Politik

Schiedsrichter Marco Fritz im Interview über Elfmeter in Bundesliga | ABC-Z

An den ersten fünf Spieltagen sind in der Fußball-Bundesliga 24 Elfmeter verhängt worden, so viele wie noch nie. Ist das Zufall oder erklärbar?

Wahrscheinlich ist es wirklich Zufall. Es liegt jedenfalls nicht daran, dass die Schiedsrichter strenger pfeifen würden, sondern eher an der Spielweise der Mannschaften oder zumindest daran, wie sie im Strafraum agieren.

Sind Sie sich da sicher? Immerhin hatten die deutschen Schiedsrichter vor der Saison angekündigt, künftig beispielsweise beim „Halten abseits des Balles“ genauer hinzusehen.

Nur weil wir festgelegt haben, in diesem Jahr mehr auf die Haltevorgänge achten zu wollen, sind bislang nicht viel mehr solche Strafstöße verhängt worden. Es gibt ja auch keine Regeländerung, und wir legen auch nicht plötzlich strengere Maßstäbe an. Grundsätzlich waren wir gar nicht unzufrieden, wie es gelaufen ist. Es sind uns bloß ein paar Situationen durchgerutscht, und dafür wollten wir die Sinne schärfen.

Hatte sich denn jemand beschwert?

Nein, gar nicht. Wir reflektieren aber selbst nach jeder Saison und überlegen, in welchen Bereichen wir vielleicht zu großzügig waren. Und dabei fiel uns auf, dass wir uns bei den Haltevorgängen zu sehr darauf konzentriert haben, wo der Ball ist. Ein Foul ist aber ein Foul – egal, wo es stattfindet. Außerdem ist es so: Es gibt immer mal kleinere Trends, bei denen von uns Schiedsrichtern gegengesteuert werden muss. Dann verschwinden Dinge wieder oder tauchen gar nicht erst auf, weil man verstärkt darauf achtet und die Spieler sich anpassen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Vor ein paar Jahren gab es mal das Phänomen, dass Ellbogenvergehen gehäuft vorkamen. Ständig hatte irgendeiner den Ellbogen im Gesicht seines Gegenspielers. Das hat sich wieder reguliert, nachdem wir ein besonderes Augenmerk darauf gelegt hatten.

Marco Fritzpicture alliance / Pressefoto Rudel
Nun also das „Halten“. Am ersten Spieltag fiel Dortmunds Karim Adeyemi beim Spiel gegen den FC St. Pauli nach einem kurzen Kontakt an der Hand, bei allerdings hohem Tempo. Es gab Elfmeter. Ist es nicht wahnsinnig schwierig zu beurteilen, ob ein Kontakt ursächlich dafür ist, dass ein Spieler fällt?

Doch, natürlich. Deshalb ist bei den Haltevorgängen die Klarheit wichtiger als die Position des Balles. Schließlich kann es auch sein, dass ein Angreifer, der umgerissen wird, gerade in Position laufen wollte. Je klarer das Vergehen ist, desto eher möchte man dafür einen Strafstoß haben. Natürlich unter Berücksichtigung, wie der Impuls und die Wirkung zusammenpassen: Ist es ein sehr statischer Vorgang oder ein dynamischer? Für ein kurzes Trikotzupfen möchte keiner einen Strafstoß, und den wollen wir auch weiterhin nicht geben.

St. Paulis Eric Smith greift zu, Dortmunds Karim Adeyemi fällt. Dafür gab es am ersten Spieltag einen Elfmeter.
St. Paulis Eric Smith greift zu, Dortmunds Karim Adeyemi fällt. Dafür gab es am ersten Spieltag einen Elfmeter.picture alliance / Dennis Ewert/RHR-FOTO
Ein Phänomen, das Amateurspieler genauso kennen wie Profis: Warum werden Fouls, gerade beim Halten, nur gepfiffen, wenn der Spieler hinfällt und schreit? (Anm. d. Red.: Das Interview wurde vor dem Elfmeter im Spiel Köln gegen Stuttgart geführt.)

Ob ein Foul vorliegt, hängt nicht davon ab, ob einer hinfällt und schreit. Aber insbesondere bei Eck- oder Freistößen gibt es meist sehr viele Spielerpärchen, die der Schiedsrichter im Auge haben muss. Und wenn dann einer stürzt, kann es sein, dass darauf der Fokus gelegt wird. Und sei es nur, weil dadurch die Wirkung klarer erkennbar wird. Aber auch wenn ein Spieler stehen bleibt: Niemand kann einen Gegner drei Sekunden festhalten, ohne dass das geahndet werden muss. Das ist nicht möglich.

Also eine Art Drei-Sekunden-Regel.

Genau. Bei statischen Vorgängen ist außerdem noch die Orientierung des Verteidigers wichtig: Orientiert er sich in irgendeiner Form auch zum Ball oder nur zu seinem Gegenspieler? Umringt er ihn mit zwei Armen, oder hält er ihn nur mit einer Hand fest? Wenn der foulende Spieler beim Eckstoß nicht in Richtung Ball schaut, seinen Gegenspieler aber trotzdem schon umklammert, hat er offensichtlich nicht im Sinn, den Ball zu spielen. Auch solche Parameter beziehen wir natürlich mit ein.

Wenn nun auch ballfernes Halten häufiger mit einem Strafstoß geahndet wird, der dann erfahrungsgemäß in 70 bis 80 Prozent der Fälle zu einem Tor führt: Passt dann noch das Verhältnis zwischen der Schwere des Vergehens und der Schwere der Sanktion?

Es ist schon so, dass dieses Halten dann auch besonders klar sein muss. Doch die Frage, die sich immer stellt, ist: Warum macht der Verteidiger das überhaupt? Die Antwort: um sich einen Vorteil zu verschaffen. Wir können ja nicht sagen: Wenn der Ball nicht in der Nähe ist, ist es nichts Gravierendes. Sonst könnten Spieler im Strafraum ja machen, was sie wollen. Und weil ich vorhin von einem Trend gesprochen habe: Es war schon so, dass wir festgestellt haben, dass die Spieler genau zu wissen schienen, wann sie gewisse Grenzen auch überschreiten konnten. Solange der Ball nicht ungefähr da hinkam, wo sie standen, waren die Schiedsrichter großzügiger.

Nun gelten die Regeln fürs Halten auf dem ganzen Platz. Im Strafraum gibt es aber einen entscheidenden Unterschied: Der VAR darf hier eingreifen. Verzerrt das nicht – zumindest auf lange Sicht –, wie oft durch so etwas Elfmeter gepfiffen werden?

Der Fall ist denkbar, aber verzerren wird er das Gesamtbild nicht. Der Schiedsrichter ist ja nicht allein auf dem Feld. Insbesondere, wenn es nicht im Strafraum ist, sitzen auch die Assistenten mit im Boot, um Halten fernab des Balles zu ahnden. Wenn zum Beispiel ein Konter läuft, liegt für diese ein Augenmerk auf dem Halten. Und da ist es tatsächlich sogar einfacher, dem Schiedsrichter zu helfen, als in Strafraumsituationen, einfach weil es räumlich näher ist. Weil der Schiedsrichter die Augen meistens auf dem Ball haben muss, sind die Absprachen im Team oft so, dass die anderen dorthin schauen, wo der Ball gerade nicht ist.

Sind Sie denn zufrieden, wie es an den ersten Spieltagen lief, oder sehen Sie Verbesserungsbedarf?

So, wie es aktuell umgesetzt wird, sind wir zufrieden. Denn es ist ja auch so: Wenn man den Schiedsrichtern sagt, dass wir auf etwas ein besonderes Augenmerk legen wollen, birgt das auch die Gefahr, dass es zu kleinteilig wird. Dass wir auf einmal in einem Spiel drei Strafstöße wegen Haltens haben. Das ist aber bislang nicht der Fall. Wir wollten nur punktuell nachschärfen und nicht insgesamt die Linie infrage stellen. Ich bin sehr zufrieden, weil bislang die Vergehen rausgefiltert werden, bei denen Ursache und Wirkung tatsächlich zusammenpassen.

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