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Archäologie: Verzierte Straußeneier in Spanien geben Forschern Rätsel auf – Wissen | ABC-Z

Auf einem weißen, mit Kunstlicht erhellten Tisch sortiert Violeta Moreno ein Häuflein Zähne. Daneben liegt ein Unterkiefer, eindeutig menschlich. „Anhand des Peptidgehalts im Gebiss wollen wir herausfinden, ob es sich um eine Frau oder einen Mann gehandelt hat“, sagt die Archäologin. Die Antwort auf diese Frage könnte ein weiteres Puzzleteil liefern, um Morenos eigentliche Forschungsobjekte zu verstehen. Diese liegen neben den menschlichen Überresten in einer Kiste. Es sind Eier. Teils bemalte, teils kunstvoll mit Ritzen verzierte Straußeneier.

Violeta Moreno von der Universität Sevilla untersucht verzierte Straußeneier. (Foto: Patrick Illinger)

Die Eier stammen aus vorchristlicher Zeit. Sie wurden verziert, lange bevor die Tradition der Ostereier entstand. Sie waren, so viel ist sicher, insbesondere zu Zeiten der Phönizier ein wertvolles, über den gesamten Mittelmeerraum hinweg gehandeltes Gut. Hunderte solcher Eier haben Archäologen in den vergangenen Jahrzehnten gefunden, in Afrika, in Mittelitalien, auf Ibiza und sogar im heutigen Belgien.

Auf einen der prominentesten Fundorte stießen am Anfang des 20. Jahrhunderts zwei Brüder namens Luis und Enrique Siret. Aus Flandern stammend waren die beiden Bergbauingenieure in Südspanien auf der Suche nach Bodenschätzen. Doch insbesondere Luis begeisterte sich auch für Archäologie. So kam es, dass er und sein später berühmt gewordener Grabungshelfer Pedro Flores auf der iberischen Halbinsel Dutzende Fundstätten aus vorchristlichen Jahrtausenden erkundeten.

„Wir vermuten, dass sie ein Symbol für Fruchtbarkeit und Wiedergeburt waren.“

In einer weitverzweigten Grabanlage neben dem heutigen Fischerörtchen Villaricos in der Provinz Almeria entdeckten Luis Siret und sein Helfer neben menschlichen Gebeinen insgesamt mehr als 700 Straußeneier. Die Nekropole mit ihren 1800 Gräbern liegt neben den Überresten der antiken phönizischen Handelsstadt Baria. Akribisch sortierten und dokumentierten die Hobbyarchäologen-Brüder ihre gefundenen Artefakte. In den 1930er-Jahren spendete Luis Siret seine gesamte Sammlung dem Archäologischen Nationalmuseum in Madrid.

Dorthin reist Violeta Moreno, die eigentlich an der Universität Sevilla forscht, wenn sie ihre Forschungsobjekte persönlich in Augenschein nehmen will. Im Kellerraum unterhalb des hochmodernen Museums versucht Moreno zusammen mit der Sammlungskuratorin Alicia Rodero, mehr über die Straußeneier herauszufinden. Über ihre Geschichte, über den Kult, der in vorchristlichen Jahrhunderten um sie betrieben wurde.

Manche der Eier von Villaricos sind vollständig erhalten, andere in Dutzende Splitter zerbrochen. „Wir könnten hier noch sehr viel Puzzlearbeit leisten“, sagt die Kuratorin. Als sicher gilt, dass die Eier von Villaricos als Grabbeilagen dienten. „Wir vermuten, dass sie ein Symbol für Fruchtbarkeit und Wiedergeburt waren“, sagt Violeta Moreno. Rätselhaft ist jedoch, wieso manche lediglich ein Loch haben, aus dem vermutlich Eiweiß und Dotter entfernt wurden. Andere sind kunstvoll, teils mit geometrischen, teils mit floralen Mustern verziert. Wieder andere wurden aufgeschnitten wie ein Frühstücksei und die Öffnung am Rand aufwendig mit Ritzungen versehen.

Die Bemalung soll den Forschenden verraten, woher die Eier stammen. (Foto: Patrick Illinger)

Einige besonders schöne Exemplare hat das Museum oben im Ausstellungsbereich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Darunter ist zum Beispiel ein Ei mit dem Muster einer roten Lotusblüte. „Die Bemalungen sind in den vergangenen Jahren intensiv studiert worden“, sagt Moreno, auch die von Eiern aus anderen Regionen des Mittelmeerraums. Dabei wurde oft angenommen, dass bestimmte Dekorationen spezifischen Kulturen zugeordnet werden können. Diese Methode sei jedoch problematisch, sagt Moreno, da Motive kopiert oder angepasst werden konnten. Auch migrierten Handwerker seinerzeit und gehorchten den Wünschen ihrer Herrschenden.

Um Ursprünge und die Handelswege der Eier zu verstehen, will Moreno einen anderen Weg gehen und herausfinden, mit welchen handwerklichen Methoden die Schalen bearbeitet wurden. Die Fundstücke aus Ibiza zum Beispiel sind mit Schlagwerkzeugen auf eher grobe Weise behandelt worden, hat Moreno festgestellt. Die Eier aus Villaricos wurden präziser geschnitten, „vermutlich mit einer Art Säge“, sagt die Archäologin. Auch die Färbemethoden der Schalen sollen Aufschluss geben: Wurden Säuren verwendet? Oder eher pigmenthaltige Farben?

Solche Erkenntnisse sollen erhellen, woher die Eier stammen, wie sie gehandelt wurden, welche Wege sie nahmen. Als gesichert gilt, dass viele von ihnen in Afrika ihren Ursprung nahmen. Doch gab es dort Straußen-Farmen, um die Eier quasi industriell zu gewinnen? Oder jagten die Menschen die Vögel, um ihre Nester zu räubern? Wurden die Eier schon vor Ort verziert oder als leere Schalen verschickt und erst in den Bestimmungsorten bearbeitet?

Dekorierte und nicht dekorierte Eier in einem Grab – was hat es damit auf sich?

All das sind offene Fragen. Sicher ist, dass Straußeneier ein begehrtes Handelsgut waren, insbesondere als die phönizischen Stadtstaaten am Ostrand des Mittelmeers von rund 1000 bis 600 vor Christus ihre Blütezeit erlebten. Nicht nur florierte damals der See- und Fernhandel von Kleinasien bis Ägypten, Assyrien, Griechenland und Babylonien. Auch gründeten die phönizischen Stadtstaaten zahlreiche Handelsniederlassungen im südlichen und westlichen Mittelmeerraum. Die Exportgüter reichten von Zedernholz, Textilien und Elfenbein bis Wein und Olivenöl. Und jeder Menge Straußeneier.

Einige Indizien lassen vermuten, dass die Eier als unbehandelte Schalen verschifft wurden, lediglich mit einem Loch versehen, durch das zuvor das Innere entfernt worden war. Auf einem Frachtschiff, das im 14. vorchristlichen Jahrhundert vor der heutigen Türkei gesunken war, fanden Archäologen einige undekorierte Straußeneier als Ladung. Demnach fügten vermutlich Handwerker in den Bestimmungsorten die Verzierungen hinzu. Dafür sprechen auch die unterschiedlichen Bearbeitungsmethoden der Eier von Ibiza und Villaricos.

Mancherorts dienten die Eier als luxuriöse Gebrauchs- oder Schmuckgegenstände. Doch habe die jüngere Forschung auch gezeigt, dass Straußeneier keine rein elitäre Sache waren, sagt Moreno. An ihrer Beschaffung, Bearbeitung und Verbreitung waren viele Gesellschaftsschichten beteiligt.

Dass die Eier von Villaricos, dem einstigen Baria, als Grabbeilagen dienten, „lässt eine sakrale Funktion vermuten“, sagt Violeta Moreno. Diese sei üblicherweise mit dem Glauben an eine Abwehr des Bösen verknüpft und einer Symbolik von Wiedergeburt, Lebensspende und Heilung.

Ob den Verstorbenen verschiedener Schichten unterschiedliche Eier auf die letzte Reise mitgegeben wurde, und ob Männer anders als Frauen bedacht wurden – das will Moreno anhand der Überreste im Archiv des Museums in Madrid herausfinden. Doch die offenen Fragen bleiben zahlreich. „Eines der größten Rätsel ist für uns: Warum befanden sich in ein und demselben Grab dekorierte und nicht dekorierte Eier?“, sagt Violeta Moreno.

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