Wohnen

Auf Achse: Politiker auf Reisen – Gesellschaft | ABC-Z

Alle Bundesländer bis zum Jahresende besuchen, das hat sich der Kanzler vorgenommen. Hehres Ziel, denn Anfang September hat Friedrich Merz gerade mal Nordrhein-Westfalen gerissen, nach Bayern, Niedersachsen und dem Saarland. Nun stehen noch zwölf Stationen auf seiner Liste.

Merz’ Reisepläne erinnern dabei an den Habsburger Kaiser Joseph II., der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts scheinbar unermüdlich sämtliche Länder seines großen Reichs bereiste – von der Steiermark bis zum Herzogtum Modena, von Dalmatien bis ins Elsass. Allerdings interessierten den einstigen Regenten anders als Friedrich Merz weder eine Gruppe Schuhplattler auf der Zugspitze (Bayern) noch eine Fahrt im fahrerlosen Fahrzeug (Niedersachsen), eine Drohnen-Live-Demonstration (Saarland) oder das Goldene Buch im Rathaus von Münster (NRW).

Vielmehr verordnete sich Graf von Falkenstein, wie sich Joseph II. im Ausland nennen ließ, Reisen auf „Augenhöhe“: Dafür ritt er auf seinem Pferd über unwegsame Straßen, schlief unter einer Hirschhaut im Zelt oder in einfachen Herbergen, sah den Menschen im Bergwerk über die Schulter und besuchte die Schlachtfelder des Siebenjährigen Krieges. Im Sommer 1766 ließ er sich für einige Stunden sogar Ketten in einem Kerker anlegen, um sich in die Gefangenen hineindenken zu können, bis es hieß: „Majestät, es reicht!“ Mehr als ein Drittel seiner Regentschaft soll er auf Reisen verbracht haben – wohl auch, um seiner Mit-Regentin und Mutter, Maria Theresia, der Erzherzogin von Österreich, zu entkommen.

Der Kaiser wollte die Welt verstehen, um sie dann verändern zu können, ganz im Sinne der Aufklärung. Dafür müsse er allerdings unbedingt unerkannt bleiben, befand er, also reiste Joseph II. stets inkognito.

Reisen und keiner schaut zu: ein Albtraum für Markus Söder. Hätte ja sonst nie jemand erfahren, wie er Ende August der „Pflicht“ nachkam, die man laut dem bayerischen Ministerpräsidenten als Deutscher habe, nämlich die zwei Orte zu besuchen, an denen man gewesen sein muss: „auf dem höchsten Punkt der Republik, nämlich auf der Zugspitze, und auf der einzigen Hochseeinsel, die wir haben: Helgoland“. Oder, so die Söder’sche Kurzfassung: „Gams und Robbe“. Also tauschte er Leberkässemmel gegen Fischbrötchen, ließ sich am Brandungsfelsen fotografieren, sang mit einem Shanty-Chor ein Seemannslied und trank Sherry. Nach seiner Rückkehr gefragt, wie es denn gewesen sei, sagte Söder: „Toller Empfang – allein schon die Einfahrt in den Hafen mit vielen bayerischen Fahnen.“

Wie angenehm anders ein Joseph II. da war, der 1765 schrieb: „Wenn das Reisen für jeden denkenden Menschen nützlich ist, so ist es das umso mehr für einen Souverän, der, alle Vergnügungen zurückweisend, sich nur auf die Nützlichkeit seines Tuns konzentriert.“

Back to top button