Wirtschaft

Antifaschistische Wirtschaftspolitik gegen den Aufstieg der Rechten – Wirtschaft | ABC-Z

SZ: Frau Weber, Sie fordern eine antifaschistische Wirtschaftspolitik, um den Aufstieg rechtsextremer Kräfte einzudämmen. Was meinen Sie damit, und wie könnte die aussehen?

Isabella Weber: Das ist die zentrale Frage. Wir müssen darüber sprechen, wie Wirtschaftspolitik dazu beitragen kann, Menschen nicht weiter in die Arme rechtsextremer Parteien zu treiben. In der Ökonomik tun wir gerne so, als wäre sie neutral, als ob es immer nur eine optimale, politisch und sozial neutrale Lösung gäbe. Aber wir wissen auch, dass zum Beispiel Austeritätspolitik, die viele Ökonomen ja unterstützen, den Aufstieg rechtsextremer Parteien fördert. Wenn Politik von Anfang an darauf abzielt, den Gürtel enger zu schnallen, dann sind Verteilungskonflikte vorprogrammiert.

In Deutschland sehen viele die Schuldenbremse als Auswuchs der Austeritätspolitik, also einer Politik, die ausgeglichene Haushalte priorisiert.

Wir müssen uns fragen, ob das Festhalten an der Schuldenbremse eine Gefahr für die Demokratie darstellt in einer Zeit, in der die AfD Umfragewerte von über 20 Prozent erreicht. Ich fand Alice Weidels Parteitagsauftritt erschütternd. Sie vermittelt den Menschen klar: Wir sind gegen den Status quo und bieten eine Alternative an. In einer Zeit multipler Krisen – Klimawandel, Pandemie, extreme Wetterereignisse, Krieg – verspüren die Menschen ein starkes Bedürfnis nach einer Alternative zum Status quo. Wenn diese Alternative jedoch nur von extremen Rechten angeboten wird, haben wir als Demokratie ein ernsthaftes Problem.

Was bräuchte es denn für eine Alternative zur Alternative für Deutschland?

Mehr Investitionen in die Infrastruktur und eine zielgerichtete Industriepolitik. Deutschland hat immer noch eine starke industrielle Basis, an der wir ansetzen sollten, nach dem Vorbild des Inflation Reduction Act in den USA. Wir können die eher schmutzigen Technologien so weiterentwickeln, dass wir wirklich die grünsten und fortschrittlichsten Produkte in Deutschland herstellen und da wettbewerbsfähig werden. Northvolt anzusiedeln, war ja der Versuch, einen solchen Leuchtturm aufzubauen.

Der Inflation Reduction Act hat die US-Wirtschaft angekurbelt. Aber dann haben die Demokraten die Wahl verloren. Der neue Präsident heißt Donald Trump.

Industriepolitik, die am Anfang der Wertschöpfungskette ansetzt, reicht nicht. Sie sichert lokal ein paar Jobs und führt in der mittleren Frist auch zu größerem Wohlstand für die breite Masse. In der kurzen Frist ist sie aber sehr weit weg von der gelebten Erfahrung der normalen Leute. Wir brauchen darum auch eine Klimapolitik, die die Lebensrealität der Menschen direkt verbessert. Bisher wird Klimapolitik damit verbunden, dass entweder Dinge verboten oder teurer werden.

Das Heizungsgesetz etwa war nicht gerade populär.

Wenn Mieter beispielsweise das Recht hätten, Wärmepumpen von Vermietern einzufordern, und diese dann subventioniert würden, hätten viele das Gefühl, dass Klimaschutz ihr Leben tatsächlich verbessert. In Deutschland haben die meisten Wohnungen keine Klimaanlage, wenn man sich dann im Sommer nicht mehr zu Tode schwitzt, hätte man einen direkten Vorteil von Wirtschaftspolitik. Anderes Beispiel: Es wäre extrem populär, ordentlich in die Bahn zu investieren, wieder pünktliche Züge zu haben, auch die Landbevölkerung mitzunehmen, die derzeit komplett aufs Auto angewiesen ist.

Die Inflation wird oft als Schlüsselfaktor für politische Entscheidungen genannt. War es Joe Bidens größter Fehler, sie nicht stärker bekämpft zu haben?

Besonders in unteren und mittleren Einkommensgruppen führte sie dazu, dass viele Wähler von den Demokraten zu Trump wechselten. Inflation kann politische Krisen verschärfen – das sehen wir historisch immer wieder, von der Französischen Revolution bis zum Arabischen Frühling. Ökonomen und politische Kommentatoren haben vor der Wahl immer gesagt, dass die Leute einfach nicht verstehen, dass es ihnen viel besser geht, als sie denken. Banken haben gemeldet, dass immer mehr Menschen auf Kreditkartenschulden angewiesen sind. McDonalds hat gemerkt, dass die Leute öfter zu billigeren Menüs greifen. Aber die Warnsignale wurden nicht ernst genommen, weil alle nur auf die Makro-Wirtschaftsdaten geschaut haben, statt auf die Auswirkung der Inflation auf die Menschen.

Wer hat denn Schuld an der Inflation, zocken die Unternehmen ihre Kunden ab?

Unternehmen haben in der Krise immense Gewinne gemacht. Zum Beispiel am Öl- oder Getreidemarkt explodieren Preise in Krisenzeiten auf eine Art und Weise, die nicht rational ist und nicht die tatsächliche Knappheit am Markt abbildet, weil es dort auch Spekulation gibt. Die Unternehmen, die Getreide oder Öl einkaufen, haben diese Kostenanstiege zu einem sehr großen Teil einfach an ihre Kunden weitergegeben – und davon auch noch profitiert. Wenn ein Unternehmen die Preise so anhebt, dass es seine Marge hält, weil die Kosten hochgegangen sind, steigen ja die Profite, weil sie die Marge auf einen größeren Kostenkuchen drauflegen.

Die Menschen können Kostenanstiege nicht so leicht kompensieren wie Unternehmen.

Die Konsumentinnen und Konsumenten, die nicht einen Teil dieser Profitexplosion in ihren Aktienportfolien wieder eingestrichen haben, haben für den Kostenschock bezahlt. In Deutschland haben wir den größten Reallohnrückgang seit Jahrzehnten erlebt. Die Inflation führt zu einer Umverteilung von unten nach oben und verstärkt Ungleichheiten.

Wie sollte die Politik darauf reagieren?

Allein mit Zinssteigerungen der Zentralbanken ist jedenfalls nicht genug. Wir brauchen Mechanismen zur Preisstabilisierung für systemrelevante Güter, wie zum Beispiel strategische Reserven. In den USA hat Biden ja die amerikanische Ölreserve genutzt, allerdings ist ihm das erst zu spät eingefallen. Auch Übergewinnsteuern könnten eine Rolle spielen, um die wirklich irren Gewinne zu verhindern. Mit solch einer Steuer könnte man Knappheitssituationen für Unternehmen weniger attraktiv machen. Ich sehe strategische Reserven und Übergewinnsteuer als komplementär. Die Stabilisierung dieser extrem volatilen Märkte ist ein Problem, das mehr als ein Instrument erfordert.

Sie haben viel Kritik für Ihre Vorschläge erhalten, selbst von linken Ökonomen. Warum eigentlich?

Die freie Preisbildung ist der „heilige Gral“ des Neoliberalismus, vielleicht noch heiliger als das Privateigentum. Wenn man sagt, dass Märkte nicht immer optimal funktionieren und Preise irrational steigen können, stellt das grundlegende Annahmen der Ökonomik infrage. Gegen irrationale Preise anzusteuern, ist nicht optimal. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden von irrationalen Preisen sind aber so groß, dass man es tun muss. Wir müssen offen für neue Ansätze sein, gerade in Krisenzeiten.

Was erwarten Sie von Trumps Wirtschaftspolitik?

Ich erwarte nicht, dass Trump tatsächlich Politik für die kleinen Leute machen wird. Aber ich erwarte, dass er ihnen gerade genug Brocken hinwirft, um sie bei der Stange zu halten, während er gleichzeitig knallharte Klientelpolitik für die reichsten Amerikaner betreibt. Im Wahlkampf hat er sich erfolgreich als starker Mann positioniert, der versprach, die Preise zu senken – ohne jemals zu erklären, wie. Ich glaube, Trumps Wirtschaftspolitik wird inkohärent, extrem pragmatisch und klientelistisch sein. Gleichzeitig werden wir einen massiven Abbau von staatlichen Kapazitäten und Regulierungen beobachten, was auf lange Sicht sehr schädlich sein wird, insbesondere bei Umweltregulierungen.

Viele Ökonomen rechnen mit einem hohen Wachstum in den USA. Ist das realistisch? Zölle werden doch Schaden anrichten.

Jetzt zu sagen, dass die Wirtschaft unter Trump in die Katastrophe rutscht, halte ich für gefährlich. Denn dann liegt man gleich falsch, wenn es jetzt erst einmal ein Strohfeuer gibt und es kurz aufwärtsgeht. So ein Strohfeuer sehen wir ja schon an den Aktienmärkten. Bislang sieht es auch so aus, als würde er mit den Zöllen eher zurückhaltender umgehen als gedacht. Und ich kann mir auch vorstellen, dass er steigende Preise kompensiert mit Einnahmen aus den Zöllen, um inflationären Druck zu vermeiden. Es folgt alles keinem logisch konsistenten Standard. Trump ist der brutalste Opportunist, den man sich vorstellen kann.

Was sollte Europa tun, um nicht Schaden zu nehmen?

Das ist natürlich die große Frage, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Ich weiß, das ist frustrierend. Aber ich glaube, man muss das erst mal so anerkennen. Vielleicht muss sich Europa zunächst klarmachen, dass es eben in dem Kräftewettbewerb von sehr großen Mächten mittlerweile ein Juniorpartner ist. Das fällt den Europäern sehr schwer.

Es wird für Europa sowieso nicht leicht, eine gemeinsame Linie zu entwickeln. Es gibt ja genug Politiker in Europa, die Trump gar nicht so unsympathisch finden.

Diese Idee von Rechten, die USA nachzuahmen und jetzt „Deutschland first“ oder eine Schocktherapie à la Musk zu fordern, ist für Deutschland und jedes einzelne europäische Land noch eine viel verheerendere Strategie als für die USA. Eine antifaschistische Wirtschaftspolitik ist dringender denn je. Es geht darum, dass rechtsextreme Kräfte nicht noch stärker werden. Das trifft auf ganz Europa zu.

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