Kultur

Architekturbiennale in Venedig: Die Intelligenz nachwachsender Baustoffe | ABC-Z

So viele pilzartige Raumgewächse stehen herum, so vielen amöbenhaften Objekten kann man jetzt in Venedig über ihre porösen Oberflächen aus irgendetwas Erdigem oder Recyceltem streichen. Auch durch eine „Kapelle“ lässt sich laufen, deren hübsch zwischen Hell- und Tarngrün changierende Rippenbögen aus Elefantendung geformt sind. Zwischen den mächtigen Säulen des Arsenals, deren bröckelnder Putz darauf hinweist, dass die große Zeit der historischen Schiffswerft eher in der Vergangenheit liegt, ist ein rhizomartiges Textildach gespannt. Etwas blitzt in ihm auf: elektrische Fäden, sozusagen Nervenbahnen. Welche Informationen da wohl gerade durch das Nervensystem schießen?

Jetzt eröffnet die Architekturbiennale in Venedig, die 19. Ausgabe dieses internationalen Riesenevents ist es. 750 Aus­stel­le­r:in­nen hat der leitende Kurator Carlo Ratti unter dem Titel „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“ im Arsenal versammelt – Architekturbüros, Recherchegruppen und viele Firmen. Rund 60 nationale Pavillons nehmen teil. Massenhaft zwängen sich die Aus­stel­le­r:in­nen in die Lagunenstadt für diesen eigentlich antiquierten, aber seit Jahrzehnten gut ge­ölten Wettbewerb um Aufmerksamkeit auf der Weltbühne der Kunst und Architektur. Russland ist nicht dabei, sein Pavillon in den Giardini steht leer. Auch Israel nimmt nicht teil. Es heißt, sein Pavillon müsse restauriert werden. Einige große Konflikte auf dem Globus werden hier jetzt einfach ausgeblendet.

Der Regen strömt in Venedig am ersten Tag der Presseeröffnung, der helle Fassadenstein von Andrea Palladios San Giorgio Maggiore verschwindet in den tiefen, grauen Wolken, der Fischmarkt an der Rialto-Brücke ist vom Canal Grande überflutet. Der Klimawandel und sein unberechenbares Wetter finden vor der elegant dahinrottenden Kulisse dieser Stadt ein schauderhaft schönes Schauspiel. Venedig könnte im Jahr 2100 schon um 75 Zentimeter im Wasser versunken sein, heißt es in einem Bericht des Welt­klima­rats IPCC. An dem orientierte sich auch Carlo Ratti. Die Klimakrise ist das eigentliche Thema seiner Schau.

Das 1,5-Grad-Ziel ist bei Ratti passé, so wie ohnehin internationales Recht oder politische Einigungen, wie der Krise zu begegnen sei, kaum eine Rolle spielen auf dieser Architekturschau. Hier sind wir wohl in der multipolaren Welt angekommen. Stattdessen setzt Ratti auf das architektonische Objekt als Problemlöser. Ein total hybrides Objekt, geschaffen von Firmen, durch Technologie und KI-generiertem Wissen aus der Natur. So erklären sich die Baustoffe aus Fasern der Bananenpflanze oder bakteriell recycelten Kunststoffen, die der 3D-Drucker wieder in Form einer Insektenwabe ausspuckt, die künstlichen Austernriffe, die Bäume als mitwachsender Baustoff, die es hier so viel gibt. „Echte Intelligenz ist überall zu finden“, sagt Ratti auf einer Pressekonferenz. „Konfrontiert mit einer brennenden Welt, müssen wir in der Architektur jegliche Intelligenz nutzen, die uns umgibt.“

Architekturbiennale

19. Architekturbiennale Venedig, bis 23. November

Architekt Ratti, geboren 1971 in Turin mit Büros ebendort sowie in New York und London leitet auch das Senseable City Lab am renommierten Massachusetts Institute of Technology in den USA. Er entwarf das zweitgrößte Hochhaus in Singapur mit, in dessen fließend sich öffnende Fassade er hoch über der Stadt Kleinwälder anpflanzen ließ, und er konzipierte mit Techgiganten wie Uber Datenstudien zur Nutzung städtischer Räume. Dass er mit seinem wenig politischen Technikoptimismus zum Hauptkurator dieser großen Architekturschau ernannt wurde, hat vielleicht auch was mit dem neuen Biennale-Leiter Pietrangelo But­ta­fuo­co zu tun, der bereits bei Rattis Ernennung Anfang 2024 mitreden konnte. Der ehemalige TV-Journalist Buttafuoco steht der rechten Regierung von Giorgia Meloni nahe. Besser also nicht zu viel kritischen Geist in die Biennale lassen.

Dabei hat Ratti gleich zu Beginn der Ausstellung ein bisschen Gesellschaftskritik äußern lassen wollen: Das Rechercheunternehmen für Energietechnik Transsolar lässt nun in der ersten Halle des Arsenal zig ratternde Außenventilatoren von Klimaanlagen von der Decke hängen. Das ist furchtbar heiß und stickig. Der kühle Komfort für die einen drinnen, ist die Hitze für die anderen draußen, so die mahnende Message. Doch der thermische Schock wird nur zum schönen „Puff“, nachdem Ratti noch Michelangelo Pistoletto mit hinzuholte. Der ließ nun in der gleichen Halle ein geschwungenes Wasserbecken hineinstellen in jenen 75 Zentimetern Höhe des ansteigenden Wasserspiegels, die Wand – wie es der altehrwürdigen, mittlerweile 91 Jahre alte Künstler häufig macht – füllend mit einem riesigen Spiegel versehen. Nicht gewarnt vor einer „brennenden Welt“ betritt man dann die weitere Ausstellung, sondern vielmehr ästhetisch weichgestimmt.

Man weiß gar nicht, ob die beschworene Symbiose von Natur, Mensch und Technik utopisch oder dystopisch ist

Die Ausstellung wird im Folgenden vor allem zu einer Produktmesse. Und in ihren dramatisch abgedunkelten Hallen weiß man gar nicht so recht, ob die Welt, die darin als Symbiose von Natur, Mensch und Technik beschworen wird, eine utopische oder eine dystopische ist. Heatherwick Studio stellt eine Raumskulptur vor, aus der Formen wie Pfifferlinge herauswachsen. In deren transparenten, hydrierten Kappen wachsen Salate – und das auch im outer space. Hat nicht neulich noch Elon Musk Tomaten für den Weltraum züchten lassen?

Architekt Norman Foster hat mit dem Unternehmen Porsche zusammen einen Bootsteg entwickelt. Wie eine Schlange ragt der nun in den Kanal, deren Hülle aus Metallmodulen ihren Schuppen ähneln. Betritt man das kreatürliche Bauwerk, versprüht die Schlangenhaut Wasser, als sei man im Regenwald – oder eher in einem Luxusspa. Das erinnert dann auch daran, wie exklusiv es hier eigentlich zugeht, dass auf dieser Biennale zu kurz kommt, wer überhaupt Zugang zu diesen neuen, schönen, nachhaltigen Produktentwicklungen kriegen kann.

Neben dem Porsche-Steg lässt das Architekturbüro Diller Sco­fi­dio+Renfro das Kanalwasser von Venedig durch ein Klärsystem laufen, um daraus Espresso mit Venetian spice zuzubereiten. Da blubbert das trübe Nass in transparenten Bottichen auf vier Metern Höhe und tröpfelt langsam durch pfanzliche Filter. Aber so ganz will das am Tag der Presseeröffnung noch nicht klappen mit dem Espresso. „La merde“, hört man den Barrista fluchen. Ob das alles noch gutgeht, mit den Problemlösungen in der brennenden Welt?

Back to top button