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Ausbau der Kampenwandbahn: Heftige Vorwürfe und neuer Prozess – Bayern | ABC-Z

Es sind nur eine Handvoll Bäume, an die der Bund Naturschutz in Bayern (BN) einen gewichtigen Vorwurf knüpft. Es habe mehr als bloß ein Gschmäckle und wirke eher wie „Spezlwirtschaft“, was da offenbar im Forstministerium im Hintergrund gelaufen sei, sagt der Rosenheimer BN-Kreisvorsitzende Rainer Auer. Denn die besagten Bäume stehen auf insgesamt ein paar hundert Quadratmetern Fläche links und rechts der Seilbahntrasse auf die Kampenwand. Die Betreiber wollen ihre inzwischen 68 Jahre alte Bahn erneuern und ausbauen, die Schneise durch den Bergwald müsste dafür um einige Meter breiter werden.

Genau dafür habe das Ministerium die Grenzen des geschützten „Naturwalds“ neu gezogen, vermutet der BN – und zwar erst, nachdem das Verwaltungsgericht München seiner Klage gegen den Ausbau der Seilbahn stattgegeben und sich in dem Urteil auf genau diesen Naturwald bezogen hatte.

Bei dem Urteil wird es aber ohnehin kaum bleiben, denn der Bayerische Verwaltungsgerichtshof als übergeordnete Instanz hat den Fall inzwischen zur Berufung zugelassen. In der neuerlichen Verhandlung, mit der nach Angaben des Gerichts frühestens in einigen Monaten zu rechnen ist, werden voraussichtlich deutlich mehr Argumente eine Rolle spielen müssen als in erster Instanz.

Das Verwaltungsgericht hatte in seinem Urteil lediglich die Baugenehmigung des Rosenheimer Landratsamts als „zu unbestimmt“ verworfen, weil darin nicht geklärt sei, welche und wie viele Bäume genau gefällt werden müssten und dürften. Andere Themen wie der Schutz des laut BN stark bedrohten Birkhuhn-Bestands und die Frage, ob die Materialseilbahn für den Bau durch den bisher unberührten Bergwald führen muss, spielten für dieses erste Urteil vom November 2023 dann gar keine Rolle mehr.

Schon beim vorangegangenen Ortstermin des Gerichts in Aschau im Chiemgau war es an der Talstation viel um die genauen Grenzen des „Naturwalds“ gegangen. Aufseiten der Kläger war bereits damals der Verdacht aufgekommen, der Zuschnitt solle womöglich noch passend gemacht werden. Der Freistaat hatte die neue Schutzkategorie erst 2020 als Reaktion auf das erfolgreiche Artenschutz-Volksbegehren eingeführt. Naturwälder sind meist alte, ökologisch vielfältige und besonders artenreiche Wälder im Besitz des Freistaats. In ihnen unterbleibt jede wirtschaftliche Nutzung.

Das 2020 ausgewiesene Naturwald-Gebiet an der Kampenwand sei nach zwei Jahren tatsächlich an die vorhandene Seilbahntrasse angepasst worden, heißt es nun vom BN. Als „skandalösen Vorgang“ prangert Auer aber eine zweite Anpassung im Dezember 2024 an, über die man nun informiert worden sei. In diesem zweiten Fall sei die Grenze des Naturwalds aber nicht an die schon vorhandene, sondern an die geplante breitere Trasse angepasst worden. Aus Sicht der Betreiberfamilie ist dieses Argument allerdings hinfällig, denn das Landratsamt habe die breitere Trasse schon in einem älteren Verfahren im Jahr 2017 genehmigt – noch vor Ausweisung des Naturwalds. Dies sei nun nachträglich berücksichtigt worden.

Die Beförderungskapazität würde um mehr als das Doppelte steigen

Im Forstministerium weist man den Vorwurf der Rechtsbeugung zugunsten der Seilbahn ebenfalls vehement zurück. Im Zuge des Streits sei man darauf aufmerksam geworden, dass sich die vorhandene Trasse und Naturwaldkulisse geringfügig überlappt hätten, bestätigt ein Sprecher. Die Rede ist von einer dreistelligen Quadratmeter-Zahl im unteren Bereich, also von weniger als 200 Quadratmetern. In dem Bereich hätte kein Naturwald ausgewiesen werden dürfen. Im Grundbuch sei dort eine Seilbahntrasse eingetragen, sie habe Vorrang.

Als man auf den Fehler aufmerksam geworden sei, habe man entschieden, die Naturwald-Kulisse in dem Bereich anzupassen, erklärt der Sprecher. Man habe die 200 Quadratmeter herausgenommen und als Ausgleich an anderer Stelle eine doppelt so große Fläche hinzugefügt. Der Naturwald an der Kampenwand zählt mit etwa 250 Hektar – umgerechnet sind das 2,5 Millionen Quadratmeter – zu den größeren in Bayern.

Für den BN bekommen die im Vergleich winzigen strittigen Flächen ihre große Bedeutung vor allem als Ansatzpunkt für die Juristen. Darüber hinaus kritisiert er die Neubau-Pläne ganz grundsätzlich. So soll die Kampenwandbahn nicht nur barrierefrei werden, sondern statt der alten Vierergoldeln neue Achterkabinen erhalten. Die Beförderungskapazität würde um mehr als das Doppelte auf 1500 Fahrgäste pro Stunde steigen – aus Sicht des BN viel zu viele für die sensible Natur auf der Kampenwand.

Der 1669 Meter hohe, charakteristisch gezackte Berg über dem Chiemsee ist schon jetzt äußerst beliebt bei Ausflüglern, Bergsteigern, Paragleitern und Mountainbikern. Die geplante Ausweitung dieses Betriebs geißelt der BN mit Formulierungen von „Remmidemmi“ bis „Halligalli“ und zielt dabei auch auf die Zahl der nächtlichen Sonderfahrten. Künftig soll die Bahn mehr als 80 Mal pro Jahr auch nachts fahren dürfen. Solche Nachtfahrten gibt es seit langem – aber keine ausdrückliche Genehmigung dafür, wie sie nach Ansicht des Verwaltungsgerichts notwendig wäre.

Das ganze, auf mindestens 30 Millionen Euro geschätzte Neubauprojekt steht und fällt nicht nur mit dem Ausgang des Rechtsstreits, sondern auch mit der staatlichen Seilbahnförderung. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) hat dafür längst zehn Millionen Euro an Zuschüssen in Aussicht gestellt.

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