Anteplioglu aus Rüsselsheim: Das Geheimnis guter Baklava | ABC-Z

„In der südosttürkischen Stadt Gaziantep gibt es eine Redensart: Wer kein Baklava-Meister ist, dem geben sie keine Frau“, sagt Harun Güngör mit einem breiten Grinsen. Der 37 Jahre alte Geschäftsführer und Gründer von Anteplioglu Baklava ist – natürlich – Meister in der Herstellung der süßen Blätterteigpastete. Das Handwerk hat er im Familienbetrieb seines Onkels acht Jahre lang gelernt.
2010 kam er nach Deutschland. Erst lebte er in München und zog mit seiner Frau 2013 nach Rüsselsheim. Zunächst arbeitete er einige Jahre in einem türkischen Restaurant in Frankfurt in seinem Beruf. „Was mir in Rüsselsheim sofort aufgefallen ist: dass ein Ort gefehlt hat, wo man sich trifft, etwas trinken und etwas Süßes essen kann“, sagt Güngör. In Gaziantep gibt es Patisserien in jedem Viertel. Nach langer Vorbereitung hat er 2018 die Initiative ergriffen und in einer ehemaligen Metzgerei in der Rüsselsheimer Stadtmitte die erste Filiale von Anteplioglu eröffnet. Wörtlich übersetzt: Sohn aus Antep, wie die südosttürkische Metropole abgekürzt heißt. Mittlerweile hat er vier weitere Filialen in Mainz-Kastel, Darmstadt, Hanau und seit vergangenem Sommer auch in Frankfurt. Über einen Onlineshop werden die Süßspeisen in ganz Deutschland verkauft.
Jeden Tag ist Güngör in der Rüsselsheimer Produktionsstätte, um die Qualität seiner Ware zu überprüfen. Oder selbst Hand anzulegen, wenn ein Mitarbeiter fehlt. 150 Bleche mit 25 unterschiedlichen Sorten Baklava werden hier täglich frisch produziert. Mit Walnüssen, Kokosnüssen, Haselnüssen, Sahne, Schokolade, Brombeeren und natürlich mit Pistazien. Dazu gibt es verschiedene Kekse, Kuchen und andere Süßspeisen aus Mehl, Engelshaar und Grieß. Alles wird täglich frisch hergestellt.
1,5 Tonnen Pistazien im Monat
Ein geheimes Familienrezept gibt es nicht, aber dafür ein Geheimnis. „Wir haben drei Dinge von Anfang an nicht getauscht: das Mehl, die Butter und die Nüsse.“ Diese müssten immer von der gleichen, hohen Qualität sein. Das Mehl müsse aus einem sehr harten Weizen sein, sonst zerfleddere der Teig beim Ausrollen. Er bekommt es aus Belgien geliefert. Einmal mit Wasser, Eiern und Salz zu einem Teig vermengt, wird dieser in eine Maschine gegeben, die ihn walkt und zu dünnen Lagen verarbeitet. Rund 30 Schichten werden schließlich benötigt.
Die Butter bezieht Güngör von einem Bauernhof aus den Niederlanden, der sie eigens nur für sein Unternehmen herstellt. „Die ist sehr wichtig für die Geschmacksnerven“, sagt Güngör. In einem riesigen Bottich wird sie bei 60 bis 70 Grad geschmolzen. Die Pistazien kommen aus seiner Heimatstadt Gaziantep. „Mein Vater ist Landwirt und besitzt Pistazienbäume“, berichtet Güngör. 1,5 Tonnen ergebe das etwa pro Jahr.

Doch ebendiese Menge benötigt Anteplioglu Baklava für die Herstellung seiner Süßspeisen, und zwar nicht im Jahr, sondern im Monat, weshalb Güngör von anderen Landwirten „das grüne Gold“, wie es gerne genannt wird, dazukaufen muss. „2024 war das Jahr mit der höchsten Ernte für Pistazien in der Geschichte der Türkei“, sagt Güngör. Die Preise hätten eigentlich fallen müssen, aber der Hype um die Dubai-Schokolade habe die Nüsse noch teurer gemacht. 40 Euro pro Kilo kostet die Einfuhr von geschälten Pistazien, die im Türkischen „antep fistik“ heißen, wörtlich übersetzt: die Nuss aus Antep. Selbst hergestellte Dubai-Schokolade verkauft Güngör zwar auch, aber der Trend habe schon wieder nachgelassen, hat der Unternehmer festgestellt. Die gestiegenen Preise hat er an seine Kundschaft aber nicht weitergegeben. Die Kilopreise bewegen sich zwischen 25 und 38 Euro – je nach Sorte.
Frühes Aufstehen und viel Geduld
Baklava gehört fest zur türkischen Kultur. In erster Linie sind es folglich seine Landsleute, die bei ihm einkaufen oder für Hochzeitsfeiern oder zu muslimischen Feiertagen seine Produkte bestellen. Gerade in die Filialen in Darmstadt und Frankfurt kämen jedoch immer mehr Menschen aus allen möglichen Kulturen, die die türkischen Süßspeisen probieren wollen. „Das macht mich besonders glücklich“, sagt Güngör.
Die Herstellung der unterschiedlichen Baklava-Sorten ist ganz in der Hand von Handwerksmeistern aus der Türkei. „Wir haben versucht, junge Leute aus der Region als Auszubildende zu finden, aber das ist uns bislang nicht gelungen“, sagt Güngör. Frühes Aufstehen sei nötig und viel Geduld beim Erlernen der Handwerkskunst. Der Teig zum Beispiel muss die richtige Dicke haben. Je nach Baklava-Art muss der Teig zudem in die richtige Form gebracht werden. Für die Muschel-Bak lava muss er gefächert werden. Die Nüsse müssen gleichmäßig verteilt werden. Zwischendrin muss Butter mit einem Handbesen gleichmäßig auf den Teig geträufelt und alles am Ende in die richtige Größe geschnitten werden. Die dafür verwendeten Messer werden jede Woche aufs Neue in einer Schleiferei in Mainz-Kastel geschliffen.
„Wenn eine Sache nicht richtig gemacht wird, ist das ganze Blech hinüber“
Anschließend wird die richtige Menge flüssige Butter, die in einem großen Bottich schwimmt, auf den Teig gegossen. Bei jeder Sorte ist das unterschiedlich. Das Gleiche gilt für die Backzeit und das anschließende Übergießen mit Sirup. „Baklava mit Walnüssen braucht etwas mehr Sirup, weil sie ihn mehr aufsaugt“, erklärt Güngör. Anschließend wird das Blech auf einem sich drehenden Gasherd von unten erhitzt, damit die süße Pastete perfekt ausbacken kann. „Wenn eine Sache beim ganzen Vorgang nicht richtig gemacht wird, ist das ganze Blech hinüber“, sagt Güngör.

Das kommt bei den Profis aber so gut wie nie vor. 35 Mitarbeiter beschäftigt Güngör. Seine Arbeit und der Erfolg von Anteplioglu haben in kürzester Zeit große Begehrlichkeiten geweckt. Er habe schon riesige Summen von Leuten geboten bekommen, die ein Franchiseunternehmen hätten aufmachen oder gleich die ganze Marke hätten kaufen wollen. „Wenn ich das annehmen würde, könnte ich im nächsten Monat zehn Filialen öffnen“, sagt Güngör. Er aber möchte, dass sein Betrieb organisch wächst
Noch sei dafür Raum. Die Filialen im Rhein-Main-Gebiet leiten Verwandte und Freunde, also ausschließlich Menschen, denen er vertraut. Fünf weitere Filialen, die von Rüsselsheim aus beliefert werden, kann er sich vorstellen. Auch im benachbarten Ausland, in der Schweiz und den Niederlanden, wären aus seiner Sicht Filialen denkbar – dann aber als Franchise. Größer möchte er eigentlich nicht werden, weil er sonst in die Großfabrikation gehen müsste. Güngör setzt lieber auf Handarbeit.
Die neuen Filialen sollen auch zunehmend den Konditoreien in der Türkei ähneln. Neben den Süßspeisen und Börek aus Eigenproduktion soll es Eis geben, frische Nüsse, Kaffee – alles in edlem Ambiente. Güngör, der dreifacher Familienvater ist, würde sich freuen, wenn irgendwann seine Nachfahren sein Werk fortführen oder noch größer machen würden. Und sich damit die Redensart der Heimatstadt ihres Vaters zu Herzen nähmen. Auch wenn sie nicht ganz ernst gemeint ist.