Archäologie: Rätsel am Hadrianswall – welcher Römer trug diese Riesenschuhe? – Wissen | ABC-Z

Das einstige Römerlager Vindolanda am Hadrianswall ist immer wieder für erstaunliche Funde gut, die vom Alltag römischer Soldaten erzählen. Seit vielen Jahren werden dort zum Beispiel Holztäfelchen unter anderem mit persönlichen Briefen von Soldaten an ihre Familien ausgegraben. Zuletzt haben Forscher auch unflätige römische Graffiti entdeckt. 1992 wurde sogar ein mutmaßliches römisches Sexspielzeug entdeckt, das man aber offiziell zunächst als Nähwerkzeug verbucht hat; es durfte wohl einfach nicht sein, wonach es aussah.
Nun berichtet die Vindolanda-Stiftung erneut von einem beachtlichen Fund: Gut zehn Kilometer westlich von Vindolanda, nahe dem früheren Römerkastell Magna, haben Ausgräber eine gigantische Schuhsohle gefunden, 32,6 Zentimeter lang. Das entspräche ungefähr der europäischen Schuhgröße 50. Und sie war nicht die einzige.
Seit 2023 wird in Magna intensiv gegraben, denn Archäologen fürchten, dass sich wegen des Klimawandels die Bodenbeschaffenheit verschlechtert und Hitzeperioden und Starkregen zerstören, was seit fast 2000 Jahren in der Erde liegt. Sie versuchen zu bergen, was sie können. Dabei haben sie mittlerweile die Reste von 34 römischen Schuhen gesammelt. Ganze acht von diesen waren enorme 30 Zentimeter lang oder länger, sprich: Schuhgrößen 47 aufwärts. Die Schuhe lagen in einem Wassergraben, den die Römer zur Verteidigung angelegt hatten, den sie aber auch als Abfallgrube nutzten. Und die Verwunderung ist groß. Wer trug einst am Hadrianswall derart große Schuhe? Und warum so viele?
Die Archäologen dachten anfangs, es handle sich vielleicht um Winterstiefel zum Ausstopfen
Knochen von übergroßen Menschen wurden in der Region bislang keine aufgespürt. Allerdings sind Gebeine von Soldaten dort generell selten, weil die Römer ihre toten Kameraden meist verbrannten. Am Hadrianswall waren oft Hilfstruppen aus diversen Regionen des Reiches stationiert, in Magna unter anderem syrische Bogenschützen und Fußsoldaten vom Balkan und vom Niederrhein. Hünen waren das aber nicht unbedingt. Mitteleuropäer wurden früher nach Schätzungen im Schnitt etwa 1,65 Meter groß, Frauen erreichten Größen von etwa 1,53 Metern.
In genaue Schuhgrößen lassen sich solche Zahlen zwar nicht übersetzen, die individuellen Unterschiede sind groß. Doch Schuhe der Größe 50 bei 1,65 Metern Körpergröße wären außergewöhnlich. Wie sehr, zeigt der Vergleich mit Vindolanda: Dort wurden Tausende römische Lederschuhe ausgegraben, mit Durchschnittslängen zwischen 24 und 26 Zentimetern. Nur 0,4 Prozent dieser Schuhe erreichen die 30-Zentimeter-Marke. In Magna dagegen ist es fast ein Viertel der entdeckten Schuhe.
Was war da los? Anfangs hätten sie vermutet, die Funde gehörten vielleicht zu extragroßen Winterschuhen, die man ausstopfte, sagte die Ausgrabungsleiterin Rachel Frame dem Sender CNN. Doch dann fanden sie immer mehr Reste von Riesenschuhen. Konnten das alles Winterstiefel sein? Die Vermutung der Forscher ist deshalb schlicht: In diesem Lager hatten einfach erstaunlich viele Menschen erstaunlich große Füße.
Der Name Magna, der ja so klingt wie das lateinische Wort für „groß“, leitet sich übrigens vermutlich vom keltischen „maen“ ab, das bedeutet „Felsen“. Das Römerlager wurde demnach nicht nach großen Füßen benannt.