Wirtschaft

Ärger um Energie-Insel – hier zeigen sich Europas Zweifel an der Windkraft | ABC-Z

Die Zeitenwende beim Windstrom wird immer offensichtlicher. In Belgien explodieren die Kosten für die weltweit größte künstliche Energie-Insel auf sieben Milliarden Euro. Jetzt hat der Betreiber die Reißleine gezogen – und Europas Hadern mit seiner Energiewende wird lauter.

Erst Vollgas, dann Vollbremsung. Noch vor wenigen Wochen standen die Signale für Belgiens ehrgeizigstes Energievorhaben auf grün. Alles schien glatt zu laufen beim Projekt „Princess Elisabeth“, ein System aus drei Offshore-Windparks 45 Kilometer vor der belgischen Küste. Erst Mitte November hatten die Behörden die Unterlagen zur Versteigerung der Betreiberlizenzen an potenzielle Bewerber herausgeschickt. Im Vorfeld hatten auch deutsche Firmen wie RWE, EnBW oder BASF Interesse erkennen lassen.

Keine zwei Wochen später jedoch stoppte der Transportnetz-Betreiber Elia Transmission Belgium (ETB) überraschend bis auf Weiteres die Investitionen in den Bau einer künstlichen Insel, das Zentrum und Maschinenhaus des ganzen Systems. Wie eine Spinne im Netz soll das wohl bisher größte Energie-Eiland aus Menschenhand nach den Plänen die drei gigantischen „Princess Elisabeth“-Windparks untereinander verbinden, für die Kopplung mit dem Festland-Netz sorgen, Leitungen nach Großbritannien und Dänemark sicherstellen und die Energie mithilfe sogenannter Konverter in Gleich- oder Wechselstrom transformieren.

Das ist Zukunftsmusik, aber seit dem vorläufigen Baustopp schwebt über dem gesamten Projekt ein Fragezeichen. Auch in anderen europäischen Ländern häufen sich Verschiebungen und Absagen von Offshore-Windprojekten. Dabei hatten ehrgeizige Ausbauziele der EU zuvor eine Art Euphorie ausgelöst, von einem bevorstehenden „Wirtschaftswunder an der Küste“ war die Rede.

Bis zur Mitte des Jahrhunderts sollen die stählernen Offshore-Riesen 300 Gigawatt Leistung bereitstellen. Das entspricht rechnerisch ebenso vielen konventionellen Großkraftwerken, allerdings mit deutlich geringerer Zeitverfügbarkeit. Dennoch: Die Offshore-Windkraft sollte das Rückgrat der europäischen Stromerzeugung werden – und soll es immer noch.

Doch seit Monaten wachsen Zweifel. Politische, technische und wirtschaftliche Widerstände kommen zusammen und verdichten sich zu einem düsteren Bild. Wie ein böses Omen wirkte kürzlich eine enorme Kostenexplosion bei der belgischen Energie-Insel. Der bereits im Gang befindliche Bau von „Princess Elisabeth Island“ soll sich nach den jüngsten Einschätzungen auf mehr als sieben Milliarden Euro verteuern, gegenüber ursprünglich geplanten 2,2 Milliarden.

Dazu kommen technische Probleme beim Bau und Betrieb der Anlagen sowie Engpässe an vielen Gliedern der langen Lieferkette. Gleichzeitig organisieren Umweltschützer Widerstand, die sich sorgen, inwieweit das Ökosystem Nordsee das unablässige flächendeckende Vordringen der energetischen Großtechnik verkraften kann.

Entscheidend könnte jedoch der wachsende politische Gegenwind sein. Die EU-Wahl im Juni vergangenen Jahres und eine Serie nationaler Wahlen haben Kräfte gestärkt, die den erneuerbaren Energien wenig zugeneigt sind. In Belgien etwa ist das Ergebnis der Parlamentswahl im Juni samt der landestypisch langwierigen Regierungsbildung klarer Auslöser des Insel-Baustopps.

Wiederbelebte belgische Kernkraft möglich

Denn ETB-Chef Frédéric Dunon begründete den vorläufigen Stopp damit, dass der Stromkonzern während der immer noch laufenden Regierungsbildung in Brüssel keine unumkehrbaren Fakten für die Energiezukunft des Landes schaffen wolle – obwohl das Projekt „Princess Elisabeth“ bisher gut vorankomme. „Alle Verträge mit den Lieferanten sind ausverhandelt und wir sind bereit, die Aufträge zu vergeben“, betonte er.

Aber die Entscheidung über den besten Weg zur Verringerung der Emission von Treibhausgasen sei nun mal Sache der Politik, nicht des Unternehmens. Schließlich gebe es mehrere „Alternativen zur Rückführung der Kohlendioxid-Emissionen“, gab Dunon zu bedenken.

Damit spielte er auf die wiederbelebte Kernkraft-Option an. Belgien hatte sich bereits unter der liberalen Regierung des scheidenden Ministerpräsidenten de Croo für eine Verlängerung der Laufzeit von zwei Reaktorblöcken um zehn Jahre entschieden. Inzwischen werden auch Neubauten – sehr kontrovers – diskutiert.

Eine milliardenschwere Festlegung auf die Windkraft zum jetzigen Zeitpunkt würde jeder künftigen Regierung den Entscheidungsspielraum nehmen. Bei dem wahrscheinlichen künftigen Premier Bart De Wever, dem Vorsitzenden der flämisch-nationalen Partei N-VA, käme das voraussichtlich nicht so gut an.

Auch in den Niederlanden spürt die Offshore-Branche politische Bremsmanöver nach einem Rechtsruck. Während die belgische N-VA Windkraft nicht rundheraus ablehnt, leugnen die niederländischen Nationalisten der „Partei für die Freiheit“ (PVV) des Wahlsiegers Geert Wilders den Klimawandel im Allgemeinen und beäugen gerade die Windkraft skeptisch.

Erst vor wenigen Wochen kippten die neuen Regenten in Den Haag das niederländische Ziel, in den nächsten 15 Jahren vor der Küste Windräder mit einer Leistung von 50 Gigawatt zu bauen. Der Plan müsse vor dem Hintergrund neu justiert werden, dass 2040 mehr Kernkraft zur Verfügung stehe, lautete die Begründung auch hier.

In Deutschland mehren sich ebenfalls skeptische Stimmen. So schätzt der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, die Windkraft lediglich als „Übergangstechnologe“ ein. „Ich glaube sogar, dass wir, wenn wir etwas richtig machen, eines Tages die Windkrafträder wieder abbauen können, weil sie hässlich sind und weil sie nicht in die Landschaft passen“, sagte Merz kürzlich in der ZDF-Talkshow von Maybrit Illner.

Schweden beendete Offshore-Projekte

Das Statement war zwar auf Rotoren an Land gemünzt, verschreckte aber die Branche insgesamt. „Das macht uns Sorgen, wir waren alle überrascht“, klagte Giles Dickson, Chef der Branchenlobby WindEurope, in einer Video-Stellungnahme. Immerhin bestehe Hoffnung. Ein Blick ins Parteiprogramm der Union zeige einen differenzierteren Ansatz.

Allenthalben werden in Europa Projekte mit unterschiedlichen Begründungen verzögert oder gestoppt. Schweden verwarf Anfang November das Vorhaben, 13 große Windkraftwerke in der Ostsee zu errichten, fast vollständig. Nur ein einziger Rotor darf gebaut werden. Verteidigungsminister Pål Jonson machte Sicherheitsbedenken geltend.

Die hoch aufragenden Masten und Rotorflügel würden die Entdeckung und Vernichtung von gegnerischen Drohnen und anderen militärischem Fluggerät an der Ostküste des Landes erschweren, hieß es.

Die dänische Regierung wiederum verschob im Sommer 2024 die Fertigstellung einer ähnlich ehrgeizigen „Energieinsel“, wie sie vor der belgischen Küste entstehen soll, um drei Jahre auf 2036. Im Dezember endete eine Ausschreibung für drei große dänische Windparks mit zusammen drei Gigawatt Leistung überraschend. Die Zahl der Bieter betrug: null. Ein schwerer Rückschlag für das Mutterland der Offshore-Windenergie.

Es ist ein weiterer Mosaikstein in einem Gesamtbild, das Zweifel an der Realisierung der EU-Strategie im Rahmen des „Green Deal“ weckt. Danach stelle die Windkraft auf hoher See keine Zwischenlösung dar, sie sei vielmehr die Lösung. Deshalb sollten bis zur Mitte des Jahrhunderts gigantische 800 Milliarden Euro in Offshore-Windmühlen fließen.

Doch plötzlich haben es Unternehmen nicht mehr so eilig, auf den Trend aufzuspringen. „Unsere Wasserstoff-Ausbauziele haben weiterhin Bestand, werden aber voraussichtlich etwas mehr Zeit benötigen als ursprünglich geplant“, sagte ein Sprecher des Energiekonzerns Uniper gegenüber WELT.

Das Düsseldorfer Unternehmen, früher ein Teil des E.on-Konzerns und wichtigster Player im Gasgeschäft mit Russland, sucht zwar dringend Anschluss an die neue Energie-Welt. Ursprünglich wollte Uniper deshalb bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts draußen im Meer über Windräder mit einer Leistung von zumindest einem Gigawatt verfügen. Doch nun darf es gerne auch ein paar Jahre später sein. „Wir gehen von den frühen Dreißigerjahren aus“, sagt der Sprecher.

Die größten Windräder kommen heute aus China

Dabei machen Verfechter des Offshore-Konzepts zahlreiche Vorteile geltend. Dank der großflächigen Vernetzung könne die regional unterschiedliche Intensität von Erzeugung und Verbrauch von Strom leichter ausgeglichen werden. Das würde helfen, das Netz auszubalancieren und so die eigentliche Schwachstelle der erneuerbaren Energien in den Griff zu bekommen.

Denn während auf der einen Seite oft Flaute herrscht, wenn der Strombedarf hoch ist, können auf der einen Seite große Mengen Energie zur Unzeit anfallen. Auch hier bietet Offshore einen Lösungsansatz: Würde die Elektrizität in diesen Phasen unmittelbar zur Wasserstoff-Erzeugung eingesetzt, hätte man Energie in speicherbarer und transportfähiger Form. Allerdings zu kaum abschätzbaren Kosten.

Dabei laufen die Ausgaben schon jetzt aus dem Ruder. Zugleich erschweren physische Engpässe die planmäßige Umsetzung der Vorhaben – ob Spezialschiffe für die Installation der Türme und Nebenaggregate, ob Serviceschiffe für Monteure oder ob es um die Lieferung der unverzichtbaren Konverter geht. Die Knappheit wirkt preistreibend. „Über die gesamte Lieferkette herrscht Inflation“, stellt ein Brancheninsider fest. Geeignetes Personal für die Bedienung der anspruchsvollen Anlagen draußen auf dem Meer zu finden, sei eine zusätzliche Herausforderung.

Das Beispiel Deutschland zeigt, wie groß die Dynamik ist. Momentan verfügt das Land über eine Offshore-Kapazität von rund 8,6 Gigawatt (GW). Für deren Errichtung hat man 15 Jahre gebraucht, im Schnitt kamen also knapp 0,6 GW pro Jahr hinzu. Im Jahr 2030 sollen nach den geltenden Vorgaben des Bundes 30 GW angeschlossen sein – also zusätzlich gut 21 GW binnen fünf bis sechs Jahren. Das entspricht, konservativ gerechnet, einer Versechsfachung der jährlichen Zubau-Leistung.

Immerhin könnte die Weiterentwicklung der Technik helfen. Europäische Hersteller wie Siemens Gamesa oder Vestas stellen inzwischen gewaltige Maschinen mit einer Leistung bis zu 15 Megawatt pro Stück her – noch vor wenigen Jahren war das unvorstellbar. Jeder Mast dieser Anlagen ist ähnlich hoch wie der Eiffelturm, jedes Rotorblatt an die 120 Meter lang.

Doch es geht noch mehr. Chinesische Hersteller bieten bereits Anlagen mit knapp 19 Megawatt Leistung und haben damit Erfolg auch in Europa. So unterzeichnete die Hamburger Finanzfirma Luxcara einen Vorvertrag mit dem chinesischen Hersteller Mingyang, um den geplanten Nordsee-Windpark Waterkant ab 2028 mit mehreren Dutzend seiner Maschinen auszustatten.

Ob die Rechnung betriebswirtschaftlich aufgeht, bleibt abzuwarten. Volkswirtschaftlich sehen Pessimisten Parallelen zur Geschichte der Solarbranche. Kurz nach der Jahrtausendwende wähnte Deutschland sich auf dem Weg zum Weltmarktführer der Photovoltaik. Wenig später mussten Hoffnungsträger wie Solarworld aufgeben, bezwungen von einer dynamisch wachsendem und hoch subventionierten Konkurrenz aus China.

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