Auch die Autozulieferer sind in Not, nicht nur VW | ABC-Z
Wenn in diesen Tagen die Unternehmen ihre Geschäfte im dritten Quartal bilanzieren, jagt eine schlechte Nachricht die nächste. Am Mittwoch hatte Volkswagen mitgeteilt, dass der Konzerngewinn nach Steuern um knapp zwei Drittel abgesackt ist. Europas größter Autohersteller steht derzeit symbolisch für die Herausforderungen der Hersteller, denen durch die Regulierung der Verbrennermotoren das angestammte Geschäft wegschmilzt, während sich trotz Milliardeninvestitionen mit Elektroautos noch nicht wirklich Geld verdienen lässt.
Deshalb geht es jetzt vor allem für die darbende Kernmarke VW ans Eingemachte: Das Management fordert von der Belegschaft deutliche Gehaltseinschnitte und droht mit Werkschließungen und dem Abbau von tausenden Arbeitsplätzen. Seit Jahren geistert die Zahl von 30.000 durch die Welt, die der frühere Vorstandschef Herbert Diess einmal als notwendig zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit genannt hatte. Doch die Krise schüttelt nicht nur bekannte Hersteller wie Volkswagen, BMW oder Mercedes durch. Auch die großen und kleinen Zulieferer treffen die Folgen von Antriebswende und Konsumflaute mittlerweile mit voller Wucht.
„Bosch wird 2024 seine wirtschaftlichen Ziele nicht erreichen“
Es ist eine Krise mit Ansage, entsprechende Prognosen sind lange bekannt. Eine Studie für den Verband der deutschen Autoindustrie (VDA) zeigt, dass es beim bevorstehenden Abbau von Arbeitsplätzen nicht allein um Probleme von Unternehmen geht, sondern um die Folgen der politisch gewünschten Transformation vom Verbrennermotor zum Elektroantrieb. Weil Elektroautos weniger Teile besitzen, größtenteils gar kein Getriebe oder keine Auspuffanlage brauchen, werden viele bisherige Arbeitsplätze überflüssig. Die VDA-Studie geht davon aus, dass von 2019 bis 2030 rund 300.000 der ursprünglich mehr als 900.000 traditionellen Arbeitsplätze überflüssig werden.
Auch Fachleute des Ifo-Instituts und der Deutschen Bank sehen sechsstellige Zahlen von Arbeitsplätzen durch den Wandel bedroht. Zwar könnten laut VDA-Papier zugleich 110.000 neue Arbeitsplätze durch wachsende Sparten, etwa der Elektrotechnik, entstehen, womit die Nettobeschäftigungsverluste deutlich sinken würden. Allerdings würden diese Stellen nur in Deutschland angesiedelt werden, wenn hier die entsprechenden Rahmenbedingungen geboten würden, mahnt der VDA. Bisher seien die Standortbedingungen zu schlecht.
Als Stiftungskonzern unterliegt Bosch nicht den strengen Veröffentlichungspflichten börsennotierter Unternehmen. Dennoch kommen auch aus Stuttgart neue Alarmzeichen. „Bosch wird 2024 seine wirtschaftlichen Ziele nicht erreichen“, warnte gerade Stefan Hartung, der Vorsitzende der Geschäftsführung. Der Technologiekonzern hat viele Sparten, aber das Automobilgeschäft steht für mehr als die Hälfte des Umsatzes und hat damit eine herausragende Bedeutung. Bislang hatte Bosch angekündigt, rund 7000 Arbeitsplätze abzubauen, knapp 2500 in der Autosparte. Doch angesichts der sinkenden Profitabilität kann es noch schlimmer kommen. „Aktuell kann ich nicht ausschließen, dass wir die personellen Kapazitäten weiter anpassen müssen“, sagte Hartung dem „Tagesspiegel“.
Neben Marktführer Bosch zählen mit Continental und ZF zwei weitere deutsche Autozulieferer zur Weltspitze – und kämpfen mit den selben Problemen. Der Dax-Konzern Continental mit Hauptsitz in Hannover hat über die vergangenen Jahre schon in erheblichem Umfang Personal abgebaut und auch Werke geschlossen. Nun fallen in der Verwaltung und in den Entwicklungsabteilungen seiner Elektroniksparte weitere rund 7200 Arbeitsplätze weg, viele davon in Deutschland. ZF ist neben Volkswagen zurzeit der zweite große Schauplatz des Arbeitskampfs in der Autobranche. Das Unternehmen vom Bodensee teilte im Sommer mit, die Zahl der Beschäftigten in Deutschland bis zum Jahr 2028 von aktuell 54.000 um bis zu 14.000 zu reduzieren.
Zudem legt der Zulieferer Werke und Produktionen zu Standortverbünden zusammen und könnte nach Eitorf und Gelsenkirchen weitere Fabriken schließen. Außerdem wird die Ausgliederung der Sparte für Elektromobilität geprüft, weil ZF die Industrialisierung der Komponenten in diesem Bereich nicht mehr allein stemmen kann. Wie schlimm es vor allem um die Elektrosparte des einstigen Getriebespezialisten steht, ist kürzlich klar geworden. In der Traditionsfabrik Saarbrücken mit etwa 10.000 Beschäftigen sollen schon bis zum Ende des kommenden Jahres 1800 Stellen wegfallen. Zugleich machte die Konzernleitung deutlich, dass es bis Ende 2028 im schlimmsten Fall bis zu 4500 Stellen werden können, falls sich die Auftragslage nicht bessert.
Auch Frankreichs Autobauer betroffen
Schlechte Nachrichten auch andernorts: Der fränkische Autozulieferer Brose will zunächst in der Verwaltung Stellen streichen. „Wir müssen unsere Organisation verschlanken, indem Hierarchien abgebaut und Führungsspannen vergrößert werden. Unsere Führung plant den Abbau von 950 Stellen in der Administration an Hochlohnstandorten“, kündigte der Brose -Gesellschafter Michael Stoschek kürzlich in der F.A.Z. an. „Unsere Werke mit ihren hochautomatisierten Fertigungsanlagen sind nicht ausgelastet, das lässt sich aber kurzfristig nicht ändern.“ Beim Auto- und Industriezulieferer Schaeffler sind Stellenstreichungen Folge der bevorstehenden Fusion mit dem Elektroantriebsspezialisten Vitesco Technologies. Gemeinsam werden die beiden Unternehmen rund 120.000 Mitarbeiter beschäftigen, doch fallen etliche Stellen in der Vitesco-Zentrale in Regensburg weg. Schaeffler hatte zuvor erklärt, mit der Verschmelzung von Vitesco Einsparungen von jährlich rund 600 Millionen Euro zu erzielen.
Auch die französische Autoindustrie, traditionell stark mit Kleinwagen und in der Mittelklasse, trifft die aktuelle Krise mit voller Wucht. Der Renault-Konzern hat in der bleiernen jüngeren Vergangenheit in großem Stil Stellen abgebaut. Binnen vier Jahren hat sich die Beschäftigtenzahl von 195.000 auf 105.000 reduziert, wobei darin die rund 50.000 Mitarbeiter enthalten sind, von denen sich die Franzosen in ihrem vormals zweitgrößten Markt Russland verabschieden mussten. Einige Entscheidungen betreffen wiederum Standorte in Deutschland: So kündigte der Reifenhersteller Michelin vor einigen Monaten an, die Produktion von Lastwagenreifen hierzulande vollständig einzustellen und ins Ausland zu verlagern.
Zudem wandert das Kundenkontaktzentrum nach Polen. Mehr als 1500 Stellen fallen der Entscheidung zum Opfer. Nicht nur das Traditionswerk in Karlsruhe, auch eine kleine Fabrik in Trier und ein Teil der Fertigung im saarländischen Homburg werden geschlossen. Michelin verweist auf mangelnde wirtschaftliche Perspektiven auf dem hart umkämpften Weltmarkt für Lastwagenreifen sowie die gestiegenen Energie-, Personal- und Logistikkosten in Deutschland.
Der Autozulieferer Hella wiederum, seit Anfang 2022 in den Händen des französischen Konzerns Forvia (vormals Faurecia), will am Stammsitz in Lippstadt rund jede zehnte Stelle streichen. Ähnlich der französische Zulieferer Valeo : Er hat in zwei Wellen angekündigt, einige Hundert seiner knapp 8000 Arbeitsplätze in Deutschland abzubauen. In Bad Neustadt wird die Elektromotorenproduktion aus Kostengründen sogar komplett eingestellt und nach Polen verlagert. „Die Erhöhung der Energiekosten ist ein Problem, so wie die Erhöhung der Löhne ein Problem ist“, sagte der Valeo-Chef Christophe Périllat der F.A.Z. zu den spezifischen Standortproblemen. Schon heute habe man in Deutschland viel mehr Roboter als anderswo. Aber nicht alle Produkte ließen sich auf die gleiche Weise automatisieren.
Derweil haben der Opel-Mutterkonzern Stellantis und der vorherige Eigentümer PSA schon in den vergangenen Jahren viele Stellen in Deutschland gekappt. In Rüsselsheim sind nach vielen Sparprogrammen rund 8300 Mitarbeiter übrig geblieben. Viele Opel-Modelle werden heute teilweise oder vollständig in Ländern mit niedrigeren Lohnkosten gebaut, etwa der Corsa in Saragossa. Zu den Beschäftigten in Rüsselsheim kommen 1100 und 1000 Mitarbeiter an den beiden übrigen deutschen Produktionsstandorten von Stellantis, Eisenach und Kaiserslautern.
Zusammen mit den 570 Beschäftigten im Zentrallager in Bochum und 1100 Beschäftigten beim konzerneigenen Niederlassungsnetzwerk kommt Stellantis auf etwas mehr als 12.000 Mitarbeiter in Deutschland. Zum Vergleich: Allein am Rüsselsheimer Stammsitz von Opel waren es zu einstigen Hochzeiten mehr als zweieinhalb Mal so viele. Ob die lange defizitäre Traditionsmarke überhaupt noch existieren würde ohne die Sparprogramme, ist ungewiss. „Aktuell“ sei Opel profitabel, stellte Stellantis-Chef Carlos Tavares zuletzt immerhin klar.