Asyl von Orbán, Ärger mit Tusk | ABC-Z
Elf Tage lang haben polnische Behörden nach Marcin Romanowski gefahndet, zuletzt sogar mit europäischem Haftbefehl. Am Donnerstagabend meldete sich Romanowski plötzlich aus Ungarn. Von dort erklärte der 48 Jahre alte Jurist, der bis Ende 2023 in Warschau stellvertretender Justizminister war, „Asyl vor politischer Verfolgung“ beantragt und von der ungarischen Regierung gewährt bekommen zu haben. In Polen könne er wegen der „politischen Beteiligung einiger Richter, die den amtierenden Justizminister offen unterstützen, kein faires Verfahren erwarten“.
Sein Anwalt ergänzte, dass Ungarn seinem Mandanten Asyl gewährt habe, weil dessen Rechte und Freiheiten von der polnischen Regierung und der ihr unterstellten Staatsanwaltschaft verletzt würden.
Das ist für Warschau, das mit Budapest einst enge Bindungen in der Visegrad- Gruppe pflegte, eine ziemliche Provokation. „Die Entscheidung der Regierung von Victor Orbán, Herrn Romanowski, der mehrerer Verbrechen verdächtigt und per europäischem Haftbefehl gesucht wird, politisches Asyl zu gewähren, ist ein unfreundlicher Akt gegenüber der Republik Polen und den Grundsätzen der Europäischen Union“, erklärte der polnische Außenminister Radosław Sikorski am Freitag. Er bestellte den ungarischen Botschafter für eine Protestnote ein, zugleich beorderte er den polnischen Botschafter aus Ungarn zurück. Zudem kündigte Sikorski an, in der Sache bei der EU-Kommission ein Verfahren gegen Ungarn einzuleiten und den Europäischen Gerichtshof anzurufen.
„Ein sehr trauriges Ende der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft“
Ministerpräsident Donald Tusk hatte schon zuvor Ungarn gewarnt: „Sollte Budapest irgendwelche merkwürdigen Entscheidungen treffen, die nicht mit europäischen Recht vereinbar sind, wie die Gewährung politischen Asyls oder die Missachtung des europäischen Haftbefehls, wäre Viktor Orbán derjenige, der sich in einer prekären Lage befindet, nicht ich.“ Am Freitag ergänzte er, dass dies „ein sehr trauriges Ende der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft“ sei. Im Januar übernimmt Polen den Vorsitz von Ungarn.
Er habe nicht erwartet, dass „die vor der Justiz fliehenden korrupten Politiker bereits zwischen Lukaschenko und Orbán wählen können“, sagte Tusk. Er spielte damit auch auf einen Warschauer Richter an, der im Frühjahr unter Spionageverdacht nach Belarus geflohen war. Wer jedoch gestohlen habe und korrupt gewesen sei, könne sich auf diese Weise nicht dauerhaft der Gerechtigkeit entziehen, so der Regierungschef. „Der polnische Staat ist stark und wird damit fertig werden.“
Der Fall Romanowski ist einer der spektakulärsten im Bemühen der Regierung Tusk, illegale Machenschaften der bis Ende 2023 regierenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) aufzudecken und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Als Vizejustizminister war Romanowski für den „Justizfonds“ zuständig, einer ursprünglich zweckgebundenen Rücklage zur Unterstützung von Verbrechensopfern. Unter der PiS aber wurden Fonds und Empfängerkreis stark ausgeweitet.
Der Staatsanwaltschaft zufolge hat Romanowski den Fonds etwa für illegale Wahlkampffinanzierung der PiS und der mit ihr verbündeten Parteien missbraucht. Sie hat den einstigen Vizeminister in elf Fällen angeklagt, unter anderem wegen Korruption und organisierter Kriminalität. Den Schaden bezifferte sie auf rund 40 Millionen Euro. Das sei jedoch „nur die Spitze des Eisbergs“, bekräftigte der leitende Staatsanwalt und kündigte Anklagen gegen neun weitere Personen in 21 Fällen an.
Der PiS-Vorsitzende spricht von Folter
Romanowski, dem bei einer Verurteilung bis zu 25 Jahre Haft drohen, beklagte in einem Interview mit dem Fernsehsender „Poland24“, dass in Polen „systematisch die Rechtsstaatlichkeit verletzt“ werde und Vertreter der Opposition „nicht auf ein faires Verfahren zählen“ könnten. Tusk warf er vor, Polen zu einem „gesetzlosen Staat“ umzubauen.
Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński legte noch einen drauf und erklärte am Freitag, dass jeder, der sich in den Händen dieser Staatsanwaltschaft befinde, „extrem bedroht“ sei, „einschließlich Folter und Verlust von Menschenleben“. Die eskalierende Wortwahl liegt wohl auch daran, dass die Staatsanwaltschaft ein Jahr nach der Regierungsübernahme Tusks nun immer mehr Anklagen wegen verschiedenster Straftaten gegen PiS-Politiker fertiggestellt hat. So hat Justizminister Adam Bodnar, der auch Generalstaatsanwalt ist, gerade erst drei weitere Anfragen an den Sejm zur Aufhebung der Immunität von PiS-Abgeordneten gerichtet.
Gergely Gulyás, Minister im Amt des ungarischen Regierungschefs, bestätigte, dass Budapest Romanowski Asyl gewährt habe. Das stehe im Einklang mit den Rechtsvorschriften Ungarns und der Europäischen Union. Es habe Beweise dafür gegeben, dass das Verfahren gegen den Politiker nicht fair geführt werde. So konstatierte Orbáns rechte Hand, dass es in Polen aus seiner Sicht „rechtsstaatliche Probleme“ und eine „Verfassungskrise“ gebe, seit Tusk durch die Wahl im vergangenen Jahr an die Regierung gelangt sei.
Ungarn mische sich nicht in die Innenpolitik anderer Länder ein, aber es sei notwendig, festzustellen, dass diese Krise auf das Handeln der Regierung Tusk zurückzuführen sei. So habe es die polnische Regierung versäumt, die Entscheidungen des polnischen Verfassungsgerichts umzusetzen. Auch werde „das Strafrecht als Instrument gegen politische Rivalen eingesetzt“. Allerdings ist das polnische Verfassungsgericht nicht unabhängig, sondern verfahrenswidrig mit PiS-hörigen Richtern besetzt, weshalb Tusks Regierung es nicht anerkennt.
Ungarn wiederum steht unter der Regierung Orbán nicht in dem Ruf, großzügig Asyl zu gewähren. Doch die Aufnahme Romanowskis ist nicht ohne Vorbild. Im November 2018 erhielt der frühere mazedonische Ministerpräsident Nikola Gruevski in Ungarn Asyl, nachdem er in seiner Heimat – inzwischen Nordmazedonien – wegen Korruption zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Albanien hat später bestätigt, dass für Gruevskis Flucht über Albanien, Montenegro und Serbien ungarische Diplomatenautos gebraucht worden seien. 2019 wurde in einem nichtöffentlichen Gerichtsverfahren in Budapest die Auslieferung Gruevskis an Nordmazedonien abgewiesen, weil die notwendigen Bedingungen dafür nicht erfüllt gewesen seien.