Ausstellung in Berlin: Vom Kinderstar zum Modefotografen | ABC-Z

Als sich die Mode aus Berlin zurückzog, verließ auch Rico Puhlmann die Stadt. Bis dahin war er neben F. C. Gundlach, Hubs Flöter oder Charlotte March ein bekannter und viel beschäftigter Modefotograf. Sein Weggang 1970 nach New York war riskant. Könnte er sich dort gegen Richard Avedon oder Irving Penn durchsetzen? Die Wette ging auf.
Bereits im August desselben Jahres hatte er seine erste Veröffentlichung in Glamour, zwei Jahre später sein erstes Titelfoto im Hochglanzmagazin Harper’s Bazaar, für das er bis 1992 auch mit Supermodels wie Cindy Crawford und Naomi Campbell regelmäßig große Fotostrecken schuf.
Er war schon einmal ein Star gewesen und dann ausgestiegen. Damit setzt seine große Retrospektive „Rico Puhlmann. Fashion Photography 50s–90s“ im Museum für Fotografie ein. Ein Kinderstar der UFA, seit der Berliner 1940 als Sechsjähriger zum ersten Mal vor der Kamera stand, spielte er bis 1954 in rund 15 Filmen.
Es wären mehr geworden, hätte er sich nicht 1951 an der Hochschule für Bildende Künste im Fach Modegrafik eingeschrieben. Aber ganz ließ ihn der Film nicht los. Nach dem Wechsel vom Stift zur Fotokamera kam das im Filmstudio erworbene Gespür für Licht und Kulissen bei seinen Modeinszenierungen deutlich zur Geltung.
Ab den 1970er widmete er sich dem Film
Ab 1973 wurde er selbst Filmer und stellte – noch immer von der Stadt und ihrem Straßenbild fasziniert – Beiträge aus New York für das vom SFB produzierte „Modejournal“ her. Wie in der Ausstellung zu sehen, mischte er inszenierte Szenen, in denen professionelle Models New Yorker Labels wie Ralph Lauren, Calvin Klein oder Oscar de la Renta vorstellten, mit dokumentarischen Street-Style-Aufnahmen, beispielsweise von den Puerto Ricaner:innen und Schwarzen, die sich am Wochenende am Bethesda Fountain im Central Park trafen.
FIlmstill aus dem Berliner Modejournal mit Rico Puhlmann vor violettem Green Screen
Die zweimal im Jahr am Sonntagnachmittag im ersten Programm ausgestrahlten Beiträge, die Puhlmann mit aktuellen Charthits unterlegte, trugen maßgeblich dazu bei, dass amerikanische Mode in Deutschland populär wurde.
Indem Puhlmann die Trends des Street Styles wie Plateauschuhe, Kniestrümpfe oder riesige Goldkreolen sehr genau beobachtete, lieferte er einen direkten, unverstellten Blick auf die Jugendkultur, wie ihn die damalige Modepresse nicht kannte. Ihm war auch der modische Einfluss von New Hollywood mit Filmen wie „Chinatown“, „The Clou“ oder „The Great Gatsby“ vor allem auf junge Männer bewusst.
Selbst Teil der Pop- und Subkultur konnte Puhlmann ab 1980 bei GQ das Bild eines neuen, modernen Mannes entwerfen
Als echter Mode-Aficionado selbst Teil der Pop- und Subkultur konnte er ab 1980 mit seinem Engagement bei GQ (Gentlemen’s Quarterly) an der Seite von Bruce Weber das Bild eines neuen, modernen Mannes entwerfen, der natürlich längst schon in den Straßen der internationalen Metropolen unterwegs war.
Dank seines sportlich gestählten Körpers konnte der neue Mann Kleidung lässig tragen. Weiche, fließende Stoffe waren kein Tabu mehr. Ja, er durfte es sich selbst bequem machen, wie Puhlmanns Aufnahme von zwei regelrecht hingebetteten Männermodels 1982 in GQ zeigt.
Puhlmann ging es nie um Tabubruch
Anders als Helmut Newton oder Guy Bourdin ging es Rico Puhlmann nie um den Tabubruch. Vielmehr agierte er bei seinen Fotoshootings zunächst als Kenner von Mode und Kleiderhandwerk und dann als Profi in der Kunst der Performance.
Puhlmanns Aufnahmen sind sehr lebendig. Das liegt auch daran, dass er gerne im Freien arbeitet und die Mode im Kontext von Alltag, Urbanität, Freizeit und Reisen zeigt. Wie sich dieser, sein spezifischer Stil entwickelt hat, lässt sich anhand der frühen Modezeichnungen, Polaroids und Filme, der Zeitschriftencover und großen Bildstrecken sowie der Terminkalender gut nachvollziehen.
In der sorgfältig und kenntnisreich gehängten Ausstellung kommen nicht nur Foto- und Mode-, sondern auch Presse- und Kulturgeschichte zur Sprache. Und weil gerade Jubiläum ist: Typisch für Puhlmanns Idee vom Auftritt der Mode ist das Model, das er 1995 vor dem von Christo und Jeanne-Claude verhüllten Reichstag fotografiert.
Die Aufnahme ist ein heiteres Modebild – weit entfernt vom statuarisch präsentierten Glamour einer Modefotografie, mit der in dieser Zeit Fotografen wie Steven Meisel oder Mario Testino im Zusammenspiel mit Stylisten, Make-up-Artists und Art Direktoren die Deutungshegemonie gegenüber der Mode beanspruchten.
Rico Puhlmann wollte da nicht mitgehen und orientierte sich wieder nach Europa. Der verhüllte Reichstag erschien in der italienischen Modezeitschrift Amica. Für einen weiteren Auftrag bestieg er am 17. Juli 1996 den Flug TWA 800 nach Paris und kam beim Absturz der Maschine gleich hinter Manhattan ums Leben.