Aschaffenburg: Scholz kritisiert „Vollzugsdefizite bei den bayerischen Behörden“ – Reaktionen im Überblick | ABC-Z
Die Messerattacke von Aschaffenburg bringt die Debatte um Ursachen und mögliche Folgen in Fahrt. Bundeskanzler Scholz und Innenministerin Faeser machen Bayern verantwortlich. Polizeigewerkschafter Manuel Ostermann sagt: „Ich habe die Nase gestrichen voll von dieser politischen Rhetorik.“
Nach der Messerattacke in Aschaffenburg, bei der ein 28-jähriger Afghane einen zweijährigen Jungen und einen 41-jährigen Mann getötet haben soll, haben zahlreiche Politiker reagiert. WELT bietet hier den Überblick:
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigt sich nach der Gewalttat „betroffen, empört, erschrocken“ – und macht die bayerischen Behörden verantwortlich. Seine Regierung habe bereits viel getan in der Asylpolitik, betonte er am Donnerstag. Aber: „Es gibt offensichtlich Vollzugsdefizite, insbesondere in diesem Fall bei den bayerischen Behörden, die ein großes Problem sind.“ Die Zahl der nach Deutschland kommenden Menschen müsse reduziert werden. Aber er werde es „nicht akzeptieren, dass diejenigen, die ihre Aufgaben machen müssen, jetzt davon ablenken“.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wies Kritik aus Bayern am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zurück. „Offenbar sind in Bayern einige Dinge schiefgelaufen“, sagte sie mit Blick auf den ausreisepflichtigen afghanischen Tatverdächtigen. „Deswegen finde ich die Reaktion der Bayern befremdlich.“ Die bayerischen Behörden müssten erklären, warum der Verdächtige noch auf freien Fuß gewesen sei.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte dem Bamf zuvor unterstellt, versagt zu haben. Die am 19. Juni 2023 im Dublin-Verfahren angeordnete Abschiebung des tatverdächtigen Afghanen nach Bulgarien sei den für diese Abschiebung zuständigen bayerischen Behörden verspätet mitgeteilt worden, sagte Herrmann in München. Damit sei die Frist, innerhalb derer die Abschiebung hätte vollzogen werden müssen, so weit fortgeschritten gewesen, dass eine Abschiebung nicht mehr möglich gewesen sei.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) kritisiert in scharfen Worten das Versagen der Politik in der Migrations- und Asylpolitik. „Der Bundeskanzler selbst hat ja gesagt, dass er die Nase gestrichen voll hat von diesen Nachrichten. Dann soll der Bundeskanzler auch endlich handeln! Ich habe mittlerweile die Nase gestrichen voll von diesen politischen Rhetoriken und keine Maßnahmen dahinter“, sagte der stellvertretende DPolG-Vorsitzende Manuel Ostermann WELT TV.
Ostermann verwies auf das nationale Recht und die Lage Deutschlands: „Jeder Asylantrag ist hier offenkundig unzulässig und die Person muss zurückgewiesen werden. Findet nicht statt. Die Ausweitung der Abschiebehaftplätze findet nicht statt. Die Zuständigkeitserweiterung der Bundespolizei findet nicht statt. Und ich könnte ewig so weitermachen.“ Zu den Forderungen des CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Friedrich Merz sagte Ostermann: „Friedrich Merz hat komplett recht. Aber jetzt ist die Stunde der harten Maßnahmen, der konsequenten Maßnahmen.“ Die Bundespolizei könne das leisten: „Wir warten darauf!“
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sprach in einem auf X veröffentlichten Video von einem „veritablen Staatsversagen in Deutschland“. Denn Aschaffenburg sei kein Einzelfall – es gebe ein Muster „aus Herkunft, Auffälligkeit, Ausreiseverpflichtung“. Deshalb fühlten sich viele Menschen in Deutschland unsicher und änderten ihr Leben – „und das darf nicht so sein“. Er sei „für ein weltoffenes und tolerantes Deutschland und wir brauchen auch qualifizierte Einwanderung. Aber das muss alles zu unseren Regeln stattfinden und darf nicht zulasten unserer Sicherheit gehen“.
Bundeskanzler Scholz hatte die Chefs des Verfassungsschutzes, des Bundeskriminalamts und der Bundespolizei noch am Mittwoch ins Kanzleramt beordert. „Wir werden diesen Fall schnell aufklären und die nötigen Konsequenzen ziehen. Jetzt“, schrieb Scholz auf X.
CDU-Chef Friedrich Merz forderte als Konsequenz aus der Gewalttat weitreichende Verschärfungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts. „Das Maß ist endgültig voll“, sagte der CDU-Chef in Berlin. „Wir stehen vor dem Scherbenhaufen einer in Deutschland seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl und Einwanderungspolitik.“ Er weigere sich anzuerkennen, dass Taten wie zuvor in Mannheim, Solingen und Magdeburg „die neue Normalität“ sein sollen. Die Menschen müssten sich sicher fühlen.
Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck kritisierte indirekt die bayerische Landesregierung von Markus Söder (CSU): „Die zuständigen Behörden in Bayern“ müssten „jetzt unverzüglich aufklären“, wie es zur Tat kommen konnte. „Der mutmaßliche Täter war offenbar vollziehbar ausreisepflichtig“, schrieb er auf Instagram.
AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel erneuerte ihre Aufforderung an die Union, mit ihrer Partei zusammenzuarbeiten. Auf der Plattform X forderte sie eine Abstimmung im Bundestag in der nächsten Woche über eine „Schließung der Grenzen und die Zurückweisung Illegaler“. CDU und CSU müssten Farbe bekennen. „Es darf keine Brandmauertoten mehr geben!“, schrieb Weidel – und unterstellte der Union damit eine Mitschuld an der Attacke in Aschaffenburg.
Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) forderte einen Wechsel in der Migrationspolitik. Er sei „erschüttert“, aber auch wütend, weil der Tatverdächtige nicht mehr in Deutschland hätte sein dürfen, sagte Rhein gegenüber „Ippen.Media“. Rhein kritisierte, dass es „exakt einen“ von der Bundesregierung organisierten Abschiebeflug für schwere Straftäter nach Afghanistan gegeben habe. Ein weiterer von der Bundesregierung für 2024 signalisierter Flug, für den das Land Hessen nach Aufforderung durch das Bundesinnenministerium „mehr als zehn schwere Straftäter“ benannt habe, sei nicht durchgeführt worden. Rhein forderte einen „kompletten Kurswechsel in der Migrationspolitik“.
jr/ll mit dpa