Anschlag in Magdeburg: Taleb al-A. war den Behörden bekannt – Politik | ABC-Z
Drei Minuten hatten am Freitagabend ausgereicht, um das Leben von vier Frauen und einem neunjährigen Jungen auszulöschen und das von Hunderten für immer zu verändern. Die Frauen im Alter von 45, 52, 67 und 75 kommen aus dem Großraum Magdeburg, der Grundschüler aus Niedersachsen. Noch immer kämpfen Ärzte um die Leben von Dutzenden Menschen; 200 Männer, Frauen und Kinder gelten als verletzt.
Mit einem gemieteten SUV war ein 50-jähriger Arzt aus Saudi-Arabien am Freitagabend mit voller Absicht fast 400 Meter durch eine Menschenmenge auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt gefahren. Gegen Taleb al-A., der zuletzt als Facharzt für Psychiatrie in einem Maßregelvollzug in Bernburg arbeitete, wird nun wegen fünffachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ermittelt, den ganzen Samstag wurde er von der Polizei vernommen, befindet sich in Untersuchungshaft. Unklar ist bisher, ob seine Tat als politisch motiviert einzuordnen ist.
Nun stellen sich viele Fragen, die drängendsten sind: Hätte der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt mit einem anderen Sicherheitskonzept verhindert werden können? Für seine Todesfahrt hatte der Mann gezielt Rettungs- und Fluchtwege auf dem Weihnachtsmarkt genutzt. Hätte Taleb al-A. den Sicherheitsbehörden früher auffallen müssen?
Taleb al-A. war kein Islamist – im Gegenteil. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte Taleb al-A. 2019 gesagt: „Ich bin der aggressivste Kritiker des Islams in der Geschichte.“ In seiner Profilbeschreibung auf X steht: „Deutschland will Europa islamisieren.“ Er sympathisierte mit der AfD, beglückwünschte Menschen öffentlich, die sich von ihrer Religion abwendeten, und betrieb eine Internetseite mit Informationen zum deutschen Asylsystem. Als Aktivist beriet er vor allem Frauen aus Saudi-Arabien über Fluchtmöglichkeiten nach Deutschland.
Taleb al-A. kündigte in den sozialen Medien bereits im vergangenen Jahr „etwas Großes“ in Deutschland an
Bei einer Pressekonferenz am Samstag hatte der Leiter der Staatsanwaltschaft Magdeburg, Horst Nopens, gesagt, dass al-A. bisher nicht im Fokus der Behörden gestanden habe, dass er nicht als Gefährder bekannt gewesen sei. Über eine mögliche Motivation des Mannes sagte Nopens: „Nach gegenwärtigem Stand ist es so, dass der Hintergrund Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen Flüchtlingen in Deutschland gewesen sein könnte.“
Nach Informationen von SZ, WDR und NDR gab es allerdings mindestens einen Hinweis des saudi-arabischen Geheimdienstes auf Taleb al-A. an den Bundesnachrichtendienst. Er bezog sich auf eine Äußerung in sozialen Medien, in der Taleb al-A. bereits im vergangenen Jahr „etwas Großes“ in Deutschland ankündigte. Das Königreich Saudi-Arabien habe auch die Auslieferung des Mannes beantragt, darauf reagierte Deutschland wohl nicht. Auch BKA-Chef Holger Münch bestätigte am Sonntag einen Hinweis aus Saudi-Arabien. Es seien zwar Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet worden, der Mann sei aber nicht für Gewalttaten bekannt gewesen – nur für Drohungen und Beleidigungen. „Wir haben hier ein völlig untypisches Muster, und wir müssen das auch in Ruhe jetzt analysieren.“ Der Tatverdächtige habe eine islamfeindliche Einstellung, er habe sich auch mit rechtsextremen Plattformen beschäftigt. In den sozialen Netzwerken präsentierte er sich zwar als Fan der AfD, verortete sich aber politisch links und warf deutschen Behörden vor, sie würden nicht genug gegen Islamismus unternehmen.
2013 wurde er bereits vom Amtsgericht Rostock verurteilt
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) bestätigte am Sonntag Medienberichte, wonach Taleb al-A. in der Vergangenheit mehrmals mit der Androhung von Straftaten aufgefallen war. 2013 war er deshalb sogar vom Amtsgericht Rostock verurteilt worden. In einem Streit um die Anerkennung von Prüfungsleistungen habe er gegenüber Vertretern der Ärztekammer des Landes mit einer Tat gedroht, „die internationale Beachtung bekommen“ werde und auf den Anschlag beim Boston-Marathon verwiesen. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung seien damals jedoch keine reellen Hinweise auf eine Anschlagsvorbereitung gefunden worden. 2014 bekam Taleb al-A. eine sogenannte Gefährderansprache durch die Polizei, weil er in einer Behörde in Stralsund mit Gewalt- und Suiziddrohungen aufgefallen war – falls sein Antrag auf finanzielle Hilfen abgelehnt worden wäre. 2015 soll al-A. Rostocker Richter als Rassisten beleidigt und Rache angedroht haben.
Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge war im Spätsommer auf ihn aufmerksam gemacht worden. SPD-Innenministerin Nancy Faeser hat nun zusätzliche Ermittlungen angekündigt.
Die Union möchte Faeser in einer Sondersitzung des Innenausschusses befragen, noch in diesem Jahr. Die Sozialdemokraten wiederum wollen dort die Innenministerin des Landes Sachsen-Anhalt befragen, Tamara Zieschang von der CDU. Der Wahlkampf wird somit wohl auch die Aufklärung erschweren, wie es zum Anschlag von Magdeburg kommen konnte.