Ausstellung über Ossip Klarwein: Der vergessene Architekt der Knesset | ABC-Z

Es gilt als ein Meisterwerk expressionistischer Baukunst: die Kirche Am Hohenzollernplatz in Berlin-Wilmersdorf, gebaut vom Hamburger Büro Fritz Höger, das mit dem inzwischen zum Weltkulturerbe zählenden Chilehaus Weltruhm errang. Zur Eröffnung der evangelischen Kirche in Berlin am 19. März 1933 erschien auch der spätere Reichsluftfahrt- und -wirtschaftsminister Hermann Göring. Denn dieser durchaus monumentale Backstein-Stil war den NS-Machthabern noch genehm. Und Höger war immerhin schon seit 1932 in der NSDAP.
Nicht bei der Eröffnung anwesend war Ossip Klarwein, der eigentliche Architekt des Baus. Aus einer Warschauer jüdischen Bürgerfamilie stammend, war er nach zahlreichen Stationen in ganz Europa seit 1927 Chefarchitekt und Büroleiter in Högers Team. Doch angesichts der politischen Situation und nach massiven antisemitischen Angriffen gegen seine Person hatte er bereits im Januar 1933 um seine Entlassung gebeten, drei Monate vor der Machtübergabe an die NSDAP.
Es gibt in keinem Land, in keiner Sprache bisher auch nur eine Monographie über ihn oder eine nennenswerte wissenschaftlich Aufarbeitung seines Werkes.
Zwar konnte er erst einmal inoffiziell weiterarbeiten, doch im November 1933 gelang es Klarwein, Hamburg zu verlassen und in Haifa im britischen Mandatsgebiet Palästina neu anzufangen. Verdrängt, verjagt und vergessen – ein Schicksal, das allzu viele Künstler und Intellektuelle im Dritten Reich erleiden mussten.
Von Ossip Klarwein (1893–1970) sind trotz seiner teils schwierigen Lebensumstände insgesamt 126 Vorhaben zu belegen, darunter 63 gebaute Architekturen, 41 Planungen und 7 urbanistische Projekte. Obwohl er zeitweilig Stadtbaumeister von Jerusalem und der wesentliche Architekt der Knesset, des Parlaments des jungen israelischen Staates, war, ist er auch in Israel weitgehend vergessen: Es gibt in keinem Land, in keiner Sprache bisher auch nur eine Monografie über ihn oder eine nennenswerte wissenschaftliche Aufarbeitung seines Werkes.
„Ossip Klarwein – Ein Architekt zwischen Hamburg und Haifa“, Hamburg, Ernst Barlach Haus, Jenischpark, Baron-Voght-Straße 50 A. Bis 8. Februar 2026.
Zwischenstand trotz offener Fragen
So führt das bisher dreijährige, von der Historikerin und Journalistin Jaqueline Hénard privat initiierte deutsch-israelische Rechercheprojekt nun zu einer ersten umfangreichen Annäherung. Unter der aktuell nicht einfachen Situation in Israel von einem internationalen Team erarbeitet, gefördert von einigen Stiftungen, kann trotz mancher offener Fragen ein Zwischenstand in Katalog und Ausstellung präsentiert werden. Bereits in der Kirche Am Hohenzollernplatz gezeigt, ist deren zweite, erweiterte Station das Barlach-Haus im Hamburger Jenischpark.
Es ist eine für das Haus eher unübliche Studienausstellung mit vielen reproduzierten Fotos und Dokumenten auf Stellwänden, ergänzt um kurze Dokumentarfilme von Studierenden der Tel Aviv University und einen separaten Raum mit schwarz-weißen Großfotos von Eli Singalovski (*1984), der Klarweins Bauten im heutigen Zustand wie kühle Großskulpturen porträtiert. Zu entdecken sind ein Werk und eine Biografie, die die Aufbrüche und Brüche des 20. Jahrhunderts auf exemplarische Weise verdichten.
Die Wilmersdorfer Kirche Am Hohenzollernplatz erhielt aufgrund der klaren, trotz expressiver Details der von außen fast industriell anmutenden Kubatur den Spitznamen „Kraftwerk Gottes“. Und es gibt auch eine „Burg am Meer“, ein ähnlich blockhaftes Klinkergebäude mit hohem Uhrturm von Klarwein: das Rathaus von Wilhelmshaven-Rüstringen.
Für die nun erst beginnende Forschung gibt es neben dem Problem, dass Dokumente zu Klarwein in Archiven in mehreren Ländern verstreut sind, eine grundsätzliche Schwierigkeit: In aufwendigen und langfristigen Projekten ist es nicht leicht zu bestimmen, wie entscheidend am Ende der Anteil eines der mehreren involvierten Architekten war.
Klarwein baute Einfamilienhäuser und Gedenkstätten, Geschäftshäuser und Seminargebäude der Universität. In besonderem Maße steht aber das später immer wieder vergrößerte Dagon-Getreidesilo im dem Meer abgerungenen Hafenviertel von Haifa für die Handschrift Klarweins. Hier, am höchsten Gebäude Israels in den 1950er Jahren, hat er aus der Zweckarchitektur durch Betonornamente eine expressive Stadtkrone geschaffen.
Drei Geschwister im Holocaust ermordet
Am wichtigsten ist aber die wie ein moderner Tempel mit Betonsäulen und vorkragendem Dach konstruierte Knesset, vergleichbar mit zeitgleichen Repräsentationsbauten von Mies van der Rohe oder Walter Gropius. Das verschollene Modell des ursprünglichen Wettbewerbsentwurfs wurde für die Ausstellung nach Fotos rekonstruiert.
Zur Biografie Klarweins gehört auch, dass die drei in Deutschland gebliebenen Geschwister im Holocaust ermordet wurden. Und dass der einzige Sohn Mati (1932–2002) als Künstler in einem vom Vater erbauten kleinen Haus an der Küste Mallorcas lebte. Er hatte in Frankreich bei Fernand Léger studiert, war stark vom fantastischen Realismus Ernst Fuchs’ beeinflusst und als psychedelischer Maler bekannt: Er gestaltete beispielsweise Plattencover von Miles Davis und Carlos Santana.





















