Politik

Armin Wagner: “Das Androhen von Nuklearschlägen kann hybride Kriegsführung sein” | ABC-Z

Armin Wagner
forscht am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der
Bundeswehr in Potsdam. Er hat sich intensiv mit Szenarien hochrangiger Militärs
beschäftigt, wie ein nächster großer Krieg aussehen könnte, im Kalten Krieg,
bis heute. In seinem Buch “ABC der Apokalypse” (Campus) beschreibt er, wie
Konflikte des Westens mit Russland und China in den Planspielen und
Science-Fiction-Romanen von Obersten und Generälen eskalieren. Im Interview
spricht er über die Idee der Abschreckung und warum hybride Attacken sich damit
nicht verhindern lassen.

DIE ZEIT: Russland hat in den vergangenen Wochen mit MiG-31-Jets
den Luftraum Estlands verletzt und Militärdrohnen nach Polen geschickt. Viele
sprechen nun davon, wir lebten erneut in einem Zeitalter des Kalten Kriegs. Wie
sehen Sie das?

Armin Wagner: Die Ausgangslage ist heute eine andere: Es gibt
nicht mehr nur zwei Supermächte. China spielt inzwischen eine andere Rolle als
noch im Kalten Krieg, die Regierung in Peking verfügt über erheblich mehr
Einfluss und Macht als damals. Für die USA ist China mittlerweile der
eigentliche Gegner, nicht mehr die Machthaber in Moskau. Das zeigt sich auch in
aktuellen Büchern von US-Militärs wie dem Ex-Admiral James Stavridis, die vor
allem den Indopazifikraum im Blick haben, weniger Osteuropa. Zudem beschreibt der
Begriff Kalter Krieg eine abgeschlossene Epoche. Ich würde daher auch nicht
vom “Neuen Kalten Krieg” sprechen, schon allein deshalb, weil die Konfrontation
zwischen der Nato und Russland heute zugespitzter ist als damals.

ZEIT: Die Machthaber im Kreml haben dem Westen in den
vergangenen Jahren mehrfach mit Nuklearwaffen gedroht. Das erinnert doch sehr an
den Kalten Krieg.

Wagner: Damals existierten auf beiden Seiten
hochkomplexe Nuklearstrategien. Der Einsatz von Kernwaffen war für die Militärs
durchaus vorstellbar, diente aber in erster Linie als rhetorisches Instrument.
Besonders wichtig für sie war die sogenannte Zweitschlagfähigkeit, also die
Möglichkeit, den Gegner noch mit von U-Booten abgefeuerten
Interkontinentalraketen zu vernichten, selbst wenn dieser seine
Nuklearsprengköpfe eingesetzt hatte. Für die Glaubwürdigkeit der eigenen Atommacht
war das entscheidend, so sahen es zumindest die Nuklearstrategen. Dahinter
steckt eine in ihrer Konsequenz kaum erträgliche Logik: Man muss den Feind auch dann treffen
können, wenn wir selbst schon getroffen wurden. Letztlich diente dieses
Gleichgewicht des Schreckens der Abschreckung eines Angriffs. Wir wissen heute:
Die Russen hätten auf dem europäischen Schlachtfeld real vermutlich sehr
schnell Atomwaffen eingesetzt, das war von vornherein eingeplant. Aktuell erleben
wir eher ein russisches “Spiel” mit der Atomwaffe. Russland droht zwar, aber
ich sehe derzeit nicht, dass die Machthaber im Kreml bereit wären, solche
Massenvernichtungsmittel tatsächlich einzusetzen. Stattdessen erleben wir einen
Konflikt, der zunehmend hybrid geführt wird.

ZEIT: Welche Strategie steckt hinter den hybriden
Attacken?

Wagner: Wladimir Putin geht es nicht darum, den Westen
physisch zu vernichten. Sein Ziel ist vielmehr, die westlichen Gesellschaften
zu unterwandern, die Glaubwürdigkeit ihrer Regierungen zu erschüttern sowie die
gesellschaftliche Standhaftigkeit und Resilienz zu untergraben. Das erreicht sein
Regime eher durch Desinformation, den Einsatz von Saboteuren und das Provozieren
der Nato mit Drohnen. Das Androhen von
Nuklearschlägen kann Teil solcher hybriden Kriegsführung sein.

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