Wirtschaft

Argentiens Ministerpräsident Javier Milei im Circus Maximus | ABC-Z

„Hola todos!“, röhrt Javier Milei. Die Menge johlt zurück. Aufgesprungen sind die gut zweitausend meist jungen Leute von ihren Klappstühlen im beheizten Großzelt ohnedies schon. Vorgestellt hat den argentinischen Präsidenten kurz zuvor Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni: als „Freund von weit her, der eine echte Kulturrevolution angestoßen hat in einem Land, das Italiens Schwesternation ist“. Und weil die Vorfahren der Mileis einst aus der süditalienischen Region Kala­brien nach Argentinien ausgewandert waren, verlieh Meloni am Wochenende Milei sowie dessen Schwester Karina, die ihren Bruder auf allen wichtigen Reisen und zu allen wichtigen Anlässen zu begleiten pflegt, im Schnellverfahren die italienische Staatsangehörigkeit.

Kaum hat Milei die Bühne betreten und seine Gastgeberin innig umarmt, skandieren die Leute „Libertà! Libertà!“. Schauplatz des Auftritts von Milei ist das Atreju-Festival, das die Jugendorganisation von Melonis rechtskonservativer Partei Brüder Italiens jedes Jahr ausrichtet. Die Veranstaltung gibt es seit 1998, angeregt von Meloni selbst, die seinerzeit im Alter von 21 Jahren die Kaderschmiede der Partei führte. Außerdem war Meloni damals begeisterte Leserin von Michael Ende: Nach dem Protagonisten Atréju aus Endes 1979 erschienenem Welt-Bestseller „Die unendliche Geschichte“ ist das Debattenfestival benannt. Michael Ende hatte sich Anfang der Siebzigerjahre in eine Art Exil nach Genzano di Roma zurückgezogen, weil ihn die deutsche Literaturkritik – vorab Marcel Reich-Ranicki, der langjährige Literaturchef dieser Zeitung – als Fantasy-Leichtgewicht geächtet hatte. In Genzano, südöstlich von Rom, verfasste der Autor auf Deutsch seine erfolgreichsten (Jugend-)Romane, die im kaum dreißig Kilometer entfernten Arbeiterviertel Garbatella von einer ehrgeizigen jungen Römerin in italienischer Übersetzung verschlungen werden sollten.

Der Aufstieg des Atreju-Festivals

Über Jahrzehnte war Melonis Atreju-Festival ein Treffen der (rechten) Schmuddelkinder, isoliert und belächelt vom (linken) Kultur- und Politbetrieb. Was würde wohl Michael Ende, selbst von den Präzeptoren des Mainstreams ausgestoßen und dennoch so (erfolg-)reich wie kaum ein anderer Autor seiner Generation, heute zum unerhörten Aufstieg seiner italienischen Leserin der ersten Stunde sagen? Aber das ist eine andere phantastische Geschichte, die sich freilich bei Gelegenheit zu erzählen lohnte.

Jedenfalls ist das Atreju-Festival seit dem Machtantritt der Mitte-rechts-Koalition Melonis vor gut zwei Jahren zur maßgeblichen Ideenbörse und Debattenplattform Italiens geworden. Dazu passt, dass man als Ort der Veranstaltung mit fast 400 Gästen aus Politik und Kultur, aus Italien und aus dem Ausland den Circus Maximus ausgewählt hat, mit Weihnachtskrippe, Budenzauber und Kunsteisbahn. Titel des einwöchigen Festivals, das am Sonntag zu Ende ging: „Der italienische Weg. Konkrete Antworten auf eine Welt im Wandel“.

Auftritt wie ein Erweckungsprediger 

Ohne Aufwärmphase bringt Stargast Milei den Genius Loci zum Schwingen und das Zelt auf dem Gelände des Circus Maximus zum Kochen. Sein Auftritt ist der eines Globalgladiators der Freiheit, eines Erweckungspredigers der rechten Internationalen, der einen kompletten Dekalog für den libertären Kulturkampf mitgebracht hat. „Wir sind in allem besser als die Linke“, ruft Milei und erinnert daran, dass man ihm und Meloni gleichermaßen ein frühes Scheitern prophezeit habe. „Trotz aller Widrigkeiten ist meine Regierung seit einem Jahr im Amt. Und bei Meloni sind es mehr als zwei Jahre – mit Ergebnissen, die in vielen Bereichen die Erwartungen weit übertreffen!“ Die Linke aber sei „ein Kult der Macht“, fährt Milei fort: „Sie würde lieber in der Hölle regieren als im Paradies dienen. Und wenn sie das Paradies in die Hölle verwandeln müsste, nur um an der Macht zu bleiben, würde sie es umstandslos tun.“ Deshalb müssten die Rechten in aller Welt den globalen Sozialismus kompromisslos bekämpfen „wie in einer römischen Phalanx, deren Formation niemand durchbrechen kann“. Weil aber „Angriff immer die beste Verteidigung ist“, dürfe man sich nicht in die Defensive drängen lassen: „Wenn wir unsere Überzeugungen verleugnen, nur um ein paar Wählerstimmen zu bekommen, stehen wir früher oder später ohne Überzeugungen und ohne Stimmen da.“

Weitere der Zehn Gebote Mileis lauten: Es ist besser, eine unbequeme Wahrheit zu sagen als eine bequeme Lüge. Es ist sinnlos, die Wahrheit zu versüßen. Wenn man etwas Bitteres schlucken muss, ist es besser, alles auf einmal zu schlucken. Und so weiter.

Die enthusiasmierte Menge bejubelt Milei sogar dann noch, als der Gast aus Argentinien Lenin zitiert. Der sei „zwar ein Linker gewesen“, habe aber bekanntlich gewusst: „Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Bewegung geben.“ Deshalb brauche es jetzt „eine Internationale der Rechten“ mit einer libertären revolutionären Theorie. „Denn wir erleben einen epochalen Wandel“, ruft Milei. Seine Rede in Rom beschließt Milei mit der üblichen Formel, herausgepresst im gutturalen Bariton: „Viva la libertad, carajo!“ (Es lebe die Freiheit, verdammt noch mal). Donald Trump hat Milei und Meloni zu seiner Amtseinführung am 20. Januar 2025 eingeladen. Die beiden haben zugesagt, heißt es. In gut einem Monat wird man auf der National Mall in Washington, D.C. die amerikanische Version des argentinischen Kampfrufes der Internationalen Rechten hören.

Back to top button