst und Leben im Plattenbau, DAS MINSK Kunsthaus in Potsdam 2025. Privatsammlung; Atelier Sabine Moritz, Köln. (Quelle: Jens Ziehe)

Amputation am Plattenensemble

Doch wie ging es mit dem Wohnkomplex nach dem Mauerfall weiter? Die “hässliche Luise” (2004) des westdeutschen UdK-Professors Manfred Pernice (*1963) erzählt in Wandtafeln und zwei Skulpturen die Abrissgeschichte (1990-2004) eines DDR-Plattenbaus in der Luisenstraße in Berlin-Mitte.

Protokollierte Gespräche mit entrüsteten Mieter:innen, sowie Zeitungsartikel und Dokumente halten Pernices Beobachtungen und Recherchen fest. Zwei amputiert wirkende Überbleibsel in Form von Betonfundamenten eines demolierten Spielgerüsts scheinen den unsensiblen Umgang mit der DDR-Architektur in der Nachwendezeit zu verkörpern.

Manfred Pernice, Ohne Titel (hässliche Luise), 2004. Installationsansicht der Ausstellung Wohnkomplex. Kunst und Leben im Plattenbau, DAS MINSK Kunsthaus in Potsdam 2025. Kunstpalast, Düsseldorf – Schenkung von Florian Peters-Messer, Courtesy der Künstler und Galerie Neu, Berlin. (Quelle: Jens Ziehe)

Einheitlichkeit von Ostsee bis Thüringer Wald

Diese Gleichzeitigkeit spiegelt auch die gesellschaftliche Zerrissenheit über “die Platte” wieder. Eine mögliche Bewältigungsstrategie ist schwarzer Humor in Form von Witzen: Über die komplett identischen Grundrisse von Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) bis nach Suhl (Thüringen), in denen Elektriker die Steckdosen selbst mit verbundenen Augen fänden und Gäste nie den Weg zur Toilette erfragen müssten.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass die menschliche Beziehung zum Wohnkomplex ebenso komplex ist – und genau deshalb viele Anknüpfungspunkte an die Diskurse der Gegenwart finden kann. Das sehr umfassende Begleitprogramm und der Katalog haben sich genau dieser Aufgabe in Form von Veranstaltungen und vertiefender Lektüre angenommen.

Und während draußen in Potsdam Kräne ganze Plattenwände wie riesige Mobile durch die Luft schwenken, kann beim Ausblick aus der Loggia der Ausstellung gefragt werden, wie die Geschichte der “Platte” wohl weitergehen wird.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 04.09.2025, 19:30 Uhr

Beitrag von Julia Sie-Yong Fischer


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