Ans Aufhören denkt sie auch mit 70 nicht | ABC-Z

Frau Rosenberg, Sie sind vor allem mit einem Lied in Deutschland bekannt geworden: „Er gehört zu mir“.
Lustigerweise fiel das Lied erst durch. Vor 50 Jahren habe ich es bei der deutschen Vorentscheidung „Ein Lied für Stockholm“ des Eurovision Song Contest gesungen und kam nur auf Platz zehn. Trotzdem wurde es in Deutschland ein Riesenhit, vor allem in der queeren Community.
Es gilt als Schwulenhymne.
Wie wichtig das Lied für die schwule Community war, hat Conchita Wurst im Herbst in der Sendung „Sing meinen Schlager“ erzählt. Dass es eben eine Zeit gab, als schwule Männer sich nicht aussuchen konnten, wie sie leben wollten, und sich nicht outen konnten, ohne Diskriminierung oder berufliche Nachteile zu erfahren. Und dass mein Lied ein Befreiungsschlag für die Szene war.
Ist das Segen oder Fluch für Sie?
Dass ich so verehrt werde in dieser Szene, auch mit „Ich bin wie Du“, das ist für mich ein Ritterschlag. Auch weil ich damit in einer Reihe stehe mit Sängerinnen wie Barbra Streisand, Madonna, Cher, Kylie Minogue. Man kann sich das nicht aussuchen, da kann man noch so sehr versuchen, sich beliebt zu machen. Natürlich unterstütze ich die Community, trete bei Veranstaltungen wie dem Christopher Street Day auf. Doch das allein macht einen nicht zur Schwulenikone.
Sind Schwule Ihr treuestes Publikum?
Ich würde sagen, queere Menschen sind ein sehr treues Publikum, aber mein Publikum kommt aus der gesamten Gesellschaft. Anders lassen sich die enormen Umsatzzahlen meiner Lieder nicht erklären. Gerade in den Neunzigern sind die Lieder rübergeschwappt in die gesamte Gesellschaft, werden seither auf Partys, Hochzeiten und was nicht noch gespielt. Ich finde das toll, dass Menschen meine Musik mit in ihr Leben genommen haben.
Sie waren früh auf „Schlager“ festgelegt. Das hat Sie bald gestört. Warum?
Es war nicht meine Musik. Als ich mit 14, 15 Jahren anfing zu singen, hingen an meinen Zimmerwänden Poster von Gloria Gaynor, The Three Degrees, Diana Ross, Aretha Franklin. Das war eine ganz andere Musikrichtung, Disco, in die ich mich als Teenager verliebt hatte. So wie diese Frauen wollte ich auf der Bühne singen, und ich wollte auch so aussehen wie sie. Doch das wollten die Regisseure von eindeutigen Schlagersendungen nicht.
Sie wurden zum Schlager gezwungen?
So eng würde ich das nicht sehen. Die Grenzen sind schon fließend. Über meinen Vater bin ich mit Caterina Valente und Connie Francis aufgewachsen, die kann man auch nicht einfach Schlagersängerinnen nennen. Im Grunde ist es mir egal, wie man mich nennt, ich habe viele Genres und in vielen Sprachen gesungen, Jazz, Chanson, Pop, Neue Deutsche Welle. Da habe ich mit Musikern wie Rio Reiser und Extrabreit zusammengearbeitet. Letztlich gibt es für mich nur gute oder schlechte Musik.
Sie hatten mit 15 Jahren Ihren ersten Bühnenauftritt. Wie war es, sich als junge Frau in einer männerdominierten Branche durchsetzen zu müssen?
Als Frau war es nicht nur in meiner Branche schwer. Damals konnte eine Frau nicht selbständig arbeiten oder ein eigenes Konto haben, ohne die Genehmigung eines Manns. Das hat sich zwar geändert, aber Männer geben immer noch den Ton an. In meinen 55 Jahren, die ich auf der Bühne stehe, habe ich nur zweimal eine Frau als Plattenboss gehabt. Das sagt schon einiges aus über das Musikgeschäft.

Ich habe als Kind den Grand Prix Eurovision de la Chanson im Fernsehen gesehen, mit Nana Mouskouri. Ihre Stimme hat mich derartig fasziniert, dass ich sie danach beim Grand Prix nachgespielt habe. Und mir war fortan klar: Ich wollte Sängerin werden.
Zum Eurovision Song Contest haben Sie es trotz mehrerer Anläufe nie geschafft. Ärgert Sie das?
Nein. Es war auch nicht meine Idee, mich dafür zu bewerben. Plattenfirmen sind keine Sozialvereine, die haben damals einfach versucht, ihre Schützlinge bei allen möglichen Festivals unterzubringen. Ich selbst bin für Wettbewerbe auch nicht unbedingt zu haben, dieses Ellenbogensystem, mit dem wir aufwachsen. Ich glaube nicht, dass man beim Kampf gegen einen anderen künstlerisch die schönsten Sachen aus sich herausholen kann.
Sie haben erst sehr spät öffentlich gemacht, dass Sie eine Sintiza sind, also aus einer Sinti-Familie stammen. Warum?
Meine Vorfahren waren Sinti, das wusste ich seit frühester Kindheit. Ihre Bilder hingen bei uns an der Wand, und eigentlich rede ich nicht gerne darüber, denn sie wurden alle ermordet. Als ich zu singen begann, hat mein Vater mich gemanagt, und immer mehr Leute wollten wissen, warum er so dunkelhäutig ist. Da hat er zu mir gesagt: Wenn die Leute dich darauf ansprechen, sagst du, dass wir aus Ungarn sind. Die andere Geschichte wollen die Leute eh nicht hören, das belastet sie nur, und es schadet deiner Karriere. Er sagte auch immer: Rechtes Gedankengut schläft nur, es ist nicht wirklich tot. Da hat er leider recht. Für mich war es leichter, über das Thema nicht zu reden, ich war ja erst 14, als ich anfing zu singen. Für die Plattenfirmen habe ich mich zwei Jahre älter gemacht, sonst wäre es Kinderarbeit gewesen.

Es heißt, Rosa von Praunheim habe dieses „Familiengeheimnis“ in einem filmischen Porträt über Sie gelüftet.
Das stimmt so nicht, die Nuss hat er Mitte der Siebziger noch nicht geknackt. Das war erst später, als mein Vater sich Mitte der Achtzigerjahre politisch engagierte und der Sinto-Union und der Bürgerrechtsbewegung für Sinti und Roma beigetreten ist. Erstmals offen darüber geredet habe ich dann in einer Talkshow mit Giovanni di Lorenzo. Er hatte mich vorher gefragt, ob wir darüber reden können.
Beeinflussen die Kultur und die Traditionen der Sinti Ihre Musik?
In meiner Musik hat das bisher kaum eine Rolle gespielt. Aber sehr viele Sinti sind Fans meiner Lieder und ein treues Publikum. Es gibt aber ein Lied, das ich mit meinem Vater in Romanes aufgenommen habe, für Gedenk- und Erinnerungsveranstaltungen. Es heißt „U Went Rom“.
Im Jahr 2000 wurden Sie zu einer Talkshow mit Ihrem Vater eingeladen. Sie wollten aber nicht, mit der Begründung: „Die wollen Rosenberg-Schlager garniert mit einer Prise Auschwitz.“
Man kann nicht in fünf oder zehn Minuten, länger ist das ja nicht im Fernsehen, über so schwerwiegende Leidensgeschichten wie Auschwitz reden. Darum habe ich das abgelehnt.
Zum 70. Geburtstag erscheint eine Jubiläumsedition Ihres 22. Studioalbums mit dem vielsagenden Titel „Bunter Planet“. Wie kam es zu dem Titel?
Bunter Planet ist der alte Traum von Vielfalt, Toleranz, Freiheit, Respekt – egal woher wir kommen, egal woran wir glauben, egal wen wir lieben. Das ist mein Thema. Das hat sicher viel mit meiner Familien- und der Leidensgeschichte meines Vaters zu tun. Das hat mich geprägt, es hat meine Sicht auf die Dinge geschärft. Umso mehr freue ich mich, die Lieder im November auf meiner Tour präsentieren zu können.
Auf dem Album singen Sie auch „Er gehört zu mir“ mit Conchita Wurst.
Ich hätte nie gedacht, dass ich das Lied noch einmal aufnehmen würde. Dann trat Conchita mit dem Lied bei „Sing meinen Schlager“ auf. Und nicht nur sie: Viele Künstler haben meine Lieder interpretiert, Eko Fresh, Lucy Diakovska, Sarah Engels, Max Mutzke und Semino Rossi. Das war toll zu sehen und zu hören, was sie aus meiner Musik machten. Höhepunkt für mich war Conchita, die eine ganz andere Herangehensweise an das Lied hat, sie hat es anders arrangiert – vom Tempo her ist es nun eine Ballade. Das war ergreifend.
An diesem Montag werden Sie 70 Jahre alt. Haben Sie schon einmal ans Aufhören gedacht?
Ich höre ja auch nicht auf zu essen, zu atmen oder zu lieben. Warum sollte ich also mit dem aufhören, was ich ein Leben lang gemacht habe? Was ich liebe und was einfach aus mir herauskommt? Meine Stimme pariert noch immer. Solange das so ist, werde ich weiter singen. Irgendwann macht aber jeder die Tür zu, weil er denkt, das sind jetzt die letzten Meter, da will ich lieber mit mir sein.