Champions League Finale: Mailand oder Paris, Hauptsache nicht Spanien oder England | ABC-Z

Die Champions League soll abwechslungsreich sein, sonst
macht sie keinen Spaß. Zuletzt dominierten jedoch zwei Vereine den Wettbewerb.
Seit vier Jahren gab es kein Endspiel ohne Real Madrid oder Man City, seit drei
Jahren keinen anderen Sieger. Und seit 2014 gewannen immer Spanien oder
England. Die einzige Ausnahme war der FC Bayern, der allerdings 2020 von den
Bedingungen der Coronapandemie profitierte. Immer nur zwei, das wäre zu wenig
Diversität.
Am Samstag wird es in München einen anderen Sieger geben,
einen aus einem anderen Land. Paris St. Germain und Inter Mailand treffen
aufeinander. Frankreich gegen Italien im Finale, das passiert selten. Die Serie
A, einst die beste Liga der Welt, hat seit fünfzehn Jahren den Titel nicht
gewonnen, die Ligue 1 zuletzt 1993. In der Premierensaison der Champions League
besiegte Olympique Marseille, noch mit Rudi Völler, den AC Milan. Seitdem gab
es nur noch zwei Finals mit einem französischen Verein, AS Monaco verlor 2004,
PSG im Jahr 2020.
PSG hat Grundsätzliches verändert. Noch vor Kurzem leistete
sich der Club das Who’s Who der Offensive im Weltfußball. Das garantierte
maximale Aufmerksamkeit. Die katarischen Eigentümer haben ihre Eitelkeiten
offenbar genügend bedient, man kennt sie inzwischen in der Welt. Jetzt lassen
sie den Fachmann Luis Enrique machen.
Der Trainer setzt auf junge französische Fußballer mit
herausragenden Fähigkeiten und erzieht sie zum Mannschaftsspiel. Plötzlich
spielt die Elf organisiert zusammen, verteidigt diszipliniert, kombiniert
exzellent. Das ist schön anzusehen.
Ousmane Dembélé hat den größten Prozess durchlaufen. Der
Individualist handelt jetzt im Dienst der Mannschaft. Vom Flügel ins Zentrum
gerückt, entwickelt er als Torschütze und Vorbereiter permanent das
Offensivspiel. Eine wichtige Hilfe ist Chwitscha Kwarazchelia, der im Winter
dazustieß. Der georgische Außenstürmer erinnert mich aufgrund seiner
Kämpfernatur an meinen früheren Mitspieler Franck Ribéry.
Mehr Geld als die Konkurrenten im eigenen Land hatte PSG
ohnehin schon. Jetzt kommen noch Prinzipien hinzu, die den Teamsport Fußball
ausmachen: Coaching, gezielte Verstärkung des Kaders, Spielidee. Der Club wird
sein nationales Monopol weiter ausbauen, wovon er neuerdings Gebrauch macht. Es
erlaubt ihm den ersten Zugriff auf Talente aus Frankreich, bekanntermaßen
handelt es sich dabei um ein riesiges Reservoir. Diese privilegierte Situation
ähnelt der des FC Bayern. Dessen Identität besteht seit Jahrzehnten darin,
ungehindert die besten Spieler der Bundesliga zu verpflichten.
Inter erinnert mich an Chelsea 2012
Was PSG und Bayern noch verbindet: In der nationalen Liga
bleiben sie von Konkurrenz weitgehend verschont und damit von einem
Abnützungskampf wie in der Premier League. Selbst für Man City wurde es diesmal
knapp, Pep Guardiolas Elf musste zuletzt in Southampton und Fulham alles geben,
um Dritter zu werden. Dass PSG einmal die Champions League verpasst, ist
praktisch undenkbar. Beim FC Bayern war das zuletzt 2007 und ausnahmsweise der
Fall.
Nun zu Inter. Es freut mich, dass die Mannschaft zum zweiten
Mal in kurzer Zeit das Finale erreicht. 2023 half das Losglück, diesmal warf
die Mannschaft namhafte Gegner wie Bayern und Barcelona raus. Das hat sie
geschafft, weil sie alle Dinge des italienischen Fußballs beherzigt. Ihr
taktisches Niveau ist gut, sie spielt aus einem Guss, beherrscht die Kunst des
Verteidigens und geht mit ansteckender Leidenschaft zu Werke. Alle Mann hinter
den Ball, das Spiel kontrollieren und kontern, das ist das Rezept dieser reifen
Elf.
Auch das ist Mannschaftssport. So macht die Trutzburg Inter
viele Defizite wett, etwa den, dass ihr die Toptoptop-Fußballer fehlen.
Mailands Spieler holen alles aus ihren Möglichkeiten raus, weil sie spüren,
dass es ihre letzte Chance sein könnte. Inter erinnert mich an den FC Chelsea,
der diese gegen uns nutzte. Inter erinnert mich auch an Inter 2010, als sie uns
im Finale schlugen.
City und Real müssen diesmal also zuschauen. Pep Guardiolas
perfekt organisierte Maschine verlor im neunten Jahr die Inspiration. Alles hat
nun mal seine Zeit. Ich bin gespannt, ob er sie neu zusammensetzen kann. Und
Real gefiel mir schon im letzten Finale nicht, weil der Gegner fünf Mal alleine
aufs Tor zulief. Man konnte Carlo Ancelotti ansehen, dass ihn so was schmerzt.
Er, der die Champions League fünfmal gewonnen hat, so oft wie kein anderer,
verlässt Europa und geht nach Brasilien.
Auf der Bank nichts Neues
Ist die aktuelle Saison eine Ausnahme, bringt sie etwas
Neues von Dauer? Dass sich der Erfolg von PSG verstetigt, könnte ich mir
vorstellen. Mit dem alten Modell – Messi, Neymar, Mbappé – war der Club
mehrmals gescheitert. Nun ist es möglich, dass er gleich im ersten Jahr nach
dem Kulturwandel den Titel holt. Mit dem Stil von Inter wird man allerdings
nicht Seriensieger, von der italienischen Überlegenheit der Neunzigerjahre ist
das weit entfernt.
Aber es ist gut zu wissen, dass wenigstens alle fünf großen
Ligen eine Chance auf den Titel haben, und nicht nur zwei. Damit erfüllt die
Champions League die Mindestanforderung. Besser wäre es natürlich, wenn der
Rest von Europa auch mitmischen könnte.
Bei aller Abwechslung hat sich eine Sache nicht verändert.
Am Spielfeldrand werden am Samstag zwei Männer stehen, die ihr Handwerk
beherrschen. Die klaren Philosophien ihrer Heimatländer haben Simone Inzaghi
und Luis Enrique zu Größen der Trainergilde gemacht. Wie Carlo Ancelotti und
Pep Guardiola kommen sie aus Italien und Spanien.
Aufgezeichnet von Oliver Fritsch