August Diehl: Auch die Stones haben “Meister und Margarita” gekannt | ABC-Z

Erstmal ist es befremdend: ein aktueller russischer Film im deutschen Kino? Aber Regisseur Michael Lockschin drehte in Russland auch mit einer US-Produktionsfirma im Rücken – alles noch vor dem Angriff auf die Ukraine. Aber mit dem Krieg stieg Universal Pictures aus. Dennoch erkämpften die russischen Produzenten die Fertigstellung und: Der Film wurde zum umsatzstärksten Film der letzten Jahrzehnte und spielte über zwei Milliarden Rubel ein. Dabei wollten ihn Nationalkonservative stoppen. Jetzt ist er auch bei uns gestartet.
AZ: Herr Diehl, haben Sie mit dem überwältigenden Erfolg des Filmes in Russland gerechnet?
AUGUST DIEHL: Nein. Schon allein eine Romanverfilmung ist riskant – und hier ganz besonders, weil Bulgakow so stark mit der Sprache spielt. Fiktion und Elemente aus Volkssagen – auch dem deutschen Fauststoff – wechseln mit Realismus, Satire auf den Sowjetkommunismus und die Bürokratie sowie den verordneten Atheismus. Und alles ist mit viel Tragikomik gemischt. “Meister und Margarita” kennen in Russland fast alle, und so hat jeder dazu auch eine Meinung, wie das ganze auszusehen hat. Ich habe dann den Dreh in Moskau genossen und mir – soweit man das beim Dreh sagen kann – gedacht: Unglaublich, wie nah der Film am Roman bleibt und wie gewaltig er ist.

© Capelight Pictures
von Capelight Pictures
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Wieso ist das im deutschen Film oft so anders?
Wir sagen halt oft: Das geht im Roman, aber nicht im Kino! Und im Fall von “Meister und Margarita” hat Regisseur Michael Lockshin das halt nicht gelten lassen. Er meinte: Viel können wir gar nicht ändern, denn der Roman hat Kultstatus. Also: Der ganze Wahnsinn des Romans muss auf die Leinwand! Mich erinnert das an Peter Jackson mit seinem “Herr der Ringe”, der auch die Fan-Community der Bücher nicht enttäuschen wollte.
Was war eine Schwierigkeit für Sie?
Meine Doppelrolle, weil ja die Figur Woland als deutscher Tourist und Professor für Schwarze Magie nach Moskau kommt und später der echte Teufel ist. Übrigens bezieht sich auch der Rolling-Stones-Titel “Sympathy for the Devil” auf “Meister und Margarita”.

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Reden Sie als “deutscher Tourist und Professor” auch in der russischen Originalversion deutsch?
Nein. Aber beim Dreh habe ich komplett deutsch gesprochen und das dann mühsam – weil ich kein Russisch kann – alles bis auf zwei Szenen, die ich auswendig gelernt hatte, auf Russisch nachsynchronisiert. Das war dann in Berlin im Studio mit einer Sprach-Trainerin. Beim “deutschen Touristen” darf man vielleicht noch einen Akzent hören, aber beim Teufel Woland geht das nicht: Ein Teufel ist polyglott und kann alles perfekt! Und dann wurde meine Stimme auch noch leicht nachbearbeitet, damit Woland noch unheimlicher klingt. Und als Teufel ist er ein Schnelldenker und damit auch Schnellsprecher. Das hat es für mich noch nach dem Dreh extrem anstrengend gemacht. Die deutsche Version habe ich auch noch einmal lippensynchron nachgesprochen.
Wie sind Sie denn zu Woland geworden?
Das Drehbuch kam aus Russland, hieß “Woland” und war ins Englische übersetzt, so dass ich erst überhaupt nicht wusste, was das war. Ich fing also an zu lesen… und plötzlich dämmerte mir, was es war, weil ich “Meister und Margarita” so mit 18 Jahren gelesen hatte. Damals hatte mich das Buch enttäuscht, es war mir zu wirr, psychodelisch, und ich wusste auch zu wenig über den Stalinismus und die Zusammenhänge. Ich habe mir dann sofort die neue Übersetzung von Alexander Nitzberg gekauft und gesagt: Ja, das ist wirklich toll. In Moskau zum Beispiel rast die Handlung zum Teil fast comic-artig mit “Zack”, “Bumm”, “Bäng!”, dann wird es wieder epischer, biblisch. Man muss das vielleicht lesen wie einen Marvel-Comic.

© Christoph Soeder (dpa)
von Christoph Soeder (dpa)
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Haben Sie von der innerrussischen Kontroverse beim Filmstart etwas mitbekommen? Er galt ja den Nationalkonservativen als defätistisch.
Abgedreht war erst einmal im Oktober 2021. Ich fuhr dann mit dem Taxi zum Flughafen in Moskau und fragte den Fahrer, was er davon hält, dass Russland so viele Soldaten an die ukrainische Grenze verlagert. Und der sagte: Ach, das ist alles westliche Propaganda! Dann brach der Krieg im Februar aus – mitten in der sogenannten Postproduktion, und ich dachte: Das war’s jetzt mit dem Film. Der wird in den Konflikt hineingezogen und zermahlen.
Moskau ist wie ein Mensch, der aus der Distanz erlaubt, dass man ihn bewundert
Wurden Sie in Rubel oder Dollar bezahlt?
In Euro. Und meine Spesen-Rubel habe ich schon in Moskau ausgegeben. Ich habe hier so gut gegessen, wie nirgends sonst auf der Welt. Die Stadt ist großartig, fremd und atmosphärisch wie ein Mensch, der stolz ist und aus der Distanz erlaubt, dass man ihn bewundert.
Und dann kam er doch in Russland in die Kinos und ist der erfolgreichste russische Film der letzten Jahrzehnte.
Weil er alle mitnehmen kann: Die, die einfach mit ganz großem Kino eine Klassikerverfilmung sehen wollen. Und die, die in dem totalitären Spitzel- und Bürokratiestaat mit grausamer Doppelmoral auch einen Spiegel von Putins Staat sehen mit seiner Zensur. Denn darum geht es ja auch zentral in der Geschichte des “Meisters”, des Schriftstellers. Der Film ist intellektuelles Arthouse und Blockbuster mit Action und Illusionen in einem.
Da kommt der Teufel hinein und stiftet Chaos.
Und am Ende brennt Moskau – wie eins das Rom unter Nero.

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Anders als unter Putin, der die Religion instrumentalisiert, wurde sie in der Sowjetunion unterdrückt.
Deshalb gab es da eben auch inneren Widerstand. Und so spielen die Begriffe Religion und Erlösung auch in Bulgakows Welt eine große Rolle. Da gibt es die fantastische Szene, wo der Teufel einem atheistischen Apparatschik sagt, dessen Kopf bereits abgetrennt ist: Sie haben ja zu Lebzeiten die Ansicht vertreten, dass der Mensch nach dem Tod in den Zustand des Nicht-Seins übergeht. Eine interessante Theorie, aber eben nur eine Theorie, wie jede andere auch. Und deshalb werden Sie jetzt genau das bekommen, woran Sie geglaubt haben: das Nichts! Bulgakow meinte, der Atheismus selbst ist auch nur eine Art Religion und Glauben. Und man bekommt nach dem Tod genau das, woran man zu Lebzeiten geglaubt hat.
Was kann uns die Geschichte vom “Meister und Margareta” heute noch sagen?
Sie ist grausam aktuell. Zensur und Medienunterdrückung sind nicht aus der Welt – im Gegenteil. Und das auch in der sogenannten “freien Welt”. Und wir haben einen Krieg, wovon wir dachten, das gehört in Europa ins vergangene Jahrhundert. Und der Teufel ist die Figur, die zeigt, dass der Mensch immer wieder das gleiche macht, sich alles – in neuem Gewand – wiederholt.
Kino: ABC, Rio sowie City (OmU)
Regie: Michael Lockshin
(Rus/USA, 157 Min.)