Arbeit: Wer die Sechs-Tage-Woche leichtfertig einfordert, unterschätzt die Risiken | ABC-Z

Die Deutschen sollen mehr arbeiten, damit es wieder Wachstum gibt – so die Formel vieler Politiker. Dabei birgt eine Sechs-Tage-Woche vor allem Risiken. Es ist eine populistische Forderung eines Staates, dessen Schulden- und Rentenpolitik gerade die junge Generation am stärksten belastet.
Die These klingt erst einmal logisch: Deutschlands Wirtschaft schmiert ab. Und dass hierzulande immer weniger gearbeitet wird, macht alles nur noch schlimmer.
Der erste Punkt ist richtig, der zweite bestenfalls zum Teil. Denn in der aufgeheizten Debatte dient oft eine Statistik als Beweis, die von Politikern in erstaunlicher Regelmäßigkeit fehlinterpretiert wird. So liegt Deutschland bei der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit in den Industrieländern auf dem letzten Platz. Gerade einmal 1341 Stunden je Erwerbstätigem wurden 2022 geleistet; der OECD-Schnitt lag bei 1752 Stunden.
Für ein krisengebeuteltes und überalterndes Land, das trotz allem die drittgrößte Volkswirtschaft der Erde ist, scheint die Lösung für manche naheliegend: Es muss einfach wieder mehr gearbeitet werden. Am besten sechs statt fünf Tage. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) beispielsweise hält das für eine gute Idee und verweist auf das vermeintliche Vorbild Griechenland.
Was bei der Betrachtung unter den Tisch fällt: Die Teilzeitquote unter Frauen in Deutschland liegt bei 50 Prozent. Weil aber Frauen deutlich häufiger erwerbstätig sind als in anderen Ländern, senkt das den Durchschnittswert der geleisteten Stunden erheblich. Es stimmt also nicht, dass hierzulande besonders wenig gearbeitet wird. Andersherum erklärt: Würden alle Teilzeitbeschäftigten aufhören zu arbeiten, stünde Deutschland in der Statistik plötzlich weit oben.
Was stimmt: Tatsächlich ist seit den Neunzigerjahren die Arbeitszeit auch bei Vollzeitbeschäftigten rückläufig, jedoch nur leicht. Wir Deutschen arbeiten in der Tat etwas weniger als viele Nachbarn, gleichen das aber durch höhere Produktivität aus – zumindest bislang.
Jahrzehntelang war das die Erfolgsformel für die heimische Wirtschaft: Innovation, kombiniert mit einer hohen Wertschöpfung pro Kopf. Die ist immer noch deutlich stärker als andernorts, hat aber nachgelassen. Genau hier, und nicht in der Sechs-Tage-Woche, liegt der Schlüssel zum Aufschwung.
Vor allem der Staat ist nun in der Bringschuld. Dass die Produktivität in Deutschland stagniert, hängt schließlich auch damit zusammen, dass in den vergangenen Jahren fast ausschließlich Jobs im Öffentlichen Dienst und Gesundheitswesen boomen. Die Industrie hingegen hat seit Mitte 2023 mehr als 100.000 Stellen abgebaut. Kein Wunder, dass Produktivität und Bruttowertschöpfung pro Kopf in der Folge leiden.
Auch zunehmende Regulierung und Bürokratie sowie der Fachkräftemangel lähmen die Produktivität, weil sie Betriebsabläufe verzögern; die staatlich subventionierte Massen-Kurzarbeit, der Teilzeit-Boom und die zweifelhafte Rettung notorischer Pleite-Unternehmen tun ihr Übriges.
Die Fokussierung auf die Sechs-Tage-Woche hingegen setzt an der falschen Stelle an. Wer sie leichtfertig einfordert, unterschätzt die Risiken. Denn wie sieht ein typischer Samstag in Deutschland aus? Millionen, die freihaben, gehen ins Restaurant oder ins Fußballstadion, tanken ihre Autos voll und machen Ausflüge, fahren mit den Kindern ins Schwimmbad. Würde der Samstag kollektiv zum sechsten Arbeitstag, wären drastische Einbrüche bei den Konsumausgaben und damit der Mehrwertsteuer die Folge. Die Volkswirtschaft lebt aber eben auch davon, dass das Geld, das verdient wird, auch wieder ausgeben wird und nicht auf dem Sparbuch vor sich hin schlummert.
So lange ist es gar nicht her, dass es in Deutschland nur einen freien Tag pro Woche gab. Erst in den 1960er-Jahren setzte sich die Fünf-Tage-Woche durch. Dabei ist der Blick auf die Industriegeschichte lehrreich: Wer sechs statt fünf Tage arbeitet, leidet häufiger unter Stress und Belastung. Im schlechtesten Fall sinkt die Produktivität gar anstatt zu steigen, die Arbeit der Menschen wird fehleranfälliger. Zudem würde eine Rückkehr zu diesem Modell wohl auch dazu führen, dass die Zahl der Krankentage noch weiter ansteigt.
Fraglich ist zudem, ob die Menschen unter solchen Bedingungen länger über das Renteneintrittsalter hinaus arbeiten können und wollen. Dabei sind ältere Menschen der größte Hebel gegen den Fachkräftemangel. Echte Anreize, Beschäftigte so lange wie möglich im Arbeitsleben zu halten – auch mit nur wenigen Wochenstunden – hat die Politik lange nicht bloß versäumt, sondern gar sabotiert.
Stattdessen erfreut sich die Rente mit 63 weiterhin großer Beliebtheit und es sind vorwiegend eben nicht die viel zitierten Dachdecker, sondern eher gut situierte Beamte und Bankangestellte, die sich zu früh in den Ruhestand verabschieden. Einmal dort angekommen, ist eine Rückkehr an den Arbeitsplatz unwahrscheinlich.
Solange dieser Brain-Drain in die Rente nicht gestoppt wird, und gerade, weil die Finanzierung der als „Sondervermögen“ getarnten neuen Schulden auf die jungen Generationen abgewälzt wird, verbieten sich übergriffige Forderungen an diejenigen, die das außer Gleichgewicht geratene System noch über Jahrzehnte durch stets steigende Abgaben finanzieren müssen.
Nachdem die Einführung der Sechs-Tage-Woche in Griechenland im Sommer für einen Medien-Hype gesorgt hatte, ist es eher still um das Thema geworden. Verpflichtend ist die Ausweitung der Arbeitszeit ohnehin nicht, sondern wird mit hohen Zuschlägen honoriert. Bislang ist es ein Experiment mit offenem Ausgang. Valide Forschungsdaten liegen bisher nicht vor, dafür ist es zu früh.
Richtig bleibt jedoch: Wer freiwillig und ohne Druck von Vorgesetzten mehr arbeiten möchte, sollte dafür belohnt werden. In Deutschland stehen solchen Ansätzen jedoch oft starre Vergütungsmodelle im Weg; auch das Arbeitszeitgesetz ist alles andere als flexibel und gehört reformiert. Und zur Wahrheit gehört auch: Mit weniger Arbeit ist der Wohlstand nicht zu halten, die Träumereien von der Vier-Tage-Woche für alle sind genauso wenig zielführend wie die Forderung, auf sechs Tage aufzustocken.
Um das Ruder herumzureißen, muss Deutschland tatsächlich wieder mehr leisten. Der Schlüssel dazu liegt aber vor allem in einer höheren Produktivität – und die hängt von den Rahmenbedingungen ab. Die Liste der unerledigten Dinge ist lang.
Der erste sinnvolle Schritt wäre, eine bessere Kinderbetreuung umzusetzen. Bis heute gibt es trotz Rechtsanspruch kein ausreichendes Angebot, was die hohe Teilzeitquote erklärt. Dann braucht es mehr Investitionen in Bildung und neue Geschäftsmodelle, eine radikale KI-Offensive im Öffentlichen Dienst, bessere und vor allem leistungsgerechtere Bezahlung inklusive niedrigerer Lohnsteuer, weniger Staat und Bürokratie.
Der Weg dahin ist schwierig, schon klar. Die Chancen, dass die neue Bundesregierung hier die richtigen Akzente setzt, sind bestenfalls mittelhoch. Einfacher für Politiker ist es, mit dem Finger auf andere zu zeigen und mehr Leistung einzufordern. Solange das allerdings nicht mit verbesserten Bedingungen einhergeht, bleibt es Populismus.
Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen.