Anschlag in Magdeburg: Terrorwarnungen, die im Nirwana landeten | ABC-Z
Hätte der Anschlag von Magdeburg verhindert werden können? Diese Frage steht seit dem späten Freitagabend im Raum, als bekannt wurde, um wen es sich bei dem Attentäter handelt: um Taleb al-Abdulmohsen, einen 50 Jahre alten Arzt aus Saudi-Arabien, seit 2006 in Deutschland.
Taleb al-Abdulmohsen hat auf der Plattform X einen Account, rund 45.000 Menschen folgen ihm dort. Bekanntheit erlangte er als eine Art Anti-Islamist, der sich im Jahr 2019 in einem FAZ-Interview selbst als „aggressivsten Kritiker des Islams in der Geschichte“ bezeichnete. Er sei Atheist und sei als Flüchtling gekommen, weil er als Ungläubiger und Islamkritiker in Saudi-Arabien Verfolgung befürchte. Ähnlich berichteten 2019 die britische BBC und der „Spiegel“ über den Mann.
Gleichzeitig radikalisierte sich der Mann vor den Augen der Öffentlichkeit, kündigte an, „Rache“ zu üben, für eine angebliche Verfolgung saudischer Flüchtlinge und Ex-Muslime in Deutschland, die auch er erleide. Viele Nachrichten sind wirr. Aber mehrere X-Nutzer schlugen Alarm – etwa im September 2023 per E-Mail eine angeblich in Saudi-Arabien lebende Frau.
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WELT AM SONNTAG steht seit Samstagmorgen mit ihr in Kontakt. Gemäß der auf Englisch verfassten Original-E-Mail, die dieser Redaktion vorliegt, schrieb sie: „Hallo, es ist sehr dringend, da ist ein Typ, der sagt, dass er beliebige deutsche Bürger töten wird, bitte tun Sie etwas und verhaften Sie ihn so schnell wie möglich.“ Und weiter: „Sein Name ist: Al ABDULMOHSEN, TALEB JAWAD H. Geburtsdatum: 05 Nov 1974.“ In der E-Mail werden einige der Drohungen des Mannes aufgeführt.
Bloß: Verschickt wurde die Nachricht nicht – wie geplant – an die Polizei in der deutschen Hauptstadt, sondern eine Wache in der 7500-Einwohner-Gemeinde Berlin im US-Staat New Jersey. Was dort mit der Mail passierte, ist unklar. Eine Anfrage dieser Redaktion an die US-Behörde wurde bislang nicht beantwortet.
Die E-Mail-Verfasserin teilte außerdem Screenshots von Nachrichten mit WELT AM SONNTAG, die sie Ende 2023 an den X-Account des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schickte und mit denen sie vor al-Abdulmohsen warnte. Das BAMF antwortete demnach nicht inhaltlich, riet, die Polizei zu informieren. In mindestens einem anderen Fall gab es hingegen zwischen BAMF-Account und einem X-Nutzer auch inhaltliche Kommunikation zu in Deutschland befindlichen Ausländern.
Die Vorgänge und al-Abdulmohsens öffentlicher Auftritt werfen die Frage auf, inwiefern deutsche Sicherheitsbehörden im Vorfeld des Magdeburger Anschlags womöglich versagt haben. Hätte der Mann durch sein Verhalten nicht unbedingt ins Visier von Verfassungsschutz und Polizei geraten müssen?
Darüber hinaus gab es weitere Warnungen – wenngleich nur an X selbst. Eine X-Nutzerin sagte WELT AM SONNTAG, schon vor Monaten habe sie Beiträge des Mannes bei der Plattform gemeldet; daraufhin seien diese gelöscht worden. Zur Polizei sei sie nicht gegangen, allerdings sei es „eindeutig“ gewesen, „dass er sich radikalisiert“. Nun mache sie sich Vorwürfe, nicht gehandelt zu haben.
Sie zeigte einen Tweet aus Dezember 2023, in dem al-Abdulmohsen behauptete, der deutsche Staat verfolge saudi-arabische Flüchtlinge, um ihr Leben zu zerstören. Er kündigte Vergeltung an, schrieb: „Ich versichere euch, dass zu 100 Prozent bald die Rache kommt. Auch wenn es mich mein Leben kostet.“ Und weiter: „Deutschland wird den Preis zahlen müssen. Einen riesigen Preis.“
Der Post liest sich wie eine Terror-Ankündigung, wurde danach aber gelöscht. Ob X weitere Maßnahmen unternahm, ist unklar.
Der Täter postete heute vor vier Monaten, am 21. August 2024: „Gibt es einen Weg zur Gerechtigkeit in Deutschland, ohne eine deutsche Botschaft in die Luft zu sprengen oder wahllos deutsche Bürger zu massakrieren? Ich suche seit Januar 2019 nach diesem friedlichen Weg und habe ihn nicht gefunden.“
In einem Posting zur Tatzeit machte er explizit „deutsche Bürger“ für die angebliche „Verfolgung“ verantwortlich, die er in Deutschland erfahre.
Bereits in den Monaten und Jahren zuvor sprach er von „Rache“, behauptete „Verbrechen“ der deutschen Polizei und Staatsanwaltschaft. Er werde sich „an der deutschen Nation rächen“, drohte er.