Attacken werden maßlos: Auch Jens Spahn verdient Fairness | ABC-Z

Wegen der Maskenbeschaffung während der Pandemie wird die Kritik an Jens Spahn immer heftiger. Kritik ist berechtigt, aber wie Teile der Opposition den Ex-Gesundheitsminister diffamieren, droht jedes Maß zu verlieren.
Als Gesundheitsminister hat Jens Spahn während der Pandemie nicht alles richtig gemacht – er ließ zu viele Masken für zu viel Geld kaufen und beauftragte einen Konzern aus seiner Heimat damit, die Lagerung der Masken zu übernehmen. Das war teuer für den Steuerzahler und wirft Fragen auf. Da gibt es ein Aufklärungsinteresse und gute Gründe für einen Untersuchungsausschuss – anstatt der Enquete-Kommission, die Union und SPD wollen. Das allgemeine Vertrauen in die Politik würde sicher profitieren, wenn aufgeklärt wird, ob Spahns Vergehen größer ist, als zu viel für Masken bezahlt zu haben.
Doch wie Teile der Opposition von Linken über Grüne bis AfD nun über den heutigen Fraktionschef der Unionsparteien herfallen, droht jedes Maß zu verlieren. Linken-Chefin Ines Schwerdtner sagte im Bundestag, Spahn habe “vor allem sich selbst versorgt, mit Kontakten, Deals und Milliarden aus unserem Steuergeld”. Damit legte sie nahe, er habe sich persönlich bereichert und stellte ihn ausdrücklich in eine Reihe mit denen, die das tatsächlich getan haben.
Mit Andrea Tandler zum Beispiel, der Tochter eines CSU-Politikers, die sich an der Vermittlung von Masken-Geschäften immens bereicherte. Oder mit Georg Nüsslein, dem CSU-Politiker, der das ebenfalls tat. “Das sind keine Einzelfälle, das hat System”, behauptete Schwerdtner im Bundestag und verurteilte damit im Vorbeigehen die ganze Union als korrupten Haufen. Mehr Vorverurteilung geht kaum.
AfD schwurbelt
Die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta sagte nur wenig subtiler: “Es wirft ja niemand Spahn jetzt schon vor, dass diese ganzen Mauscheleien bei den Masken 1:1 dazu geführt haben, dass er drei Monate später eine Villa gekauft hat.” Womit sie genau den Vorwurf in den Raum stellte. Einen drauf setzte noch die AfD. Deren Abgeordnete Christina Baum fragte allen Ernstes: “Wurde die Maskenpflicht nur eingeführt, damit Politiker wie Spahn solche Geschäfte überhaupt machen konnten?”
Halten wir fest: Dafür, dass Spahn sich persönlich bereichert haben könnte, gibt es keine Beweise. Auch Margaretha Sudhof sagt das nicht, die einen Bericht zu seinem Agieren verfasst hat. Sie wirft Spahn Inkompetenz, Selbstüberschätzung und Geltungsdrang vor. Auch nicht gerade schmeichelhaft, aber ein Riesenunterschied.
Spahn wird vorgeworfen, sechs Milliarden Masken beschafft zu haben, von denen zwei Drittel nicht gebraucht wurden. Rechtsstreitigkeiten mit den Lieferanten kosten den Staat außerdem Hunderte Millionen Euro. Knackpunkt war das sogenannte Open-House-Verfahren. Wer Masken bis zu einem Stichtag lieferte, dem wurden sie zum Preis von 4,50 Euro abgekauft. Im Gesundheitsministerium hatte man einen Preis von 2,87 Euro für angemessen gehalten.
Warum wollte Spahn einen höheren Preis? Seine Antwort: Weil er sicher gehen wollte, dass die Masken tatsächlich geliefert wurden. In der Frühphase der Pandemie war der Markt leergefegt. Masken gingen auch nach Lieferzusagen an den Meistbietenden. Etliche Bestellungen trafen nie ein. Einen hohen Preis zu bieten, war da ein Mittel, die Ware auch zu bekommen. Diese Erklärung liegt jedenfalls ziemlich nahe. Spahn bezeichnet das Open-House-Verfahren selbst als Fehler.
Am Ende gab es genug Masken für alle
Und der war teuer. Aber wer vergisst, wie groß der Druck und besonders die Unsicherheit in der Frühphase der Pandemie war, macht es sich ziemlich einfach. Grundsätzlich war es selbstverständlich richtig, hohe Preise für die Masken zu zahlen. Die geretteten Leben waren es wert. Spahn nur als korrupten Raffke darzustellen, der alles verbockt hat, wird der Lage nicht gerecht. Letztlich schaffte er es, ausreichend Masken zu besorgen. Das darf nicht unter den Tisch fallen.
Es geht dabei um mehr als die Person Spahns. Es geht insgesamt um die Frage, wie wir mit Politikern umgehen, die in Ausnahmesituationen handeln und Fehler machen. Aufklärung muss sein – aber muss jeder komplett in die Pfanne gehauen werden, der nicht alles perfekt gemacht hat? Wer hat dann überhaupt noch Lust, Politik zu machen? Wollen wir nur noch Politiker, die sich ständig nach allen Seiten absichern, um ja keine Fehler zu machen?
Wie gesagt, Aufklärung ist geboten. Aber auch Spahn hat Fairness verdient. Solange ihm kein strafrechtliches Fehlverhalten nachgewiesen wird, ist es Sache der Menschen im Land, sich eine Meinung über sein Vorgehen zu bilden – und an der Wahlurne zu zeigen, ob sie ihm noch vertrauen. Brutale Vorverurteilungen helfen jedenfalls nicht weiter.