Geopolitik

Asyl-Prozesse ziehen sich länger hin – Justiz überfordert | ABC-Z

Im Schnitt wird erst nach anderthalb Jahren über Klagen abgelehnter Bewerber entschieden. Dabei strebt die Politik drei Monate an. Zugleich sinkt die Zahl der Abschiebehaftplätze – und das, obwohl Bund und Länder eine Rückführungsoffensive versprechen.

Gerichtsverfahren wegen abgelehnter Asylanträge ziehen sich in Deutschland immer weiter in die Länge. Nach Angaben der Bundesregierung dauerten entsprechende Prozesse in den ersten fünf Monaten des Jahres 2024 im Durchschnitt 18,7 Monate. Das geht aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion hervor, die WELT AM SONNTAG vorliegt.

Im November hatte eine Befragung des Deutschen Richterbundes unter Verwaltungsgerichten und beim Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Verfahrensdauer von durchschnittlich 17 Monaten ergeben. Am besten schnitt Rheinland-Pfalz mit 3,5 Monaten ab, am schlechtesten Brandenburg mit mehr als drei Jahren. Im Jahr 2022 lag der Wert im Bundesdurchschnitt noch bei 20 Monaten. Die Ziele der Politik zur Verfahrensdauer werden klar verfehlt.

Ende 2023 hatte sich die Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf das Ziel geeinigt, „das Asyl- und das anschließende Gerichtsverfahren jeweils in drei Monaten abzuschließen“. Der Richterbund teilte WELT AM SONNTAG mit, zwecks Zielerreichung „bräuchte es bundesweit etwa 500 zusätzliche Verwaltungsrichter“: „Auch eine weitere Konzentration von Asylsachen bei zentral zuständigen Gerichten könnte Verfahren beschleunigen.“ Der Verband forderte eine „Personaloffensive für die Verwaltungsgerichte“: „Geschieht hier nichts, droht die Justiz bei der Migrationssteuerung und Kriminalitätsbekämpfung zum Flaschenhals zu werden.“

Eine Sprecherin des Brandenburger Justizministeriums sagte, es habe einen „erheblichen Aufwuchs an Altbeständen“ aus dem Zeitraum 2015/2016 gegeben. Zuletzt wurden die Verwaltungsgerichte aber um rund 50 Prozent personell verstärkt, die Verfahrensdauer wurde auf 23,7 Monate reduziert – mit weiterer positiver Tendenz. Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) sagte WELT AM SONNTAG: „Die Beschleunigung von Asylverfahren kann allerdings nur dann Wirkung entfalten, wenn ablehnende Asylbescheide nach ihrer gerichtlichen Bestätigung auch umgesetzt werden können. Dies setzt voraus, dass eine Abschiebung in die Länder Syrien und Afghanistan, aus denen die meisten Asylbewerber stammen, ermöglicht wird.“

Weniger Plätze für die Abschiebehaft

Die Dauer von Asylhauptverfahren vor den hessischen Verwaltungsgerichten von 26,7 Monaten bis zur letztinstanzlichen Entscheidung begründet Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) mit noch nicht abgeschlossenen Fällen aus der Asylwelle 2015/16. Die würden die Verfahrensdauer im Bundesland überdurchschnittlich in die Länge ziehen. „Die meisten davon sind mittlerweile abgearbeitet. Bei den aktuellen Fällen hat sich die Verfahrensdauer daher deutlich verkürzt. Wir bündeln mittlerweile Asylverfahren bei den Verwaltungsgerichten Gießen und Darmstadt. Das bringt Tempo rein“, sagte Rhein WELT AM SONNTAG. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle seien 2017 allein in Hessen über 25.000 neue Asylklagen eingegangen.

Aus der Antwort der Bundesregierung geht auch hervor, dass die Anzahl der Abschiebehaftplätze trotz angekündigter Abschiebeoffensive wieder gesunken ist – seit März von 800 auf 790. AfD-Innenpolitiker Gottfried Curio kritisierte den Rückgang als „völlig unverständlich“. Eine Reihe von Bundesländern verfügt generell oder aktuell über gar keine entsprechenden Haftplätze. In Berlin gibt es theoretisch zehn Abschiebehaftplätze für Gefährder – zurzeit sind sie aber nicht nutzbar. „Die Einrichtung ist derzeit geschlossen und wird bei gleichbleibender Zahl der Plätze saniert“, erklärt die Senatsverwaltung für Inneres.

Bayern will die bestehenden 262 Haftplätze um „weitere 100 Haftplätze für Abschiebungsgefangene sowie 100 Haftplätze, die abhängig vom Bedarf variabel für den Vollzug von Abschiebungshaft oder von Straf- und Untersuchungshaft genutzt werden können“ aufstocken, wie ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums sagte. In NRW ist ebenfalls die Schaffung weiterer Haftplätze in einer zweiten Abschiebehaftanstalt geplant. „Wir halten in Hessen ausreichend Abschiebehaftplätze vor und schieben konsequent ab, die Zahlen steigen“, sagte Ministerpräsident Rhein zu den 80 Plätzen im Land. „Wir würden gerne noch mehr abschieben, brauchen dafür aber die Rückführungsabkommen.“

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